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Spirale der Gewalt in anglophonen Regionen
Menschen demonstrieren gegen Diskriminierung der anglophonen Minderheit in Kamerun in der Stadt Bameda im September 2017
© AFP/Getty Images
Die Gewalt zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Separatistinnen und Separatisten eskaliert zunehmend. Willkür, Vertreibungen und Tötungen betreffen auch die Zivilbevölkerung.
In den englischsprachigen Regionen Kameruns wurde eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, die nach Informationen von Amnesty International von Tag zu Tag mehr Tote fordert. Bewaffnete Separatistinnen und Separatisten erstechen und erschießen dort Militärangehörige, stecken Schulgebäude in Brand und greifen Lehrerinnen und Lehrer an. Gleichzeitig sind die Sicherheitskräfte für Folterungen, Schüsse auf Menschenmengen und die Zerstörung von Dörfern verantwortlich.
Ein neuer Bericht von Amnesty International zur Krise in den anglophonen Regionen des Landes dokumentiert den hohen Preis, den die Zivilbevölkerung angesichts des eskalierenden Konflikts in den Provinzen Nordwest und Südwest zahlt. Der englischsprachige Bericht mit dem Titel "A turn for the worse: Violence and human rights violations in Anglophone Cameroon" basiert auf ausführlichen Interviews mit mehr als 150 Betroffenen und Augenzeuginnen und Augenzeugen sowie auf substanziellen Beweisen wie etwa Satellitenbildern.
Tödlicher Kreislauf der Gewalt
"Die Menschen in den anglophonen Regionen Kameruns sind einem tödlichen Kreislauf der Gewalt ausgesetzt. Sicherheitskräfte sind im Rahmen von Militäreinsätzen für willkürliche Festnahmen und Folterungen sowie für unterschiedslose Tötungen verantwortlich. Darüber hinaus wurden im Zuge dieser Einsätze Tausende Zivilpersonen vertrieben. Dieses brutale Vorgehen wird nicht dazu beitragen, die Gewalt einzudämmen – vielmehr werden die anglophonen Gemeinschaften dadurch höchstwahrscheinlich noch weiter verprellt und weitere Unruhen angefacht", erläutert Samira Daoud, stellvertretende Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika bei Amnesty International.
Etwa 20 Prozent der Bevölkerung Kameruns lebt in den anglophonen Regionen, also in den Provinzen Nordwest und Südwest. Anfang der 1960er-Jahre wurden diese Regionen in die neu gegründete und größtenteils französischsprachige Republik Kamerun integriert, was bei der dortigen Bevölkerung auf Ablehnung stieß.
Groß angelegte Proteste
Im Jahr 2016 eskalierte die Gewalt und es kam zu heftigen Unruhen, als Lehrerinnen und Lehrer, Anwältinnen und Anwälte und Schülerinnen und Schüler in den anglophonen Regionen eine Reihe von Streiks und Protesten ins Leben riefen, um gegen weitere von ihnen als diskriminierend wahrgenommene Maßnahmen zu protestieren. Vom 22. September bis 1. Oktober 2017 kam es dort erneut zu groß angelegten Protesten, mit denen symbolisch die Unabhängigkeit des neuen Staates "Ambazonia" ausgerufen wurde.
Folter und Tötung durch das Militär
Das kamerunische Militär reagierte auf diese Proteste mit willkürlichen Festnahmen sowie Folter, rechtswidrigen Tötungen und der Zerstörung von Eigentum. So konnte Amnesty International beispielsweise anhand von Satellitenbildern und anderem fotografischen Beweismaterial die vollständige Zerstörung der Ortschaft Kwakwa feststellen. Kamerunische Sicherheitskräfte brannten das Dorf im Dezember 2017 im Rahmen eines Einsatzes nieder, der in Verbindung mit der Tötung von zwei Sicherheitskräften stand, für die bewaffnete Separatistinnen und Separatisten verantwortlich gemacht wurden.
In manchen Fällen wurden Personen im Zuge dieser Sicherheitseinsätze willkürlich festgenommen und in illegalen Hafteinrichtungen in geheimer Haft festgehalten, wo sie Folter ausgesetzt waren. Am 13. Dezember 2017 wurden beispielsweise mindestens 23 Menschen, darunter auch Minderjährige, von den Sicherheitskräften in der Ortschaft Dadi festgenommen und drei Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Diese Personen sagten Amnesty International, dass sie während dieser Zeit von Sicherheitskräften gefoltert wurden, um sie dazu zu bringen, die Unterstützung von Separatistinnen und Separatisten zu "gestehen".
Todesfälle in Gewahrsam
Die Betroffenen beschrieben, wie man ihnen die Augen verband und sie mit verschiedenen Gegenständen verprügelte, etwa mit Stöcken, Seilen, Drähten und Pistolen. Zudem seien sie mit Elektroschocks und heißem Wasser gefoltert worden. Manche von ihnen wurden so lange geschlagen, bis sie das Bewusstsein verloren. Laut Recherchen von Amnesty International ist mindestens eine Person in Gewahrsam gestorben.
Ein Mann, der am 13. Dezember 2017 in Dadi festgenommen wurde, gab diesen erschütternden Bericht über seine Folter ab:
Amnesty International erhielt zudem Informationen über einige Todesfälle in Gewahrsam. In einem Fall wurden am 3. Februar 2018 die blutigen und mit Folterspuren übersäten Leichen von vier Männern, die am Tag zuvor von Sicherheitskräften in der Ortschaft Belo festgenommen worden waren, in der Leichenhalle des Regionalkrankenhauses von Bamenda entdeckt.
Amnesty International hat auch rechtswidrige Tötungen dokumentiert, beispielsweise während dreier Sicherheitseinsätze des Militärs in den Ortschaften Dadi, Kajifu und Bodam in der Provinz Südwest im Dezember 2017.
Anschläge von Separatistinnen und Separatisten auf Schulen und Lehrerinnen und Lehrer
Der Amnesty-Bericht dokumentiert außerdem, wie Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler von Separatistinnen und Separatisten ins Visier genommen wurden, weil sie nicht an einem Schulboykott teilnahmen, mit dem symbolisch aufgezeigt werden sollte, wie die englische Sprache und die Kulturen der anglophonen Regionen von den Behörden marginalisiert werden. Mindestens 42 Schulen wurden von Februar 2017 bis Mai 2018 von bewaffneten Separatistinnen und Separatisten angegriffen.
Amnesty International erhielt Berichte über viele verschiedene Angriffe auf Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer. Am 30. Januar 2018 verschaffte sich ein maskierter Mann Zutritt zu der staatlichen Grundschule von Ntungfe in der Provinz Nordwest. Man geht davon aus, dass es sich bei ihm um ein Mitglied einer bewaffneten Gruppe von Separatistinnen und Separatisten handelte. Mit einer lokal hergestellten Waffe schoss er einen Lehrer ins Bein, dann steckte er ein Motorrad in Brand und floh.
Der verletzte Lehrer berichtete Amnesty International:
Getötete Sicherheitskräfte
Von September 2017 bis Mai 2018 wurden mindestens 44 Angehörige der Sicherheitskräfte bei Anschlägen auf Kontrollpunkte, auf offener Straße oder auf Stützpunkte in den Provinzen Nordwest und Südwest getötet.
Bei einer dieser Attacken wurden am 1. Februar 2018 in Mbingo in der Provinz Nordwest zwei Angehörige der Gendarmerie an einem Kontrollpunkt von einer Gruppe junger Separatistinnen und Separatisten mit Messern und Macheten getötet.
Amnesty International hat darüber hinaus fünf Angriffe auf traditionelle Gemeindesprecherinnen und -sprecher dokumentiert, die von den Separatistinnen und Separatisten beschuldigt werden, der Regierung nahezustehen.
"Die Art und Weise, wie die bewaffneten Separatistinnen und Separatisten wiederholt und gezielt die allgemeine Bevölkerung ins Visier nehmen, zeugt von einer vollkommenen Missachtung des menschlichen Lebens und ist ein weiteres Beispiel für die bedrohliche Lage, in der sich die Menschen in den anglophonen Regionen befinden", sagt Samira Daoud:
"Die Behörden müssen dafür sorgen, dass alle Straftaten geahndet werden, egal ob sie von den Sicherheitskräften oder den bewaffneten Separatistinnen und Separatisten begangen werden. Es muss unverzüglich sichergestellt werden, dass der Einsatz rechtswidriger, unnötiger und unverhältnismäßiger Gewalt beendet und die Bevölkerung geschützt wird."