Amnesty Report Zypern 07. April 2021

Zypern 2020

Ein Mann mit Rucksack und einer Decke unter dem Arm steht vor einem mit Tonnen und Stacheldraht versperrten Bereich auf einer Straße.

Ein geflüchteter Mann steht vor der UN-Sicherheitszone in Nikosia auf der Insel Zypern (Archivbild vom 15. Februar 2019).

Asylsuchende wurden unter unzureichenden Bedingungen im Flüchtlingslager Pournara festgehalten. Es gab Berichte über Zurückweisungen (Push-Backs) von Flüchtlingen und Migrant_innen.

Hintergrund 

Im Oktober 2020 forderte der UN-Sicherheitsrat die Türkei auf, die Entscheidung zur Öffnung von Teilen der Stadt Varosha im türkisch kontrollierten Norden von Zypern wieder rückgängig zu machen. Im November richteten die Vereinten Nationen ein informelles Treffen zwischen griechisch-zypriotischen und türkisch-zypriotischen politischen Vertreter_innen aus, um die Möglichkeit neuer Zypern-Gespräche zu diskutieren.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Im April 2020 prangerten NGOs die Internierung von fast 700 Asylsuchenden im Flüchtlingslager Pournara in Kokkinotrimithia an, wo diese unter Überbelegung und mangelhaften hygienischen Bedingungen litten. Ursprünglich waren sie zwischen Mitte März und 8. April ohne Rechtsgrundlage inhaftiert worden. Danach verbot man ihnen unter Verweis auf die Coronapandemie per Ministerialerlass, das Lager zu verlassen.

Im Mai berichtete die NGO KISA vom Einsatz exzessiver Gewalt gegen Asylsuchende, die gegen die schlechten Bedingungen in Pournara und ihre fortgesetzte Internierung protestiert hatten.

Ab dem 20. Mai verboten die Behörden den Bewohner_innen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit unter Hinweis auf einen Ausbruch der Krätze, das Lager zu verlassen. Dies löste neue Proteste aus. Die Einschränkungen wurden am 15. Juni aufgehoben, doch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge beschrieb Pournara ab dem 28. September als geschlossene Einrichtung. Im November wurden neue Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus umgesetzt und damit auch das Verbot, das Lager zu verlassen, wieder eingeführt. Im Dezember empfahl die zuständige Ombudsperson eine Entlastung des Lagers.

Am 20. März 2020 wurden Berichte bekannt, wonach die zyprische Küstenwache ein Boot mit 175 syrischen Flüchtlingen auf See zurückgeschoben hat. Im September wurde berichtet, dass die Küstenwache über 200 Flüchtlinge und Migrant_innen, die Zypern mit dem Boot erreicht hatten oder die auf dem Weg nach Zypern gewesen waren, in den Libanon abgeschoben hat.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Januar 2020 legte eine britische Jugendliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung eines zyprischen Bezirksgerichts ein, das sie schuldig gesprochen hatte, in ihrer Aussage, im Juli 2019 Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden zu sein, falsche Angaben gemacht zu haben. Es herrschte nach wie vor ernste Besorgnis hinsichtlich der mutmaßlichen Versäumnisse bei den polizeilichen Ermittlungen sowie bezüglich der Fairness ihres Verfahrens.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Juni 2020 äußerten sich die Beobachtungsstelle zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen sowie die internationale Dachorganisation von Menschenrechts-NGOs FIDH besorgt über eine Entscheidung des Obersten Gerichts, die NGO KISA wegen "Verleumdung" schuldig zu sprechen und zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro zu verurteilen. Der Fall bezog sich auf eine 2010 von der KISA organisierte Aktion gegen Hassreden im Internet. Gegen die Entscheidung wurden Rechtsmittel eingelegt.

Straflosigkeit

Im Januar 2020 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass Zypern gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen habe, weil es den Tod von Athanasios Nicolaou, eines Wehrpflichtigen, der 2005 tot unter einer Brücke aufgefunden worden war, nicht zielführend untersucht hatte.

Verschwindenlassen

Zwischen 2006 und dem 30. November 2020 identifizierte der Ausschuss für vermisste Personen in Zypern die sterblichen Überreste von 993 Vermissten (711 griechische Zyprer und 282 türkische Zyprer). Aufgabe des Ausschusses ist es, Schicksal und Verbleib von Personen zu ermitteln, die während des internen bewaffneten Konflikts zwischen 1963 und 1964 sowie während der Ereignisse von 1974 dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren.

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