Amnesty Report Zentralafrikanische Republik 28. März 2023

Zentralafrikanische Republik 2022

Zwei Polizisten mit Helmen, im Hintergrund Menschen

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Wie schon in den Vorjahren kam es auch 2022 im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt zu Menschenrechtsverletzungen und -verstößen. Sämtliche Konfliktparteien töteten bei ihren Angriffen zahlreiche Zivilpersonen. Frauen und Mädchen waren in Verbindung mit dem Konflikt sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Das Sondergericht (Cour Pénale Spéciale) hielt seinen ersten Prozess ab und befand drei Angeklagte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig. Mindestens 50 Prozent der Bevölkerung waren von Ernährungsunsicherheit betroffen, in einigen Regionen waren es sogar 75 Prozent. Mehrere Journalist*innen wurden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht. Die Todesstrafe wurde abgeschafft.

Hintergrund

Die Sicherheitslage war aufgrund des bewaffneten Konflikts, in dem die Streitkräfte und ihre Verbündeten gegen verschiedene bewaffnete Gruppen kämpften, weiterhin desolat.

Im März 2022 wurde der von den Behörden organisierte Republikanische Dialog zur Versöhnung von den wichtigsten Oppositionsparteien boykottiert. Ein von der Regierung unterstütztes Verfassungsreformprojekt wurde von einigen politischen Parteien als Mittel angesehen, um dem Präsidenten eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Das Verfassungsgericht erklärte im September 2022 einen Erlass für nichtig, auf dessen Grundlage ein mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung betrauter Ausschuss eingesetzt werden sollte. Außerdem traten im September Anwält*innen und Richter*innen in einen siebentägigen Streik, um für die Unabhängigkeit der Justiz einzutreten. Im Oktober 2022 enthob der Staatspräsident die Oberste Richterin des Verfassungsgerichts ihres Amts.

Rechtswidrige Angriffe und Tötungen

Nach Angaben der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik (MINUSCA) wurden im Februar und März 2022 mindestens 100 Zivilpersonen getötet. Im September wurden mindestens 46 Zivilpersonen getötet. Verantwortlich für die Tötungen waren Sicherheitskräfte sowie Angehörige der bewaffneten Gruppen Union pour la Paix en Centrafrique und Retour, Réclamation, Réhabilitation (bekannt als 3R), die das Friedensabkommen von 2019 unterzeichnet hatten.

Am 3. Oktober 2022 wurden in der Region um Koui drei Angehörige der MINUSCA-Friedenstruppe durch einen selbst gebauten Sprengsatz getötet, ein*e weitere*r wurde schwer verletzt. Nach Angaben des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten wurden zwischen Januar und Oktober 2022 bei 40 Explosionen selbst gebauter Sprengsätze elf Menschen getötet und 42 verletzt.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Am 14. März 2022 wurde Maxime Jeoffroy Eli Mokom Gawaka, ein Anführer der bewaffneten Gruppe Anti-Balaka, von den tschadischen Behörden an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ausgeliefert. Der Beginn der mündlichen Verhandlung zur Bestätigung der Anklage war für den 31. Januar 2023 anberaumt. Ihm wird vorgeworfen, 2013 und 2014 in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Am 26. September 2022 begann vor dem IStGH der Prozess gegen Mahamat Said, einen mutmaßlichen Befehlshaber der bewaffneten Gruppe Seleka. Said muss sich wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.

Das Schwurgericht in der Hauptstadt Bangui hielt im April 2022 die ersten Strafprozesse seit 2020 ab. In 25 Fällen ergingen Schuldsprüche gegen mutmaßliche Mitglieder der bewaffneten Gruppe Coalition des patriotes pour le changement.

Ebenfalls im April 2022 kündigte die Regierung strafrechtliche Ermittlungen im Fall eines tödlichen Angriffs auf Muslim*innen in der Stadt Boyo zwischen dem 6. und 13. Dezember 2021 an. Im Juli veröffentlichte die MINUSCA einen Bericht über die Ereignisse. Die Angreifer hatten mindestens 20 Zivilpersonen – unter ihnen ein zwölfjähriges Mädchen und drei Jungen – getötet und mindestens zwölf Menschen verletzt. Außerdem hatten sie 547 Häuser niedergebrannt und Lebensmittelvorräte geplündert. Wie die MINUSCA berichtete, wurden die Angriffe von der bewaffneten Gruppe Anti-Balaka verübt. Dabei wurden sie von den Streitkräften unterstützt, die Anti-Balaka-Kämpfer in Bambari ausgebildet und am Tag vor dem Angriff in die Gegend um Boyo gebracht hatten.

Vor dem Sondergericht begann im Mai 2022 der erste Prozess. Das Gericht ist ein von den Vereinten Nationen unterstütztes hybrides Gericht, das völkerrechtliche Verbrechen und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen untersuchen und strafrechtlich verfolgen soll, die seit 2003 in der ZAR begangen worden sind. In dem Prozess mussten sich drei Mitglieder der bewaffneten Gruppe 3R verantworten. Ihnen wurde vorgeworfen, im Mai 2019 in den Ortschaften Lemouna und Koundjili Tötungen, Vergewaltigungen und andere unmenschliche Handlungen begangen zu haben. Am 31. Oktober 2022 wurden sie wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden. Das Sondergericht gab außerdem die Festnahme von drei Personen bekannt, die unter Verdacht standen, im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt Verbrechen begangen zu haben. In seinem Bericht vom Juni 2022 gab das Gericht bekannt, dass es mehr als 60 Haftbefehle ausgestellt habe, von denen nur vier vollstreckt worden seien.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Das von den Vereinten Nationen betriebene Informationsmanagementsystem für die Dokumentation von Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentierte zwischen Januar und September 2022 insgesamt 17.831 Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt. Damit waren in diesem Zeitraum bereits mehr Fälle erfasst worden als im gesamten Vorjahr. Die Informationen basierten lediglich auf den gemeldeten Fällen, was nahelegte, dass die tatsächliche Fallzahl weitaus höher lag.

Laut dem Bericht des UN-Generalsekretärs über die Lage in der ZAR dokumentierte die MINUSCA zwischen Juni und Oktober 2022 im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt 47 Fälle von sexualisierter Gewalt. Unter den 70 identifizierten Betroffenen waren 42 Mädchen im Alter von 2 bis 17 Jahren. Die MINUSCA hielt fest, dass alle Konfliktparteien für diese Verbrechen verantwortlich waren.

Recht auf Nahrung

Laut Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen verschärfte sich die Ernährungsunsicherheit in der ZAR infolge der Coronapandemie und des Konflikts in der Ukraine, der zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise führte. Im September 2022 hatten 50 Prozent der Bevölkerung (rund 2,2 Millionen Menschen) nicht genug zu essen. Besonders besorgniserregend war die Lage in den Unterpräfekturen Bakouma, Koui, Ngaoundaye, Obo und Zémio. Hier waren 65 bis 75 Prozent der Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen. Nach Angaben des Welternährungsprogramms waren landesweit 395.000 Kinder unter fünf Jahren chronisch unterernährt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Journalist*innen wurden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht, nur weil sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten.

Vertreter*innen des Radiosenders Ndeke Luka Radio berichteten, das Kommunikationsministerium habe ihnen am 26. September 2022 mitgeteilt, dass der Sender möglicherweise geschlossen werde, sollten die Journalist*innen weiterhin über die Verfassungsreform berichten. Die Medienaufsichtsbehörde übte im Oktober scharfe Kritik daran, dass "politische Stellen" Journalist*innen einschüchterten, drangsalierten und bedrohten.

Todesstrafe

Am 27. Mai 2022 verabschiedete die Nationalversammlung das Gesetz über die Abschaffung der Todesstrafe, das einen Monat später vom Präsidenten verkündet wurde. Damit ist die Todesstrafe in der ZAR abgeschafft. Die letzte Hinrichtung hatte 1981 stattgefunden.

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