Amnesty Report Zentralafrikanische Republik 07. April 2021

Zentralafrikanische Republik 2020

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Bewaffnete Gruppen begingen auch 2020 Kriegsverbrechen und andere Menschenrechtsverstöße. Sexualisierte Gewalt war in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) immer noch weitverbreitet. Die Justiz erzielte wichtige, wenn auch begrenzte Fortschritte im Kampf gegen die Straflosigkeit bei völkerrechtlichen Verbrechen. Das Recht auf Gesundheit war stark eingeschränkt. Ausländische Unternehmen waren für Umweltschäden verantwortlich, die die Land- und Wasserressourcen der Bevölkerung gefährdeten.

Hintergrund

Obwohl die Regierung und 14 bewaffnete Gruppen im Februar 2019 ein Friedensabkommen unterzeichnet hatten, blieb die Sicherheitslage instabil. Bewaffnete Gruppen, unter ihnen die Ex-Séléka- und Anti-Balaka-Milizen, kontrollierten nach wie vor den größten Teil des Landes. Der UN-Sicherheitsrat verlängerte im Juli 2020 das für die ZAR geltende Waffenembargo um ein Jahr. Im November 2020 wurde das Mandat der Mehrdimensionalen integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik (MINUSCA) ebenfalls um ein weiteres Jahr verlängert.

Am 3. Dezember 2020 lehnte das Verfassungsgericht mehrere Kandidaturen für die Präsidentschaftswahl am 27. Dezember ab, darunter die des ehemaligen Präsidenten Francois Bozizé. Am 17. Dezember bildeten mehrere bewaffnete Gruppen die Koalition der Patrioten für den Wandel, um sich der Präsidentschaftswahl zu widersetzen, und führten Angriffe im Westen und Süden des Landes durch.

Menschenrechtsverstöße durch bewaffnete Gruppen

Bewaffnete Gruppen waren für Kriegsverbrechen und andere schwerwiegende Menschenrechtsverstöße, darunter rechtswidrige Tötungen, sexualisierte Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und Angriffe auf Mitarbeiter_innen von humanitären Hilfsorganisationen, verantwortlich. Zu den Haupttätern gehörten die bewaffneten Gruppierungen Front populaire pour la renaissance de la Centrafrique, Mouvement patriotique pour la Centrafrique, Retour, réclamation, réhabilitation (3R), Unité pour la paix en Centrafrique und die Anti-Balaka-Milizen.

Nach Angaben des UN-Sicherheitsrats töteten bewaffnete Gruppen im März 2020 bei einem Angriff auf Ndélé, einer Stadt im Nordosten der ZAR, 18 Zivilpersonen. Zwischen Juni und Oktober 2020 verzeichnete der UN-Generalsekretär 271 Fälle von Menschenrechtsverstößen, einschließlich Morden, Vergewaltigungen und Plünderungen. Im selben Zeitraum dokumentierten die Vereinten Nationen im Zusammenhang mit dem Konflikt 60 Fälle sexualisierter Gewalt. In 55 Fällen handelte es sich um Vergewaltigungen oder Vergewaltigungsversuche, die in einem Fall zum Tod des Opfers führten, sowie um vier Zwangsverheiratungen und in einem Fall um sexuelle Versklavung. Das Land war immer noch eines der gefährlichsten Länder für Mitarbeiter_innen humanitärer Hilfsorganisationen. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) verzeichnete 424 Vorfälle, die sich gegen Mitarbeiter_innen von Hilfsorganisationen und deren Einrichtungen richteten – hauptsächlich Raubüberfälle, Diebstähle und Drohungen –, darunter 59 Fälle im Dezember 2020. Drei Mitarbeiter_innen von Hilfsorganisationen wurden getötet und 29 verletzt.

Die UN-Sachverständigengruppe für die Zentralafrikanische Republik erklärte in ihrem Bericht vom Juni 2020, dass bewaffnete Gruppierungen weiterhin von der Steigerung der Goldförderung profitierten. So mussten die Bergleute in den Präfekturen Nana-Mambéré und Mambéré-Kadéï der bewaffneten Gruppierung 3R Abgaben zahlen. Die Sachverständigengruppe äußerte sich besorgt über Berichte, denen zufolge bewaffnete Gruppen durch illegale, international operierende Schmuggelnetzwerke finanziert und beliefert wurden.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Die überwiegende Zahl der völkerrechtlichen Verbrechen wurde auch 2020 strafrechtlich nicht geahndet. Mehrere Anführer bewaffneter Gruppen hatten Regierungsämter inne, gleichwohl verübten die Mitglieder ihrer Gruppe Menschenrechtsverstöße.

Im Februar 2020 sprach das Strafgericht von Bangui fünf Anti-Balaka-Anführer wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit einem Angriff auf Bangassou schuldig, bei dem im Jahr 2017 mindestens 62 Zivilpersonen und zehn UN-Friedenssicherungskräfte getötet worden waren. Dies war die erste Verurteilung für Verbrechen unter dem Völkerrecht seit Beginn des Konflikts. Während des Gerichtsverfahrens waren jedoch berechtigte Bedenken aufgetaucht, ob die Rechte der Angeklagten sowie der Schutz von Opfern und Zeug_innen genügend berücksichtigt worden waren. Ab März 2020 mussten die Strafgerichte ihre Tätigkeit aussetzen, da aufgrund der Coronapandemie bis zum Jahresende keine Verhandlungen mehr stattfanden.

Das Sondergericht (Cour Pénale Spéciale) bestätigte im September 2020, dass in zehn Fällen Ermittlungen eingeleitet worden seien. Es handelt sich um ein von den Vereinten Nationen unterstütztes hybrides Gericht, das völkerrechtliche Verbrechen und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen untersuchen und strafrechtlich verfolgen soll, die seit 2003 in der ZAR begangen worden sind. Die 2019 und 2020 durchgeführten Ermittlungen führten zur Festnahme von mindestens 21 Männern, die Ende 2020 in Untersuchungshaft waren. Ein Problem bei den Verfahren war jedoch der Mangel an Transparenz; auch wurde die Identität der Inhaftierten nicht öffentlich bekannt gegeben. Zudem kam es zu Verzögerungen bei der Anwerbung und Einstellung von Richter_innen aus dem Ausland und der Einrichtung des Rechtshilfesystems des Sondergerichts.

Alfred Yekatom und Patrice-Edouard Ngaïssona, zwei Anführer von Anti-Balaka-Gruppen, warteten weiter auf ihren Prozessbeginn vor dem Internationen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Sie müssen sich voraussichtlich ab Februar 2021 vor dem IStGH verantworten. Beide Männer waren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhaftet worden. Alfred Yekatom wurde 2018, Patrice-Edouard Ngaïssona 2019 nach Den Haag überstellt.

Geschlechtsspezifische Gewalt

Das von den Vereinten Nationen betriebene Informationsmanagementsystem für die Dokumentation von Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentierte 2.904 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt in der ZAR. Bei 668 Fällen handelte es sich um sexualisierte Gewalt im Zeitraum April bis Juni 2020. Von Januar bis März 2020 waren 1.299 Fälle gemeldet worden. Bei 92 Prozent der Fälle lag Gewalt gegen Frauen und Mädchen vor; 52 Prozent der Fälle ereigneten sich in der Wohnung der Betroffenen und in 63 Prozent der Fälle kannten die Opfer die Täter_innen. Manche Opfer meldeten die Verbrechen jedoch aus Angst vor Repressalien oder Stigmatisierung nicht.

Der UN-Menschenrechtsausschuss veröffentlichte im April 2020 seine abschließenden Beobachtungen zum dritten periodischen Staatenbericht zur ZAR. Darin äußerte der Ausschuss seine Bedenken über diverse Rechtsvorschriften des Strafgesetzbuchs, so auch über den Paragrafen 105, "der es einem Entführer erlaubt, das Opfer zu ehelichen, und damit das Opfer des Rechtes beraubt, den Entführer zu verklagen". Der Ausschuss empfahl der Regierung die Streichung des Paragrafen sowie die Verabschiedung umfassender Antidiskriminierungsgesetze.

Recht auf Gesundheit

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lag die medizinische Versorgung in der ZAR zu 70 Prozent in den Händen humanitärer Hilfsorganisationen. Sie stufte die ZAR als eines der Länder ein, die am wenigsten auf den Umgang mit der Coronapandemie vorbereitet waren. Die WHO berichtete im Oktober 2020, dass die zur Verfügung stehende Schutzausrüstung für das medizinische Personal weniger als ein Drittel des geschätzten Bedarfs abdeckte; außerdem gebe es im ganzen Land lediglich zwei Beatmungsgeräte. Es gab nur vier Zentren für die Behandlung von Covid-19-Erkrankten, die sich alle in der Hauptstadt Bangui befanden. Außerhalb der Hauptstadt gab es sieben Zentren für die Behandlung von leichten und mittelschweren Verläufen, die auch über Quarantäneeinrichtungen verfügten.

Nach Angaben von OCHA war mehr als die Hälfte der Bevölkerung – 2,6 Mio. Menschen – auf humanitäre Hilfe und Schutz angewiesen, und zwar auch die 660.000 Menschen, die – Stand vom 31. Juli 2020 – ihre Heimatregionen aufgrund der Gewalt verlassen mussten. Kinder litten besonders stark unter der katastrophalen humanitären Lage. Jedes 18. Kind hatte ein hohes Risiko, an akuter Mangelernährung zu sterben. Nur jedes zehnte Kind hatte Zugang zu Hygieneeinrichtungen und lediglich ein Drittel der Bevölkerung hatte Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Umweltzerstörung

Im April 2020 starben in der Region Bozoum in einer Woche sieben Menschen. Wie es in Berichten hieß, waren die Ursache für die Todesfälle die Umweltschäden, für die vier Goldminenunternehmen verantwortlich waren, die ihre Schürftätigkeit im April 2020 eingestellt hatten.

Die Unternehmen hatten im Jahr 2018 Bäume gefällt, einen Flussabschnitt des Ouham umgeleitet, das Flussbett ausgebaggert und zerstört zurückgelassen. Die Analyse von Wasserproben belegte, dass die Verseuchung mit Quecksilber weit über den internationalen Sicherheitsstandards lag. Die ansässige Bevölkerung berichtete, dass das Flusswasser verschmutzt sei und die Fischbestände zurückgegangen seien. Die Einwohner_innen des Dorfes Boyele mussten zehn Kilometer zurücklegen, um an sauberes Trinkwasser zu kommen. In dem Gebiet lebende Menschen gaben an, dass einige Personen Hautausschläge bekommen hätten. Weiteren Berichten zufolge war auch die Rate von Fehlgeburten unverhältnismäßig hoch, und einige Babys wurden mit Fehlbildungen geboren.

Nach Angaben der lokalen Bevölkerung war sie nicht zu dem Schürfprojekt konsultiert worden. Im Vorfeld der Ausbaggerung sei keine Studie über die ökologischen und sozialen Auswirkungen durchgeführt worden, die nach Paragraf 34 des Umweltschutzgesetzes vorgeschrieben ist. Ein festgelegtes System, das es der ansässigen Bevölkerung erlauben würde, Entschädigungsansprüche gegen die Landnahme geltend zu machen, gab es nicht.

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