Amnesty Report Usbekistan 07. April 2021

Usbekistan 2020

Blick auf eine Moschee, davor sieht man die Überreste eines Gebäudes. Ein grüner Sichtschutz grenzt die Baustelle ab

"Stadterneuerungsprojekt": Die weiträumige Zerstörung hunderter Wohnhäuser in der usbekischen Hauptstadt Taschkent und in anderen Städten führte zur Protesten innerhalb der Bevölkerung (Archivbild 2020).

In seinem anhaltenden Bemühen, das Ansehen des Landes zu verbessern, trieb der Präsident Reformen voran. Dennoch blieben die Rechte auf Vereinigungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit streng reglementiert. Menschenrechtsverteidiger_innen waren nach wie vor gezielter Überwachung ausgesetzt. Was die Abschaffung von Zwangsarbeit in der Baumwollproduktion betraf, gab es Fortschritte. Sie wurden jedoch durch Schikanen gegen unabhängige Beobachter_innen beeinträchtigt. Die erhebliche Zunahme häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt während der Corona-Pandemie verschärfte sich noch dadurch, dass während des Lockdowns nahezu alle Anlaufstellen für Betroffene geschlossen waren. Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern blieben strafbar. Es lag ein Gesetzentwurf zur Schaffung eines unabhängigen Organs für Folterbeschwerden vor, doch gab es weiterhin Berichte über Folter und andere Misshandlungen sowie Todesfälle in Gewahrsam.

Hintergrund

Zu den Reformvorhaben des Präsidenten gehörte die Einrichtung eines Nationalen Rats für den Bereich internationale Ratings, der die Reformen systematisch auswerten soll, sowie eine Nationale Menschenrechtsstrategie, die Kontrollmechanismen vorsieht, u. a. zur Verhütung von Folter.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Im März 2020 bewilligten die Behörden zum ersten Mal seit 2003 den Antrag der unabhängigen NGO Huquqiy Tanach (Rechtsbeistand) auf Zulassung. Allerdings wurden Anträge anderer unabhängiger Menschenrechtsorganisationen weiterhin abgewiesen oder nicht bearbeitet.

Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen, darunter auch im Exil lebende, waren nach wie vor Ziel geheimer Überwachung und raffinierter Phishing- und Spyware-Angriffe. Die Rechtsgrundlage für diese Überwachung enthielt keine ausreichenden Schutzklauseln gegen Missbrauch. Die Sicherheitsdienste konnten einige Sicherheitstools aushebeln, die politisch engagierte Personen nutzten, um sich gegen Überwachung zu schützen. Außerdem starteten die Sicherheitsdienste eine Kampagne mit verseuchten E-Mails und griffen dabei auf gefälschte Webseiten und Spionagesoftware zurück, die in reguläre Software eingebettet war.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Ein im August 2020 veröffentlichter Gesetzentwurf über öffentliche Versammlungen enthielt drastische Einschränkungen des Rechts auf Versammlungsfreiheit. NGOs, die nicht offiziell registriert waren, sollten demnach keine öffentlichen Versammlungen organisieren oder abhalten dürfen. Laut dem Gesetzentwurf müssten Organisatoren 15 Tage im Voraus eine Genehmigung beantragen. Jede öffentliche Versammlung wäre auf zwei Stunden tagsüber begrenzt, und in einem Umkreis von 300 Metern um bestimmte Einrichtungen würde ein Versammlungsverbot gelten. Der Entwurf definierte auch Flashmobs und Proteste von Einzelpersonen als Versammlungen, was bedeuten würde, dass sich das Recht auf Versammlungsfreiheit faktisch nicht mehr wahrnehmen ließe.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie richtete die Generalstaatsanwaltschaft 2020 eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe ein, um zu überprüfen, ob die sozialen Medien "Falschnachrichten" oder irreführende Informationen über die Ausbreitung des Virus enthielten. Ende März wurde das Strafmaß für die Verbreitung falscher Informationen über die Ausbreitung des Virus durch Änderungen des Strafrechts von fünf auf maximal zehn Jahre Haft erhöht.

Im Mai nahm die Polizei einen jungen Blogger aus Marg'ilon unter dem Vorwurf, er habe in der Öffentlichkeit keine Maske getragen, vorübergehend fest. Er hatte zuvor auf Facebook einen Kommentar gepostet, in dem er einen Artikel empfahl, der den Umgang der lokalen Behörden mit der Pandemie kritisierte.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Die bedeutenden Fortschritte, die bei der Abschaffung der Zwangsarbeit in der Baumwollproduktion erzielt wurden, waren überschattet von andauernden Schikanen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen, die während der Baumwollernte die Umsetzung der von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) empfohlenen Reformen überwachten. Die Polizei in Namangan inhaftierte und verprügelte im Juni 2020 vier unabhängige Beobachter_innen, als diese Jugendliche filmten, die auf den Baumwollfeldern arbeiteten. Die Polizei konfiszierte Kameras, Mobiltelefone und Notizen der Beobachter_innen, unterzog sie zwangsweise einem Corona-Test und stellte sie unter bewachte Quarantäne. Im April hatten die Behörden unter Verweis auf eine von der Corona-Pandemie verursachte wirtschaftliche Notlage Druck auf die Baumwollkampagne (Cotton Campaign) ausgeübt, um zu erreichen, dass diese ihren Aufruf zum Boykott usbekischer Baumwolle einstellt.

Diskriminierung

 Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern blieben strafbar, obwohl die Behörden eine Reform des Strafrechts versprochen hatten. Ein Mitglied der usbekischen UN-Delegation erklärte im September 2020, dass nicht-heterosexuelle Beziehungen den "traditionellen" Werten widersprächen und die Bevölkerung für eine Entkriminalisierung noch nicht bereit sei. Sendungen im nationalen Fernsehen stigmatisierten Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI) und bezeichneten sie als "gefährlichen ausländischen Einfluss".

Während der Corona-Pandemie waren LGBTI beim Zugang zur Gesundheitsfürsorge noch stärker diskriminiert als ohnehin, und speziell für Jugendliche bestand die Gefahr häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt während des Lockdowns. Sie konnten nicht auf Angebote und die Unterstützung der LGBTI-Community zurückgreifen, da sie ihr Zuhause nicht verlassen konnten, und waren gezwungen, mit Angehörigen zusammenzuleben, die sie nicht unterstützten und/oder schlecht behandelten.

Rechte von Frauen

Häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt nahm während der Pandemie erheblich zu. Nach Angaben von Menschenrechtsverteidiger_innen wurde das Problem noch dadurch verschärft, dass während des Lockdowns und anderer einschränkender Maßnahmen von 197 nationalen Anlaufstellen nur fünf geöffnet hatten.Im Juli 2020 erlebte eine Gruppe engagierter junger Frauen Beschimpfungen, Gewaltandrohungen und andere heftige Reaktionen in den sozialen Medien, als sie einen Flashmob organisierten, um gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung zu protestieren. Anlass war ein gewaltsamer Angriff auf ein 17-jähriges Mädchen, der landesweit für Schlagzeilen sorgte. Im August wurde die Protestaktion in einer Sendung des staatlichen Fernsehens als gefährlich angeprangert, und den jungen Frauen wurde vorgeworfen, sie würden die "traditionellen" Werte nicht respektieren.

Folter und andere Misshandlungen

Im Mai 2020 bekundeten die Behörden ihre Absicht, unabhängige Organe einzurichten, um Folterbeschwerden nachzugehen, Opfern und deren Angehörigen wirksame Entschädigungen und Wiedergutmachung zukommen zu lassen sowie Hafteinrichtungen zu überwachen, um Folter und andere Misshandlungen zu verhindern. Die Ankündigung erfolgte nach einem Beschluss des Präsidenten über zusätzliche Maßnahmen, um Folter effektiver zu verhüten.

Dennoch gingen weiterhin Berichte über Folter ein. Im Juli leiteten die Behörden Ermittlungen zum Tod von drei Männern ein, die im Januar, Juni und Juli in der Haft bzw. in Polizeigewahrsam gestorben waren, und klagten die mutmaßlichen Täter wegen Folter an. Im September wurden fünf Polizisten schuldig gesprochen, Yusuf Abdurakhmanov im Januar gefoltert zu haben, und zu Haftstrafen von bis zu neun Jahren verurteilt. Bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung hatte man an der Innenseite einer Gasmaske Blutspuren gefunden, die von Yusuf Abdurakhmanov stammten. Im November verurteilte das Bezirksgericht von Andischan fünf Polizisten zu zehn Jahren Gefängnis wegen der Folterung von Alijon Abdukarimov.

Straflosigkeit

Im März 2020 sprach ein Gericht in der Provinz Qashqadaryo in einem Wiederaufnahmeverfahren den Menschenrechtsverteidiger und Folterüberlebenden Chuyan Mamatkulov von sämtlichen Vorwürfen frei und hob seine Strafe auf. Im Oktober sprach ihm das Oberste Gericht eine finanzielle Entschädigung zu. Andere Menschenrechtsverteidiger_innen erhielten jedoch nicht das Recht, ihre Verurteilungen anzufechten, obwohl überzeugende Beweise dafür vorlagen, dass die Vorwürfe gegen sie konstruiert waren und man sie gefoltert hatte, um "Geständnisse" zu erzwingen.

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