Amnesty Report Uruguay 28. März 2023

Uruguay 2022

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Vulnerable Bevölkerungsgruppen litten noch immer unter den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie. Mehrere Angriffe auf Journalist*innen und Medienschaffende verdeutlichten die Bedrohung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Beispiellos hohe Inhaftierungsraten führten zu unmenschlichen Haftbedingungen, und die Zahl der Todesfälle in den Gefängnissen war nach wie vor bedenklich. Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen nahm weiter rasant zu, und die Zahl der gemeldeten Femizide und Kindstötungen stieg an. Zwar wurden mehrere Militärangehörige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Militärregierung (1973–1985) strafrechtlich verfolgt, doch gab es keine wesentlichen Fortschritte bei der Klärung des Schicksals der Menschen, die seinerzeit Opfer des Verschwindenlassens geworden waren.

Hintergrund

Infolge der Coronapandemie verschärften sich die sozioökonomischen Ungleichheiten weiter. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen waren in Uruguay 7,3 Prozent der Bevölkerung stark von Ernährungsunsicherheit betroffen. Im Oktober 2022 veröffentlichte die Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität UDELAR einen Bericht, dem zufolge die Zahl der Lebensmittelausgabestellen für Bedürftige im Vergleich zu 2021 zurückgegangen, die Zahl der monatlich ausgegebenen Portionen von geringfügigen Schwankungen abgesehen jedoch gleich geblieben war.

Nachdem in der zweiten Jahreshälfte der persönliche Leibwächter des Präsidenten wegen Ausstellung gefälschter Pässe angeklagt worden war, kamen noch weitere Missstände ans Licht, die eine institutionelle Krise im Land befürchten ließen. So sollen zwei ehemalige oppositionelle Senatoren ausspioniert und Zivilpersonen rechtswidrig überwacht worden sein, und der Polizei wurde Korruption vorgeworfen.

Die Wahl des neuen Vorstands der nationalen Menschenrechtsinstitution im August 2022 erfolgte nicht nach den vorgeschriebenen rechtlichen Verfahren und wurde durch die Einmischung politischer Parteien beeinträchtigt. Lokale Organisationen und das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte wiesen darauf hin, dass dies die Institution schwäche. Einige Staatsanwält*innen übten öffentlich Kritik an der Einmischung und den Ermittlungen durch die Exekutivorgane der Staatsanwaltschaft.

Bei der Überprüfung Uruguays durch die UN-Ausschüsse zur Verhütung von Folter, für Menschenrechte und gegen das Verschwindenlassen wurden Schwächen beim Nationalen Mechanismus für die Berichterstattung und die Umsetzung von Empfehlungen (Mecanismo Nacional para la Elaboración de Informes y Seguimiento de Recomendaciones) sowie ein Mangel an Dialog mit der Zivilgesellschaft festgestellt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Uruguay fiel in der Rangliste der Pressefreiheit der NGO Reporter ohne Grenzen um 26 Plätze von Rang 18 auf Rang 44.

Einem 2022 veröffentlichten Bericht zufolge wurden im Jahr 2021 gegen mindestens zwei Journalist*innen und Medienunternehmen wegen des Gegenstands ihrer Recherchearbeit juristische Schritte eingeleitet. Außerdem wurden 51 Fälle von Drohungen gegen Journalist*innen gemeldet. Staatsbedienstete, Minister*innen und Senator*innen äußerten sich immer wieder abfällig über Journalist*innen und Medien.

Im Juli 2022 äußerte der UN-Menschenrechtsausschuss Besorgnis über die Zunahme von Strafverfolgungen, Drohungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit.

Im September 2022 forderte die Polizeigewerkschaft das Innenministerium auf, den Hinweisen, dass die Mobiltelefone vieler Polizist*innen abgehört worden seien, schnellstmöglich nachzugehen. Im Dezember waren Journalist*innen der Zeitung El Observador gezwungen, Informationen von großem öffentlichem Interesse über Kanäle außerhalb ihrer eigenen Medienanstalt zu verbreiten, was ihr Recht auf Pressefreiheit beeinträchtigte. Es handelte sich hierbei um Informationen über den möglicherweise unverantwortlichen und gefährlichen Einsatz des Staatssicherheitssystems für illegale Überwachung und Spionage.

Die nationale Behörde für das öffentliche Bildungswesen untersagte Schüler*innen in Montevideo Demonstrationen in Sekundarschulen, mit denen sie eine bessere Finanzierung der Schulen fordern wollten. Die Behörden drohten damit, protestierende Schüler*innen unter Einsatz der Polizei zu vertreiben.

Zugang zu öffentlichen Informationen

Einige NGOs berichteten, dass ihre Anträge auf Zugang zu öffentlichen Informationen nicht oder nur unzureichend beantwortet würden. Ein Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes Nr. 18.381 über den Zugang zu öffentlichen Informationen war Ende 2022 noch im Parlament anhängig. Sollte der Gesetzesvorschlag angenommen werden, würde das die Transparenz noch weiter beeinträchtigen.

Im September 2022 wurde der Leibwächter des Präsidenten wegen Dokumentenfälschung angeklagt. Während der Verlesung der Anklage durften weder die Presse noch die Öffentlichkeit im Gerichtssaal anwesend sein, was gegen die Bestimmungen der Strafprozessordnung über öffentliche Gerichtsverfahren verstieß.

Unmenschliche Haftbedingungen

Die ohnehin prekären Haftbedingungen verschlechterten sich im Laufe des Jahres weiter. Die Gefängnisse waren stark überbelegt; die Zahl der Inhaftierten erreichte 120 Prozent der vorgesehenen Kapazität. Nach Angaben des parlamentarischen Beauftragten für den Strafvollzug (Comisionado Parlamentario para el Sistema Penitenciario) stieg die Zahl der Gefangenen bis Ende 2022 auf 14.497 an. Im Laufe des Jahres starben 42 Personen in Gewahrsam.

Laut dem Büro des Strafvollzugsbeauftragten hatte Uruguay im Jahr 2022 mit 411 pro 100.000 Einwohner*innen die höchste Pro-Kopf-Inhaftierungsrate in Südamerika. Vor dem Hintergrund starker Überbelegung und unhygienischer Bedingungen kam es zu 13 Todesfällen in Gewahrsam, die nicht auf Gewalt zurückzuführen waren. Die Zahl der inhaftierten Frauen stieg weiter an und betrug 1.034.

Straflosigkeit

Es ergingen Urteile gegen 14 derzeitige oder pensionierte Angehörige des Militärs und der Polizei wegen Folter, Entführungen und Tötungen unter der Militärregierung in den 1970er- und 1980er-Jahren. Die Behörden erzielten keine wesentlichen Fortschritte bei der Suche nach den Opfern des Verschwindenlassens aus dieser Zeit, da sich an den Ausgrabungsstätten keine neuen Beweise fanden und die mutmaßlich Verantwortlichen keine neuen Angaben machten.

Im Parlament wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt, dem zufolge Häftlinge über 65 Jahre unter Hausarrest gestellt werden sollen. Sollte der Gesetzesvorschlag angenommen werden, könnten bis zu 200 Personen davon profitieren, darunter mehr als 20, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit inhaftiert sind. Es gab Befürchtungen, dass Personen, die ihre Strafe wegen völkerrechtlicher Verbrechen während der Militärregierung erhalten hatten, dadurch effektiv begnadigt würden.

Recht auf Gesundheit

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums stieg die Selbstmordrate in der ersten Jahreshälfte 2022 um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum an. Die Tatsache, dass fünf Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes zur psychischen Gesundheit (Gesetz Nr. 19.529) noch immer keine ordnungsgemäße Umsetzung erfolgt war, wirkte sich negativ auf den Zugang zu psychosozialen Diensten aus.

Gewalt gegen Frauen

Nach Angaben der Beobachtungsstelle für geschlechtsspezifische Gewalt und Zugang zur Justiz nahm die Zahl der Femizide im Jahr 2022 zu. Es wurden 24 Femizide verzeichnet. Mindestens acht Kinder wurden bei Vorfällen im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt, zumeist Femiziden, getötet. Die Umsetzung des Gesetzes über geschlechtsspezifische Gewalt (Gesetz Nr. 19.580) stockte, da die erforderlichen Mittel für die Einrichtung von Gerichten, die sich mit allen Arten von Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt befassen können, nicht bereitgestellt wurden.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im Hinblick auf das Problem der Schwangerschaften von unter 15-Jährigen waren nach wie vor keine wesentlichen Fortschritte gemacht worden. Nach Angaben der staatlichen Gesundheitsbehörde wurden im Jahr 2021 insgesamt 108 Mädchen unter 15 Jahren schwanger; 50 von ihnen brachten ihr Kind zur Welt und 58 brachen die Schwangerschaft ab. Die meisten dieser Schwangerschaften standen im Zusammenhang mit Gewalt und sexuellem Missbrauch.

Es wurden weder umfassende Programme zur Sexualerziehung verpflichtend eingeführt, noch gab es Überlegungen, die Lehrpläne in öffentlichen, privaten, kirchlichen und säkularen Grund- oder Sekundarschulen zu ändern.

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