Amnesty Report Tschad 29. März 2022

Tschad 2021

Sechs uniformierte Soldaten tragen einen Sarg, der mit der tschadischen Flagge umwickelt ist.

Beerdigung des tschadischen Präsidenten Idriss Deby Itno am 23. April 2021 in N Djamena. Er wurde bei Kämpfen gegen die politische und militärische Organisation FACT getötet.

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Die Unterdrückung von Regierungskritiker_innen hielt an. Die Behörden nahmen Menschenrechtsverteidiger_innen und Aktivist_innen der Zivilgesellschaft willkürlich fest und verletzten das Recht auf freie Meinungsäußerung. Einige Proteste wurden verboten, und die Sicherheitskräfte setzten exzessive Gewalt gegen Personen ein, die sich dem Verbot friedlich widersetzten. Frauen und Mädchen waren weiterhin von Gewalt und Diskriminierung betroffen. Ein großer Teil der Bevölkerung verfügte nach wie vor nicht über ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung.

Hintergrund

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom 11. April 2021 organisierte eine aus Oppositionsparteien, Gewerkschaften und NGOs bestehende zivilgesellschaftliche Plattform mit dem Namen Wakit Tama ("Die Zeit ist gekommen") Proteste gegen den Wahlprozess, den sie als intransparent und nicht inklusiv ansah. Ab April 2021 verübte die in Libyen ansässige tschadische bewaffnete Gruppe Front pour l’alternance et la concorde au Tchad (FACT) mehrere Anschläge im Norden und Westen des Landes. Noch bevor die Wahlkommission die Wiederwahl von Präsident Idriss Déby Itno für eine sechste Amtsperiode offiziell bekannt geben konnte, wurde er bei einem Besuch im Kampfgebiet getötet. Nach seinem Tod wurde ein von seinem Sohn Mahamat Idriss Déby geleiteter militärischer Übergangsrat (Conseil militaire de transition) eingesetzt.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Im Juni 2021 wurde Baradine Berdeï Targuio, Präsident der Menschenrechtsorganisation CTDDH (Convention Tchadienne pour la Défense des Droits Humains), auf Bewährung aus der Haft entlassen. Er war am 24. Januar 2020 festgenommen und zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden, nachdem er in einem Facebook-Post geschrieben hatte, dass Präsident Idriss Déby krank sei. Er war fast sieben Monate lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft, bevor er im August 2020 wegen Verstoßes gegen die nationale Sicherheit, illegalen Waffenbesitzes und Körperverletzung angeklagt wurde. Es blieb unklar, unter welchen Auflagen seine Freilassung erfolgte.

Mahamat Nour Ibedou, Generalsekretär der CTDDH, der an mehreren regierungskritischen Demonstrationen der Wakit-Tama-Koalition teilnahm, wurde von den Justizbehörden schikaniert. Er wurde wegen seiner Beteiligung an den Demonstrationen mehrmals vorgeladen und im März 2021 während einer Protestveranstaltung gegen die Kandidatur von Idriss Déby Itno festgenommen. Nach drei Tagen in Haft kam er ohne Anklageerhebung frei. Nach einer vom Ministerium für öffentliche Sicherheit eingelegten Beschwerde wegen einer von Mahamat Nour Ibedou abgegebenen Erklärung, in der er die Haftbedingungen von Mitgliedern der FACT angeprangert hatte, wurde er im Juli erneut vorgeladen.

Exzessive Gewaltanwendung und Recht auf Versammlungsfreiheit

Zwischen Januar und Mai 2021 verweigerten die tschadischen Behörden den Menschen ihr Recht auf friedliche Versammlung, indem sie Versammlungen systematisch mit der Begründung verboten, dass dadurch die öffentliche Ordnung gestört werden könnte. Trotz des Verbots kam es zu Protesten gegen den Wahlprozess und später gegen die Einsetzung der Übergangsregierung. Die Sicherheitskräfte wandten unverhältnismäßige Gewalt an, um die friedlichen Proteste aufzulösen.

Im Februar 2021 wurden mindestens 14 Demonstrierende in der Hauptstadt N’Djamena festgenommen und wegen "Körperverletzung, Störung der öffentlichen Ordnung und Zerstörung von Staatseigentum" angeklagt. Sie kamen einige Tage später wieder frei. Im selben Monat verschafften sich Sicherheitskräfte gewaltsam Zutritt zu dem Haus eines politischen Oppositionellen, weil dieser sich offenbar geweigert hatte, mehreren gerichtlichen Vorladungen Folge zu leisten. Laut Angaben lokaler Menschenrechtsorganisationen kamen bei dem Angriff zwei seiner Familienangehörigen zu Tode, die sich in dem Haus aufhielten.

Im April und Mai 2021 wurden bei den von der Wakit-Tama-Koalition organisierten Protesten in N’Djamena und der südlichen Stadt Moundou mindestens 16 Demonstrierende getötet. Zahlreiche weitere wurden verletzt und mindestens 700 Menschen festgenommen. Viele der Festgenommenen kamen unmittelbar nach den Protesten wieder frei. Mehrere Personen sagten aus, dass Ordnungskräfte sie während der Demonstration mit tödlichen Waffen angegriffen hätten. Die Behörden kündigten eine gerichtliche Untersuchung dieser Vorfälle an. Ein Polizist, der einen Schuss aus seiner Waffe abgegeben haben soll, wurde vom Dienst suspendiert. Am Jahresende waren keine weiteren Informationen über den Fortgang der Untersuchung verfügbar.

Im Mai 2021 erlaubte die Übergangsregierung eine Demonstration zur Unterstützung der Behörden, während eine von Wakit Tama organisierte Protestkundgebung untersagt wurde.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen und Mädchen waren auch 2021 von Diskriminierung und Gewalt betroffen. Im Juni 2021 gingen Frauen gegen sexualisierte Gewalt und eine Kultur der Straflosigkeit auf die Straße, nachdem die Gruppenvergewaltigung eines 15-jährigen Mädchens gefilmt und über die Sozialen Medien verbreitet worden war.

Laut Angaben des Weltwirtschaftsforums ist die Einschulung von Mädchen in die Sekundarstufe kontinuierlich von 31 Prozent im Jahr 2017 auf 12 Prozent im Jahr 2021 gesunken. Demgegenüber erhielten 25 Prozent der Jungen im Jahr 2021 eine Sekundarausbildung. Der Rückgang bei Mädchen war teilweise auf die landesweiten Schulschließungen in den Jahren 2020/21 aufgrund der Coronapandemie zurückzuführen. Mehrere Organisationen stellten in diesem Zeitraum einen Anstieg der Zahl der Früh- und Zwangsverheiratungen fest.

Recht auf Nahrung

Laut Angaben des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten waren 5,5 Millionen Menschen im Tschad von Ernährungsunsicherheit und Unterernährung betroffen, darunter 1,7 Millionen in schwerer Form. In Provinzen, in denen die Ernten aufgrund der Aktivitäten bewaffneter Gruppen eingestellt werden mussten und die Menschen vertrieben wurden, blieb die Lage prekär. Darüber hinaus waren 1,7 Millionen Menschen von medizinischen Notfällen betroffen, darunter Kinder sowie schwangere und stillende Frauen.

Recht auf Gesundheit

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des tschadischen Gesundheitsministeriums brach im Tschad eine Masernepidemie mit 264 bestätigten Fällen und 15 Todesopfern aus. Am stärksten betroffen waren die südlichen Provinzen. Aufgrund der niedrigen Impfquote bestand die Gefahr eines weiteren Ausbruchs.

Der Nationale Ausschuss zur Epidemiebekämpfung verzeichnete im Laufe des Jahres mindestens 350.000 bestätigte Malariafälle, die 546 Todesfälle zur Folge hatten. Diese hohe Zahl überforderte die Krankenhäuser, die aufgrund von Bettenmangel nicht alle Patienten behandeln konnten. Das Gesundheitsministerium desinfizierte mehrere Stadtteile von N’Djamena und verteilte imprägnierte Moskitonetze.

Bis Dezember 2021 wurden im Tschad 6.185 Covid-19-Erkrankungen und 184 damit zusammenhängende Todesfälle verzeichnet. Zum selben Zeitpunkt belief sich die Zahl der Geimpften auf 367.000 Personen, doch nur 80.663 Menschen waren vollständig geimpft, bei einer geschätzten Bevölkerung von 17 Millionen. Der Tschad profitierte von der COVAX-Initiative und startete seine Impfkampagne im Juni 2021 in N’Djamena, Moundou und Abéché. Im Oktober meldete die WHO, dass es 63 Impfstellen im Tschad gebe.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Im August 2021 starb der ehemalige Präsident Hissène Habré im Senegal. Am 27. April 2017 war seine Verurteilung und lebenslange Freiheitsstrafe wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter, einschließlich sexueller Sklaverei, von der Berufungskammer der Außerordentlichen Afrikanischen Kammern in der senegalesischen Hauptstadt Dakar bestätigt worden. Er war zudem zur Zahlung von rund 150 Mio. US-Dollar Entschädigung an die Betroffenen aufgefordert worden. Darüber hinaus wurde ein von der Afrikanischen Union eingerichteter Treuhandfonds für die Betroffenen damit beauftragt, das Eigentum von Hissène Habré ausfindig zu machen, einzufrieren und zu beschlagnahmen sowie auch freiwillige Beiträge von Staaten und anderen Stakeholdern zu erbitten. Trotz dieser vielversprechenden Ankündigungen hatten die Betroffenen jedoch bis Ende 2021 noch keine Entschädigung erhalten.

Ein Gerichtsbeschluss aus dem Jahr 2015, dem zufolge der tschadische Staat gemeinsam mit 20 wegen Mordes und Folter verurteilten Sicherheitskräften der Regierung von Hissène Habré die Betroffenen entschädigen sollte, war laut Angaben von Rechtsbeiständen noch immer nicht umgesetzt worden.

Weitere Artikel