Amnesty Report Tansania 28. März 2023

Tansania 2022

Zwei protestierende Männer, im Hintergrund ein Transparent

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Die Regierung hielt auch 2022 an einem Pauschalverbot von Kundgebungen und anderen politischen Aktivitäten seitens politischer Parteien fest. Das Verbot war 2016 von dem damaligen Präsidenten Magufuli erlassen worden. Die Behörden nahmen weiterhin Onlinemedien ins Visier und griffen dabei trotz früherer Versprechen, die Mediengesetze zu reformieren, auf repressive Regelungen zurück. Im Bezirk Loliondo in der nördlichen Region Arusha gingen die Sicherheitskräfte bei rechtswidrigen Zwangsräumungen mit exzessiver Gewalt gegen die indigene Gemeinschaft der Massai vor und versuchten Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen einzuschüchtern. Die Entscheidung, das diskriminierende Schulbesuchsverbot für schwangere Minderjährige und minderjährige Mütter aufzuheben, wurde nicht umgesetzt. Die Regierung stand weiterhin zu den Plänen für den Bau der Ostafrikanischen Rohölpipeline (EACOP), obwohl die Pipeline eine potenzielle Bedrohung für die Umwelt, die Lebensgrundlagen und die Gesundheit der ansässigen Bevölkerung darstellt. Einzelpersonen und Organisationen, die mit ihren Klagen vor tansanischen Gerichten erfolglos waren, hatten keine Möglichkeit, sich direkt an den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker zu wenden.

Hintergrund

In ihrem ersten Jahr als Präsidentin unternahm Samia Suluhu Hassan mindestens 21 Reisen in benachbarte und weitere Länder, um die internationalen Beziehungen Tansanias zu verbessern und Gelder für die Entwicklung des Landes zu mobilisieren. Dies stand in krassem Gegensatz zur Politik ihres 2021 verstorbenen Amtsvorgängers John Pombe Magufuli, der von Auslandsreisen abgeraten und Tansania von den Nachbarländern und der internationalen Gemeinschaft isoliert hatte.

Im März 2022 akzeptierte Tansania 187 der 252 Empfehlungen, die 92 Staaten im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat (UPR-Prozess) ausgesprochen hatten. Dazu gehörte auch die Empfehlung zur Umsetzung des nationalen Menschenrechtsrahmens. Zur Kenntnis nahm Tansania Empfehlungen zur Beendigung der Einschüchterung und Drangsalierung von Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen, zivilgesellschaftlich engagierten Personen und Journalist*innen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Am 10. Februar 2022 gaben die Behörden den Zeitungen Tanzania Daima, Mawio, Mwanahalisi und Mseto ihre Veröffentlichungslizenzen zurück. Die Blätter waren 2016 bzw. 2017 verboten worden, weil sie über mutmaßliche Korruption und Menschenrechtsverletzungen berichtet hatten. Wegen gleichlautender Vorwürfe hatte auch die Wochenzeitung Raia Mwema 2017 ein dreimonatiges und 2021 ein einmonatiges Veröffentlichungsverbot erhalten.

Trotz dieses positiven Schritts und der in früheren Jahren gegebenen Versprechen, die Mediengesetze zu reformieren, nutzten die Behörden weiterhin das repressive Gesetz über Mediendienstleistungen (Media Services Act) von 2016, um die Medienfreiheit einzuschränken. Sie benutzten zudem Internetgesetze wie das Kommunikationsgesetz (Electronic and Postal Communications [Online Content] Regulations) aus dem Jahr 2020, um online geäußerte Meinungen zu unterdrücken.

Am 1. Juli 2022 sprach die tansanische Kommunikationsaufsichtsbehörde (Tanzania Communications Regulatory Authority – TCRA) gegen den Online-Nachrichtendienst DarMpya ein vorübergehendes Veröffentlichungsverbot aus. Die Behörde begründete die Maßnahme mit "Beschwerden (...) über die Inhalte von DarMpya". Dies bezog sich auf die Berichterstattung über eine Protestveranstaltung der indigenen Massai. Am 14. Juli ließ die Aufsichtsbehörde jedoch die Anschuldigungen im Zusammenhang mit dem Beitrag fallen und erklärte, dass die Online-Plattform den Betrieb fortsetzen dürfe, sobald DarMpya seine abgelaufene Lizenz erneuert habe. Ende 2022 hatte die TCRA auf entsprechende Anträge von DarMpya noch immer nicht reagiert.

Am 9. September 2022 belegte die TCRA ZamaMpya TV Online wegen der Veröffentlichung von Ansichten des bekannten Musikers Seleman Msindi, der Kritik an den Steuervorschriften und der Verwendung der Steuereinnahmen durch die Regierung geübt hatte, mit einer Geldstrafe in Höhe von 2 Mio. Tansania-Schilling (etwa 810 Euro).

Der kenianische Journalist Pastor Julius Kuyioni wurde am 7. Juli 2022 auf dem Weg nach Loliondo wegen mutmaßlicher illegaler Einreise festgenommen. Die Festnahme fiel mit den Versuchen der Behörden zusammen, Journalist*innen von der Berichterstattung über die Proteste der Massai in Loliondo abzuhalten (siehe "Rechtswidrige Zwangsräumungen"). Die Polizei ließ Pastor Julius Kuyioni am 5. August frei und eskortierte ihn in die Stadt Namanga an der Grenze zu Kenia.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Am 4. März 2022 ließen die Behörden Freeman Mbowe, den Vorsitzenden der Oppositionspartei Chadema, nach mehr als sieben Monaten in Haft frei. Die Kammer für Korruption und Wirtschaftskriminalität des Hohen Gerichts hatte seine Freilassung sowie die Freilassung der drei Mitangeklagten Halfan Bwire Hassan, Adam Hassan Kasekwa und Mohammed Abdillahi Ling’wenya angeordnet, nachdem die Generalstaatsanwaltschaft die gegen sie erhobenen Terrorismusvorwürfe fallen gelassen hatte. Freeman Mbowe war 2021 in der Stadt Mwanza im Vorfeld einer öffentlichen Kundgebung, die Verfassungsreformen forderte, festgenommen worden.

Die staatlichen Stellen verletzten weiterhin das Recht auf Vereinigungsfreiheit, indem sie politischen Parteien die Organisation von Kundgebungen und anderen Aktivitäten bis zu den Wahlen im Jahr 2025 untersagten. Die Polizei griff das gesamte Jahr über auf dieses von Präsident Magufuli 2016 erlassene Verbot sowie auf Gesetze über öffentliche Versammlungen zurück, um Versammlungen der Opposition einzuschränken.

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Am 7. Juni 2022 trafen Angehörige des Militärs, der Polizei und der Verwaltungsbehörde des Naturschutzgebietes Ngorongoro im Bezirk Loliondo (Region Arusha) ein, um die rechtswidrige Zwangsräumung von Angehörigen der Gemeinschaft der Massai vorzubereiten. Die Behörden hatten im Vorfeld weder angemessene Konsultationen mit der Gemeinschaft durchgeführt noch sie rechtzeitig informiert und ihnen auch keine angemessene Entschädigung angeboten. Geplant war die Beschlagnahmung von 1.500 Quadratkilometern angestammten Landes von über 70.000 Massai, um Raum für ein Tourismusprojekt zu schaffen.

Am 9. Juni 2022 versammelten sich Angehörige der Massai aus den Dörfern Ololosokwan, Oloirien, Kirtalo und Arash in Loliondo, das an den Serengeti-Nationalpark grenzt, um gegen die Errichtung von Grenzmarkierungen zu protestieren. Sie entfernten die Markierungen, die von den Sicherheitskräften an den Grenzen des Weidelandes, auf das die Massai Anspruch erheben, aufgestellt worden waren. Die Sicherheitskräfte griffen die Demonstrierenden mit Tränengas und Schusswaffen an, wobei ein Polizist durch einen Pfeil getötet wurde und mindestens 32 Massai durch Schüsse Verletzungen erlitten. In den Tagen und Wochen nach der Zwangsräumung beschlagnahmten die Sicherheitskräfte auch Vieh, darunter Hunderte Kühe und Schafe, die der Gemeinschaft gehörten. Berichten zufolge wurden die Massai aufgefordert, zwischen 25.000 Tansania-Schilling (etwa 10 Euro) und 100.000 Tansania-Schilling (etwa 40 Euro) für die Rückgabe ihrer Tiere zu zahlen.

Am 30. September 2022 entschied der Ostafrikanische Gerichtshof (East African Court of Justice – EACJ) über eine von den Massai im Jahr 2017 eingereichte Klage, in der diese argumentiert hatten, dass sie die rechtmäßig eingetragenen Eigentümer des Landes seien und dass die Regierung bei ihrer Vertreibung im August 2017 Gewalt angewendet habe. Das Gericht entschied, dass die Kläger*innen keine ausreichenden Beweise dafür vorgelegt hätten, dass die Behörden sie von ihrem Dorfgrundstück und nicht aus dem Serengeti-Nationalpark vertrieben hatten. Angehörige der Gemeinschaft der Massai sowie NGOs waren der Ansicht, dass das Gerichtsurteil staatlicher Gewalt und Zwangsräumungen Vorschub leistete.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Am 16. Juni 2022 klagten die Behörden 20 Angehörige der Gemeinschaft der Massai aus Loliondo des Mordes an einem Polizisten an, der bei einer gewaltsamen Zwangsräumung ums Leben gekommen war (siehe "Rechtswidrige Zwangsräumungen"). Neun von ihnen waren Sprecher*innen der Gemeinschaft, die bereits einen Tag vor der Tötung des Polizisten festgenommen worden waren. Am 22. Juni änderte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift und fügte fünf weitere Beschuldigte und eine zusätzliche Anklage wegen "Verabredung zum Mord" hinzu. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden noch zwei weitere Personen in die Anklageschrift aufgenommen. Am 28. Juli wurden drei der 27 Inhaftierten von der Generalstaatsanwaltschaft aus humanitären Gründen freigelassen. Die übrigen blieben im Kisongo-Gefängnis in Arusha inhaftiert, bis das zuständige Gericht von Arusha am 22. November sämtliche Anklagepunkte gegen sie fallenließ und sie freigelassen wurden.

Rechte von Frauen und Mädchen

Die Behörden untersagten schwangeren Minderjährigen und minderjährigen Müttern weiterhin den Besuch regulärer Schulen, obwohl die Regierung 2021 die Aufhebung des Verbots verkündet hatte. Allerdings durften etwa 3.300 schwangere Minderjährige und minderjährige Mütter ihre Schulbildung im Rahmen informeller Bildungsangebote fortsetzen, z. B. am Institut für Erwachsenenbildung im Rahmen des Programms zur Verbesserung der Qualität der Sekundarschulbildung.

Die Behörden hatten das Verbot des Schulbesuchs seit 2017 unter Berufung auf das Bildungsgesetz aus dem Jahr 2002 umgesetzt. Darin heißt es, dass Schüler*innen, die "gegen die Moral verstoßen", vom Schulbesuch ausgeschlossen werden können. Nach Schätzungen der Weltbank waren seither jedes Jahr fast 8.000 Mädchen gezwungen, die Schule zu verlassen. Der Entscheidung für die Aufhebung des Verbots ließ die Regierung im Jahr 2022 noch keine Taten folgen.

Umweltzerstörung

Tansania beteiligte sich weiterhin an den Plänen zum Bau der 1.443 km langen Ostafrikanischen Rohölpipeline (EACOP), die Rohöl von den Ölfeldern am Albertsee im Westen Ugandas zum Hafen von Tanga an der Nordküste Tansanias transportieren soll. Am 1. Februar 2022 gaben die Anteilseigner der Pipeline, darunter TotalEnergies, die Uganda National Oil Company, die Tanzania Petroleum Development Corporation und die China National Offshore Oil Corporation, die endgültige Investitionsentscheidung und den Start des Pipelineprojekts bekannt. Das Projekt umfasst eine Gesamtinvestition von rund 23,4 Billionen Tansania-Schilling (etwa 9,5 Mrd. Euro) (siehe Länderkapitel Uganda).

Die Regierungen Ugandas und Tansanias verteidigten EACOP mit dem Argument, dass die Pipeline für die Entwicklung beider Länder notwendig sei. Nationale und internationale Aktivist*innen für Klimagerechtigkeit und zivilgesellschaftliche Gruppen stellten das Projekt jedoch infrage. Die Pipeline sei ökologisch bedenklich und gefährde die Lebensgrundlage, die Ernährungssicherheit und die Gesundheit der betroffenen Gemeinschaften, einschließlich der indigenen Bevölkerung. Sie machten außerdem geltend, dass die Pipeline unverhältnismäßig viele negative Auswirkungen auf Frauen haben würde und Anwohner*innen durch sie vertrieben würden, da die Pipeline durch Siedlungen, Wildtierreservate, landwirtschaftliche Flächen, Wasserquellen und Grundwasserspiegel verlaufen solle.

Die Umwelt- und Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature hatte 2017 eine vorläufige ökologische und sozioökonomische Gefahrenanalyse der potenziellen Auswirkungen des Projekts vorgenommen. Darin wurde gefolgert, dass EACOP "eine erhebliche und mitunter massive Gefahr für Umweltgüter und in der Folge für die Menschen in der Region darstellt." Eine von zivilgesellschaftlichen Gruppen aus Kenia, Uganda und Tansania beim EACJ eingereichte Klage, mit der eine einstweilige Verfügung zur Verhinderung der Pipeline erreicht werden sollte, war nach zwei Jahren immer noch anhängig.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Die Regierung hatte zugesagt, die 2019 gefasste Entscheidung über den Rücktritt von der Sondererklärung nach Artikel 34 Absatz 6 des Zusatzprotokolls zur Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Einrichtung des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Rechte der Völker zu revidieren. Dieser Zusage kam sie jedoch nicht nach. Einzelpersonen und Organisationen, die mit ihren Klagen vor tansanischen Gerichten keinen Erfolg hatten, hatten daher nach wie vor nicht die Möglichkeit, direkt vor dem Gerichtshof Beschwerde einzulegen.

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