Amnesty Report Sierra Leone 29. März 2022

Sierra Leone 2021

Ein Mädchen pumpt an einer Wasserpumpe, während ein weiteres Mädchen das Wasser in Eimer und Kanister füllt. Im Hintergrund befindet sich ein Gebäude.

In Bomeh Village, einer Siedlung auf den Müllbergen in der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown, holen zwei Mädchen Wasser an einer Wasserpumpe, die nur giftiges Wasser liefert (15. Juni 2021).

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Der Präsident unterzeichnete ein Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe. Die Polizei ging mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende und andere Menschen vor. Die Regierung unternahm nichts, um die Rechte von LGBTI+ zu schützen. Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt blieben auch im Jahr 2021 weitverbreitet. Stimmen aus der Bevölkerung prangerten die schlechte Hygiene in den Krankenhäusern an. Die Mütter- und Säuglingssterblichkeitsraten waren hoch.

Hintergrund

Im Januar 2021 wurden 246 Gefangene, darunter auch der Oppositionspolitiker Alfred Paolo Conteh, nach einer Begnadigung durch den Präsidenten aus der Haft entlassen. Die restriktiven Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie wurden verschärft. Sierra Leone akzeptierte 216 von 274 Empfehlungen, die im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung Sierra Leones durch den UN-Menschenrechtsrat (UPR-Prozess) im Berichtsjahr ergingen.

Todesstrafe

Am 23. Juli 2021 votierte das Parlament einstimmig für die Abschaffung der Todesstrafe für alle Verbrechen und nahm ein Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe an, das am 8. Oktober vom Präsidenten unterzeichnet wurde.

Exzessive Gewaltanwendung

Am 12. April 2021 beteiligten sich Studierende des Instituts für öffentliche Verwaltung und Management (Institute of Public Administration and Management) an einem Protest gegen die Veröffentlichung einer unvollständigen Absolvent_innenliste, auf der die Namen Hunderter potenzieller Absolvent_innen fehlten. Die Polizei trieb die Demonstrierenden gewaltsam auseinander. Dabei schlugen Polizist_innen eine Frau und rissen ihr das Oberteil vom Leib.

Drei Tage später erschoss in der Gemeinde Hastings, einem Vorort der Hauptstadt Freetown, ein Polizist einen jungen Mann wegen einer privaten Landstreitigkeit. Nach einer internen Untersuchung wurden fünf Polizist_innen aus dem Dienst entlassen. Der Polizist, der die Waffe abgefeuert hatte, wurde festgenommen und wegen Mordes angeklagt.

Dem Innenministerium wurde ein Gesetzesvorschlag über Polizeigewalt vorgelegt, der auf Empfehlungen zur Stärkung der unabhängigen Polizeibeschwerdestelle basierte.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Rahmen des UPR-Prozesses akzeptierte die Regierung 2021 die Empfehlung, ein Gesetz zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen zu erlassen. Bis Jahresende war das Gesetzgebungsverfahren jedoch noch nicht angestoßen worden.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern waren weiterhin strafbar und wurden nach dem Gesetz über Straftaten gegen Personen immer noch mit bis zu lebenslangen Haftstrafen geahndet. LGBTI+ wurden auch im Jahr 2021 diskriminiert und stigmatisiert. Die Regierung lehnte sämtliche Empfehlungen aus dem UPR-Prozess zum Schutz der Rechte und der Würde von LGBTI+ ab.

Rechte von Frauen und Mädchen

Früh- und Zwangsehen sowie weibliche Genitalverstümmelung waren nach wie vor weitverbreitet. Laut einem im März 2021 veröffentlichten Bericht der NGO Save the Children liegt Sierra Leone bei der Anzahl der Kinderehen weltweit auf Platz 18. In dem Bericht heißt es auch, dass Mädchen in der Pubertät oft Geheimbünden wie der Bondo Society beitreten, bei denen weibliche Genitalverstümmelung Teil des Initiationsprozesses ist.

Die sierra-leonische NGO Rainbo Initiative, die sexualisierte Gewalt bekämpft, verzeichnete zwischen Januar und Juni 2021 in den Städten Freetown, Bo, Makeni und Kenema sowie im Bezirk Kono 1.691 Fälle von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt, zumeist gegen Frauen. In 1.522 Fällen handelte es sich um sexuelle Übergriffe und in 169 Fällen um andere tätliche Übergriffe. Im Juli 2021 bekräftigte die Ministerin für Gleichstellung und Kinder das Versprechen der Regierung, dieser Gewalt bis 2030 ein Ende zu setzen. Im Oktober brachte die Regierung einen Gleichstellungsgesetzentwurf (Gender Empowerment Bill) im Parlament ein. Der Gesetzentwurf zielte darauf ab, den Zugang von Frauen zu Finanzmitteln zu verbessern und 30 Prozent der Abgeordnetensitze und Kabinettsposten für Frauen zu reservieren.

Recht auf Gesundheit

Die Mütter- und Säuglingssterblichkeit blieb hoch. In den Sozialen Medien wurde der Mangel an sanitären Einrichtungen in zwei der wichtigsten staatlichen Krankenhäuser in Freetown, dem Connaught Hospital (dem wichtigsten Krankenhaus für Allgemeinversorgung) und der Frauenklinik Princess Christian Maternity Hospital (PCMH) heftig kritisiert. Am 13. April 2021 kündigten Ärzt_innen in Ausbildung einen Streik an und forderten u. a. eine saubere Arbeitsumgebung im Connaught Hospital und die Versorgung mit fließendem Wasser für das PCMH.

Der Mangel an Sauerstoffanlagen im Land erschwerte den Krankenhäusern den Kampf gegen die dritte Coronawelle. Bis Ende September 2021 hatten mindestens 396.505 Erwachsene eine erste Impfdosis gegen Covid-19 erhalten, und mindestens 89.902 Personen waren doppelt geimpft.

Die Angebote für psychische Gesundheit reichten nicht aus, um den Bedürfnissen derjenigen, die durch den Konflikt (1991–2002) traumatisiert waren, und denen der Ebola-Überlebenden, die mit den Nachwirkungen des Virus lebten, gerecht zu werden. Zu den Faktoren, die eine angemessene Versorgung verhinderten, gehörten mangelnde staatliche Finanzierung, unzureichende Unterstützung durch Geber und ein Mangel an qualifizierten Fachkräften für psychische Gesundheit. Für die gesamte Bevölkerung gab es nur zwei praktizierende Psychiater_innen sowie eine Fachkraft, die gelegentlich aus Nigeria ins Land kam.

Umweltzerstörung

Ein Sonderausschuss, der von der Regierung mit der Untersuchung der mutmaßlichen Verseuchung des Flusses Taia (Jong) beauftragt worden war, legte im Juli seinen Bericht vor. Darin hieß es, dass Bergbauaktivitäten entlang des Pampana-Flusses und seiner Zuflüsse im Distrikt Tonkolili sowie des Hugy-Flusses im Chiefdom Valunia (Distrikt Bo) zu Wasserverschmutzung geführt hatten, die schließlich den Taia (Jong) erreichte. Der Bericht kam außerdem zu dem Schluss, dass die Bergbauaktivitäten sich nachteilig auf die Landwirtschaft, die Fischerei und die Trinkwasserversorgung ausgewirkt hatten. Aufgrund von wasserbürtigen Krankheiten kam es zu 17 Todesfällen. Der Ausschuss empfahl daher, jeglichen illegalen Bergbau und Kleinstbergbau in der Region auszusetzen.

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