Amnesty Report Rumänien 28. März 2023

Rumänien 2022

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Nach wie vor herrschte Besorgnis über die exzessive Anwendung von Gewalt durch die Polizei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fällte ein Urteil gegen unverhältnismäßige Einschränkungen spontaner Proteste in Rumänien. Rom*nja und lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) waren weiterhin systemischer Diskriminierung ausgesetzt. Protestierende forderten Maßnahmen zur Bekämpfung sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt.

Hintergrund

Im Juni 2022 billigte der Senat den Vorschlag, das Schutzalter für sexuelle Handlungen auf 15 Jahre festzusetzen. Mehr als 180 NGOs forderten jedoch eine Anhebung des Alters auf 16 Jahre.

Im Juli 2022 betonte die Europäische Kommission in ihrem jährlichen Bericht über die Rechtsstaatlichkeit, dass Rumänien die Unabhängigkeit der Justiz stärken und Einrichtungen zur Korruptionsbekämpfung angemessen unterstützen müsse. Außerdem äußerte sich die Kommission besorgt über die häufigen Gesetzesänderungen, die regelmäßige Anwendung von Notstandsverordnungen, die begrenzte Konsultation der Öffentlichkeit und die Gefahren für die Medienfreiheit. Die Europäische Kommission forderte zudem die Einrichtung einer nationalen Menschenrechtsinstitution.

Im Oktober 2022 wurde Rumänien auf der UN-Generalversammlung für die Jahre 2023 bis 2025 als Mitglied in den UN-Menschenrechtsrat gewählt.

Nach Einschätzung der Plattform European Implementation Network und der NGO Democracy Reporting International zählt Rumäniens Bilanz bei der Umsetzung von EGMR-Urteilen zu den schlechtesten in der EU.

Exzessive Gewaltanwendung

Eine von der NGO APADOR-CH durchgeführte Umfrage unter 1.000 Häftlingen in 28 Gefängnissen gab Anlass zur Sorge, dass die Polizei übermäßige Gewalt anwendete und das Recht von Inhaftierten auf einen wirksamen Rechtsbeistand nicht respektiert wurde. Gleichzeitig zeigte die Umfrage, dass es nur eine geringe Zahl von Beschwerden über mutmaßliche Misshandlungen gab, teils aufgrund der Furcht der Inhaftierten vor negativen Konsequenzen.

Im August 2022 kam der EGMR zu dem Urteil, dass die Polizei im Jahr 2009 das Recht auf Leben verletzt hatte, als sie bei einem schlecht geplanten Einsatz zur Festnahme eines Verdächtigen rechtswidrig tödliche Gewalt anwandte. Der Gerichtshof stellte außerdem fest, dass die Staatsanwaltschaft keine wirksamen Ermittlungen durchgeführt hatte. Da in drei weiteren Fällen ähnliche Feststellungen getroffen wurden, hielt der EGMR "allgemeine Maßnahmen" für erforderlich, um die Durchsetzung des Urteils zu gewährleisten und solche Rechtsverletzungen in Zukunft zu verhindern.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Im Mai 2022 entschied der EGMR, Rumänien habe das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung verletzt, als die Behörden wegen eines spontanen Protests gegen ein Bergbauprojekt eine Geldstrafe verhängten. Indem die Behörden die Bestimmung, dass eine Versammlung mindestens 72 Stunden vorher angemeldet werden muss, auf einen nur wenige Minuten dauernden Protest einer kleinen Gruppe angewandt hätten, seien die Rechte der Demonstrierenden unverhältnismäßig stark eingeschränkt und eine potenziell abschreckende Wirkung auf den öffentlichen Diskurs erzeugt worden.

Im Dezember 2022 wurde ein neues Gesetz "zum Schutz von Whistleblowern im öffentlichen Interesse" angenommen. Das Gesetz soll veraltete Rechtsvorschriften aus dem Jahr 2004 ersetzen und die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern (Hinweisgeberrichtlinie) von 2019 in Rumänien umsetzen.

Diskriminierung

Rom*nja

Im Juni 2022 veröffentlichte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) Umfrageergebnisse aus zehn Ländern, die zeigten, dass hassmotivierte Schikanen und tätliche Gewalt gegen Rom*nja in den meisten der untersuchten Länder, darunter auch Rumänien, im Vergleich zu den Ergebnissen der FRA aus dem Jahr 2016 zurückgegangen waren. Allerdings waren Rom*nja in Rumänien weiterhin Armut, sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt, u. a. in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wohnen und Arbeit.

LGBTI+

Gleichgeschlechtliche Ehen und Partnerschaften wurden nach wie vor nicht anerkannt. Rumänien setzte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 über die Notwendigkeit der Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften zur Gewährleistung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts für gleichgeschlechtliche Paare auch 2022 nicht um.

NGOs äußerten starke Einwände gegen drei LGBTI-feindliche Gesetzesvorschläge, die vorgeblich die Rechte von Kindern "fördern und schützen" sollten. Die Vorschläge wurden zur Diskussion ins Parlament eingebracht, waren aber Ende 2022 noch anhängig.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Die Zahl der gemeldeten Vorfälle von Gewalt gegen Frauen, einschließlich Femiziden, war weiterhin hoch.

Im Dezember 2022 wurde eine nationale Strategie zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern sowie zur Verhütung und Bekämpfung häuslicher Gewalt beschlossen. Zu der Strategie, die von 2022 bis 2027 umgesetzt werden soll, waren seit März 2021 öffentliche Anhörungen durchgeführt worden.

Im Oktober 2022 fanden im ganzen Land Proteste statt, bei denen die Teilnehmenden Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, einschließlich sexualisierter und häuslicher Gewalt, forderten und die Untätigkeit des Staates bei der Gewährleistung des Schutzes der Betroffenen anprangerten.

Im August 2022 stellte der EGMR in einem wegweisenden Urteil fest, dass Rumänien das Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt hatte, als die Behörden im Fall einer Frau, die 2017 Strafanzeige wegen sexueller Belästigung gegen ihren Chef erstattet hatte, keine angemessenen Ermittlungen durchführten, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dies war der erste Fall in der Geschichte des EGMR, in dem der Gerichtshof urteilte, dass durch eine unzureichende Reaktion auf mutmaßliche sexuelle Belästigung das Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt wurde.

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