Amnesty Report Peru 28. März 2023

Peru 2022

Polizisten mit Schildern, einer feuert etwas ab

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Die Behörden untergruben die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und gingen scharf gegen Demonstrationen vor. Dabei wurden u. a. Schusswaffen eingesetzt und bis Ende des Jahres mindestens 22 Menschen getötet und zahlreiche Personen verletzt, unter ihnen auch Polizeiangehörige. Die Behörden ergriffen keine Maßnahmen, um Gemeinschaften zu helfen, die von Umweltverschmutzung betroffen waren. In von illegalem Holzeinschlag und Drogenhandel betroffenen Regionen wurden sechs Menschenrechtsverteidiger getötet. Das Recht auf eine umfassende Sexualerziehung war gefährdet. Frauen und Mädchen, einschließlich Geflüchtete aus Venezuela, waren weiterhin vielfältigen Formen von Gewalt ausgesetzt. Nach wie vor wurden lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) diskriminiert und angegriffen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Durch Äußerungen von offizieller Seite wurde die Pressefreiheit untergraben. Der peruanische Journalist*innenverband (Asociación Nacional de Periodistas del Perú – ANP) meldete für das Jahr 2022 insgesamt 303 Angriffe auf die Presse, 63 davon vor dem Hintergrund der politischen Krise im Dezember.

Straflosigkeit und Recht auf Versammlungsfreiheit

Bei Einsätzen der Nationalpolizei gegen Proteste starben im ersten Halbjahr 2022 mindestens drei Menschen.

Im Dezember 2022 wurde der damalige Präsident Pedro Castillo seines Amtes enthoben, was eine politische Krise nach sich zog und zu Protesten und Gewalt in verschiedenen Landesteilen führte. Die Behörden begegneten den Demonstrationen mehrfach mit Menschenrechtsverletzungen wie dem rechtswidrigen Einsatz von Gewalt. Bei Protestveranstaltungen in den Regionen Apurímac, Ayacucho, Arequipa, La Libertad und Junín kamen mindestens 22 Menschen ums Leben und viele weitere wurden verletzt. Die Untersuchungen der Tötungen dauerten Ende 2022 noch an.

Das Polizeischutzgesetz (Ley de Protección Policial) blieb in Kraft und schränkte faktisch die Rechenschaftspflicht im Fall von Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte ein. Der ehemalige Präsident Manuel Merino und andere hochrangige Staatsbedienstete genossen weiterhin Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung, sodass sie für die Verletzung und Tötung von Personen bei den Protesten im November 2020 nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten. Die Justiz setzte zudem die Ermittlungen gegen die in diese Vorfälle verwickelten Polizisten aus.

Klimakrise und Umweltzerstörung

Der Kongress stellte einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Regionalen Abkommens über den Zugang zu Informationen, Teilhabe und Gerechtigkeit in Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und der Karibik (Escazú-Abkommen) erneut zurück.

Die Behörden ergriffen 2022 keine angemessenen Maßnahmen, um indigenen Gemeinschaften zu helfen, deren Gesundheit und Umwelt durch toxische Schwermetalle und andere Schadstoffe bedroht waren, obwohl ein spezieller sektorübergreifender Plan existierte, an dem mehrere Ministerien beteiligt waren, und Finanzmittel für sechs Regionalregierungen zur Verfügung standen, um die fachgerechte medizinische Versorgung dieser Gemeinschaften zu gewährleisten.

Im Februar 2022 stellte eine UN-Überprüfungsmission fest, dass durch den Austritt von 11.000 Barrel Öl in der Raffinerie La Pampilla im Monat zuvor die Lebensgrundlagen von fünf lokalen Gemeinden in Lima und Callao beeinträchtigt wurden. Die Raffinerie wird von dem spanischen multinationalen Unternehmen Repsol betrieben. Im Juli wies die staatliche Ombudsstelle (Defensoría del Pueblo) darauf hin, dass einige der von dieser Umweltkatastrophe Betroffenen noch identifiziert und entschädigt werden müssten. Zudem hätten weder die Behörden noch das Unternehmen für eine angemessene Säuberung des betroffenen Gebiets gesorgt.

Im September 2022 traten aus einer Pipeline des staatlichen Unternehmens PetroPerú in der Region Loreto 2.500 Barrel Öl aus. Laut der Ombudsstelle waren die Gemeinde Cuninico und andere indigene Gemeinschaften stark von dem Ölleck betroffen. Sie hatten mehrere Tage lang keinen Zugang zu Nahrung und Wasser, und ihr Recht auf eine gesunde Umwelt war beeinträchtigt.

Peru aktualisierte seinen 2020 vorgelegten nationalen Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC) nicht. Dieser wurde vom Climate Action Tracker, einem unabhängigen internationalen Mechanismus zur Analyse der Klimapolitik der Länder, als "unzureichend" eingestuft.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Offiziellen Berichten zufolge wurden im Jahr 2022 in den Regionen Madre de Dios, Loreto, Junín und Huánuco mindestens sechs Menschenrechtsverteidiger getötet. Die Behörden hatten in Regionen, in denen Menschenrechtler*innen aufgrund von illegalem Holzeinschlag und Drogenhandel einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, nicht für ausreichende Sicherheit gesorgt.

Recht auf Gesundheit

Das hohe Maß an Ungleichheit und der Mangel an Investitionen in das öffentliche Gesundheitssystem, der zum Teil auf unzureichende Steuereinnahmen zurückzuführen war, trugen wesentlich dazu bei, dass Peru gemessen an der Bevölkerungszahl die höchste Corona-Sterblichkeitsrate unter den Ländern der Region aufwies. Dennoch erfolgte weder eine größere Reform des Gesundheitssystems noch eine Erhöhung der Ausgaben für das Gesundheitswesen. Diese lagen mit 3,2 Prozent des BIP weit unter den von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen 6 Prozent.

Rechte indigener Gemeinschaften

In einer Entscheidung des Verfassungsgerichts vom März 2022 wurde eine Klage indigener Gemeinschaften gegen Bergbaukonzessionen in ihren Gebieten mit der Begründung für unzulässig erklärt, dass die freiwillige, vorherige und informierte Zustimmung kein von der Verfassung geschütztes Grundrecht sei. Das Gericht ließ hierbei jedoch den Verfassungsrang der diesbezüglich von Peru ratifizierten internationalen Menschenrechtsverträge außer Acht.

Im Juni 2022 erkannte der Kongress die Komitees für Selbstverteidigung und ländliche Entwicklung (Comités de Autodefensa y Desarrollo Rural), die häufig in ländlichen Gegenden tätig sind, als Teil des nationalen Sicherheitssystems an und gewährte ihnen das Recht, tödliche Waffen einzusetzen. Es bestand die Sorge, dass diese Entscheidung die Rechte traditioneller Gemeinschaften untergraben könnte, da diese befugt sind, eigene traditionelle Wachposten zum Schutz ihrer Gebiete aufzustellen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Zwischen Januar und November 2022 verzeichnete das Ministerium für Frauen und gefährdete Bevölkerungsgruppen 25.403 Fälle sexualisierter Gewalt (95 Prozent davon gegen Frauen) und 7.549 Vergewaltigungen an Minderjährigen.

Die Ombudsstelle verzeichnete 124 Femizide. In 21 dieser Fälle waren die Frauen zunächst als vermisst gemeldet worden. Das Ministerium für Frauen stufte auch das "Verschwinden" von Frauen als eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt ein. Nach Angaben des Nationalen Registers für Informationen über vermisste Personen des Innenministeriums wurden über das Jahr hinweg 11.524 Mädchen und Frauen als vermisst gemeldet, was 61 Prozent aller Vermisstenfälle für diesen Zeitraum ausmachte.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im Mai 2022 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das es einigen Elternorganisationen erlaubt, gegen bestimmte Aspekte des Lehrplans ein Veto einzulegen. Hierdurch wurde das Recht auf umfassende Sexualerziehung untergraben.

Im Juni 2022 wurde dem Kongress ein Gesetzentwurf vorgelegt, der im Fall seiner Verabschiedung den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gefährden würde.

Im März 2022 begannen im Zusammenhang mit Zwangssterilisationen die Prozesse gegen den ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori und drei seiner Minister. Im November ordnete die Justiz Entschädigungsleistungen für Überlebende von Zwangssterilisationen an, die noch immer keine Wiedergutmachung erhalten hatten.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Peru ist nach wie vor eines der wenigen Länder in Südamerika, die weder die Transgeschlechtlichkeit noch die gleichgeschlechtliche Ehe anerkennen.

Im Juni 2022 berichtete die NGO Féminas, dass eine trans Frau mit einer Schusswaffe verletzt worden sei. Die Behörden unterhielten kein offizielles Register über die anhaltenden Drohungen und Angriffe gegen trans Personen.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Tausende Menschen hatten 2022 keinen Zugang zu den Programmen zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus, die nach wie vor schwerfällig verliefen und unzureichend waren. Das System zur Bearbeitung von Asylanträgen blieb ausgesetzt.

In Peru lebende venezolanische Flüchtlingsfrauen waren vielfältigen Formen von Gewalt ausgesetzt. Diskriminierung und negative Stereotypen im Zusammenhang mit ihrer Nationalität und Geschlechtsidentität behinderten ihren Zugang zur Justiz und zur Gesundheitsversorgung.

Im April 2022 wiesen die Behörden 29 weibliche ausländische Staatsangehörige kollektiv ohne ordnungsgemäßes Verfahren aus. Die Behörden berücksichtigten dabei weder ihre Schutzbedürfnisse noch prüften sie, ob es sich um Opfer von Menschenhandel handelte oder ob sie bei der Rückkehr in ihre Herkunftsländer Gefahren ausgesetzt sein würden. Im November strengten Menschenrechtsorganisationen wegen dieses Vorgehens einen Prozess gegen Behördenvertreter*innen an.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Dreißig Jahre nach dem Massaker von La Cantuta empfahl die Staatsanwaltschaft eine forensische Untersuchung, um die sterblichen Überreste von fünf der Getöteten zu lokalisieren, die bisher noch nicht aufgefunden worden waren.

Im März 2022 ordnete das Verfassungsgericht die Freilassung des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori aus dem Gefängnis an und stellte damit die sogenannte humanitäre Begnadigung aus dem Jahr 2017 wieder her. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte forderte die Behörden nachdrücklich auf, der Anordnung nicht Folge zu leisten, da sie gegen ein früheres Urteil verstoße, mit dem die Begnadigung für ungültig erklärt wurde. Alberto Fujimori befand sich Ende des Jahres weiterhin in Haft.

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