Amnesty Report Paraguay 29. März 2022

Paraguay 2021

Die paraguayanischen Menschenrechtsverteidigerinnen und Aktivistinnen Yren Rotel und Mariana Sepúlveda setzen sich für die Rechte von LGBTIQ+-Personen in Paraguay ein (Mai 2021).

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Die Polizei reagierte mit unnötiger und exzessiver Gewalt auf Proteste gegen den Umgang der Regierung mit der Coronapandemie und gegen Korruption. Mehrere Protestierende wurden festgenommen und strafrechtlich verfolgt. Die Verschärfung der Pandemie hatte den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zur Folge. Bei der strafrechtlichen Verfolgung mehrerer Fälle von Menschenrechtsverletzungen, die in den vergangenen Jahren verübt wurden, u. a. Folter und Verletzung der Rechte von LGBTI+ und indigenen Gemeinschaften, gab es keine nennenswerten Fortschritte. Der Zahlen sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen und zu Gewalt gegen Frauen waren hoch. In vielen Teilen des Landes fanden rechtswidrige Zwangsräumungen statt, die insbesondere ländliche und indigene Gemeinschaften betrafen.

Hintergrund

Die Allgemeine Regelmäßige Überprüfung der Lage der Menschenrechte in Paraguay durch den UN-Menschenrechtsrat führte zu mehr als 200 Empfehlungen, von denen sieben abgelehnt und zwei teilweise angenommen wurden. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte stellte im Fall zweier im Jahr 2003 entlassener ehemaliger Richter des Obersten Gerichtshofs fest, dass Paraguay damit die Unabhängigkeit der Justiz und den Rechtsschutz verletzt habe. Der UN-Menschenrechtsausschuss kam zu dem Schluss, dass Paraguay die Rechte einer indigenen Gemeinschaft verletzt habe.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Im März 2021 gingen Tausende von Menschen im ganzen Land auf die Straße, um gegen mutmaßliche Korruption bei der Bekämpfung der Pandemie sowie den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu protestieren. Es kam zu zahlreichen Beschwerden, weil die Polizei mit übermäßiger Gewalt dagegen vorging. Die Studentin Vivian Genes und weitere Studierende, die an den Protesten teilnahmen, wurden festgenommen, angeklagt und beschuldigt, an einem Brandanschlag auf die Räumlichkeiten der Regierungspartei Asociación Nacional Republicana beteiligt gewesen zu sein.

Die Behörden kündigten an, dass sie die in Bezug auf die Tötung des Journalisten Santiago Leguizamón im Jahr 1991 vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgetragenen Fakten anerkennen und die Verantwortung dafür übernehmen würden. Die Debatten über eine Wiedergutmachung wurden fortgesetzt.

Recht auf Gesundheit

Als sich die Coronapandemie verschärfte, kollabierte das Gesundheitssystem, und Tausende von Menschen hatten keinen Zugang zu Intensivstationen und angemessener medizinischer Versorgung.

Die Umsetzung des Impfprogramms gegen Covid-19 erfolgte zunächst unregelmäßig und langsam. Hinsichtlich des Kaufs von Impfstoffen kam es zu Vorwürfen der Korruption und Misswirtschaft. Nachdem die Impfkampagne Fahrt aufgenommen hatte, sank die Zahl der Todesfälle und Infektionen.

Im Jahr 2021 starben mehr als 14.367 Menschen an den Folgen von Covid-19, mehr als sechs Mal so viele wie noch im Jahr 2020. Die Pandemie machte die schon seit vielen Jahren bestehende Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und den daraus resultierenden unzureichenden Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung deutlich, unter dem insbesondere einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zu leiden hatten.

Folter und andere Misshandlungen

Die Ermittlungen zu den mutmaßlichen Folterungen von 35 Menschen auf einem Marinestützpunkt in der Stadt Ciudad del Este im Jahr 2020 machten keine Fortschritte. Bis Ende 2021, mehr als 18 Monate nach dem Vorfall, war noch niemand zur Verantwortung gezogen worden.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Ende 2021 hatte Paraguay weder das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPbpR) noch das Regionale Abkommen über den Zugang zu Informationen, Teilhabe und Gerechtigkeit in Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und der Karibik (Escazú-Abkommen) ratifiziert.

Die Zahl der rechtswidrigen Zwangsräumungen nahm zu, mehrere betrafen indigene Gemeinschaften. Viele der vertriebenen Gruppen besaßen keinen Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln, und die Räumungen wurden durchgeführt, ohne dass ihnen Alternativen für eine Neuansiedlung angeboten wurden. Hinzu kamen weitere Verletzungen ihres Rechts auf Wohnen.

Rechte indigener Gemeinschaften

Der Staat ist noch immer nicht seiner Verpflichtung nachgekommen, der Gemeinschaft Tekoha Sauce der indigenen Gemeinschaft der Avá Guaraní ihr angestammtes Land zurückzugeben. Die Gemeinschaft war in den Jahren zuvor bereits zweimal vertrieben worden, einmal, um den Bau eines Wasserkraftwerks in Itaipú zu ermöglichen. Im Oktober 2021 veröffentlichte der UN-Menschenrechtsausschuss eine Resolution, in der Paraguay für die Verletzung der Menschenrechte der indigenen Gemeinschaft der Campo Agua’e durch die Verseuchung ihres Landes mit giftigen Agrochemikalien verantwortlich gemacht wurde.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Berichten zufolge gab es keine Fortschritte bei den Strafverfahren wegen Angriffen auf LGBTI+ während einer Pride-Parade im Jahr 2019 in der Stadt Hernandarias. Die Stadtverwaltung von Hernandarias hatte den Marsch u. a. wegen "Verstoßes gegen die öffentliche Moral" verboten. Auch eine von Amnesty International im Oktober 2019 eingereichte Verfassungsklage gegen die Entscheidung der Stadtverwaltung kam nicht voran.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Die Behörden hatten auch 2021 weder einen geeigneten Mechanismus zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen ermittelt noch die Erklärung über Menschenrechtsverteidiger_innen verbreitet, obwohl sie dies im Zuge einer vergangenen Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung zugesagt hatten.

Kinderrechte

Die Behörden ergriffen 2021 keine ausreichenden und wirksamen Maßnahmen, um Fälle sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen zu verhindern, aufzudecken und zu bekämpfen.

Das Ministerium für Kinder und Jugendliche (Ministerio de la Niñez y la Adolescencia) registrierte zwischen Januar und Oktober 2021 insgesamt 3.850 Fälle von Misshandlung und sexuellem Missbrauch von Kindern. 1.345 dieser Fälle betrafen sexuellen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung. Bei der Staatsanwaltschaft gingen in den ersten zehn Monaten des Jahres 2.284 Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ein.

Die Behörden konnten die sexuellen und reproduktiven Rechte von Mädchen nicht gewährleisten. Bis September 2021 registrierte das Ministerium für öffentliche Gesundheit und soziale Wohlfahrt 357 Geburten von Kindern, deren Mütter erst zwischen zehn und vierzehn Jahre alt waren. Im Dezember wurde für diesen Bereich eine technische Arbeitsgruppe eingerichtet und eine einheitliche und umfassende Dienstleistungserbringung beschlossen.

Die Behörden unternahmen nichts, um die Todesumstände zweier elfjähriger argentinischer Mädchen während eines Kampfeinsatzes der militärischen Eliteeinheit Fuerza de Tarea Conjunta im Departamento Concepción im September 2020 aufzuklären. Es gab weiterhin offene Fragen hinsichtlich der mangelhaften Untersuchung der Staatsanwaltschaft. Die Behörden kamen auch der Aufforderung zivilgesellschaftlicher Organisationen nicht nach, eine Sonderkommission zur Untersuchung des Vorfalls einzurichten oder die Interamerikanische Menschenrechtskommission um Unterstützung zu bitten.

Frauenrechte

Im November 2021 wurde ein Priester der sexuellen Belästigung von Alexa Torres für schuldig befunden und zu einer einjährigen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.

Die Zahl der getöteten Frauen stieg an. Angesichts der Femizide wurde per Gesetz der nationale Notstand ausgerufen.

Der Kongress beriet zudem über einen weiteren Gesetzentwurf, der Gewalttaten auch dann als Gewalt in der Familie definiert, wenn Täter und Opfer nicht zusammenleben. Der Oberste Gerichtshof genehmigte einen Plan zum Umgang mit Fällen von häuslicher Gewalt gegen Frauen, und das Ministerium für öffentliche Gesundheit und soziale Wohlfahrt gab eine Broschüre zu Unterstützungsangeboten für Betroffene von häuslicher Gewalt heraus.

Das Büro der Ombudsperson (Defensoría del Pueblo) berichtete Mitte November, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2.312 Frauen im Rahmen des Gesetzes Nr. 5777 Hilfe erhalten hatten, so viele wie nie zuvor. Das gemeinsam von der Nationalen Polizei und dem Frauenministerium betriebene Hilfstelefon (SOS Mujer Línea 137) registrierte im gleichen Zeitraum 4.469 Fälle häuslicher Gewalt.

Ende 2021 lag dem Kongress ein Gesetzentwurf zur Verhinderung, Bestrafung und Beseitigung geschlechtsspezifischer politischer Gewalt gegen Frauen vor.

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