Amnesty Report Jordanien 18. Februar 2020

Jordanien 2019

Viele Menschen demonstrieren, in der Bildmitte befindet sich eine Frau mit Sonnenbrille, die in Richtung der Fotokamera blickt.

Die Behörden nahmen 2019 zahlreiche Journalist_innen und Aktivist_innen fest, die sich kritisch über die Regierung oder den König geäußert hatten, sowie Demonstrierende, die sich für ihre eigene Freilassung oder die von anderen eingesetzt hatten, und blockierten eine Internetseite, die von Aktivist_innen aus dem Ausland betrieben wurde. Ein neues staatliches Frauenhaus bot Frauen Schutz, die Gefahr liefen, von Familienmitgliedern ermordet zu werden. Zahlreichen Frauen konnte so geholfen werden. Andere Frauen kamen jedoch nur aufgrund diskriminierender Anklagen in Verwaltungshaft. Und unverheiratete Frauen wurden gewaltsam von ihren neugeborenen Kindern getrennt. Das Mindestalter für Eheschließungen "in Sonderfällen" wurde von 15 auf 16 Jahre heraufgesetzt. Weibliche Arbeitsmigrant_innen, die keine gültigen Aufenthaltsgenehmigungen vorweisen konnten, durften nach Hause zurückkehren, ohne dass ihnen eine Geldstrafe auferlegt wurde. Die meist weiblichen Hausangestellten waren noch immer nicht ausreichend gegen Misshandlungen durch ihre Arbeitgeber_innen und ihre Vermittlungsagenturen geschützt. Jordanien bot auch 2019 rund 2,8 Mio. Flüchtlingen Schutz. Viele syrische Flüchtlinge wurden jedoch an der Einreise gehindert. Die Anzahl der Berufe, die ausländische Staatsangehörige nicht ausüben dürfen, stieg weiter. Gerichte sprachen auch 2019 Todesurteile aus. Es gab jedoch keine Berichte über Hinrichtungen.

 



 

Hintergrund

Während seiner Sitzung im März 2019 nahm der UN-Menschenrechtsrat das Ergebnis von Jordaniens Allgemeiner Regelmäßigen Überprüfung an. Jordanien erklärte sich bereit, 149 von 226 Empfehlungen umzusetzen. Die jordanische Regierung gab an, dass die restlichen 77 Empfehlungen bereits im jordanischen Recht verankert seien oder dass sie angesichts der angespannten Sicherheitslage aufgrund der Unterbringung von Flüchtlingen im Land nur schwer umgesetzt werden könnten. Im April 2019 schickte Ministerpräsident Omar Al-Razzaz eine Anweisung an alle Ministerien und Regierungsstellen mit Instruktionen für die Umsetzung der 149 akzeptierten Empfehlungen.

Jordanien blieb auch 2019 ein Mitglied der von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführten Koalition im bewaffneten Konflikt im Jemen (siehe Länderkapitel Jemen).

Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit

Im Februar 2019 weigerte sich das Unterhaus des Parlaments, einen Gesetzesentwurf zu verabschieden, der von der Regierung auf der Grundlage des Gesetzes zur Internetkriminalität vorgelegt worden war. Es wurde bemängelt, dass der Entwurf vage formulierte Definitionen enthielt und einige Verordnungen im Widerspruch zum Strafgesetzbuch stünden. Die Definition für "Hassreden" war zu weit gefasst und könnte das Recht auf freie Meinungsäußerung empfindlich einschränken. Zwischen dem 17. und 31. März 2019 blockierten die Behörden den örtlichen Zugang zu der Internetseite alurdunyya.net, ein Portal, das von jordanischen Exilaktivist_innen eingerichtet worden war, um die politischen Entwicklungen und die Festnahme von Aktivist_innen in Jordanien zu dokumentieren. 

Die Behörden belästigten und inhaftierten auch 2019 wieder Aktivist_innen und Journalist_innen, welche sich kritisch zur Regierung oder zu König Abdullah geäußert hatten. Zwischen März und Juni 2019 nahmen die Behörden zwei Journalist_innen und mehrere Aktivist_innen fest, die zum Großteil Al-Hirak al-Shaabi (Volksbewegung), einer Koalition von politischen Aktivist_innen, nahestanden. Gegen einige der Festgenommenen erging Anklage, z.B. wegen Beleidigung im Internet oder Untergrabung der Autorität des Königs. Die Gerichtsverfahren fanden vor dem jordanischen Staatsicherheitsgericht statt. Zwischen September und November 2019 wurden mindestens sieben Aktivist_innen festgenommen. Sie hatten in den sozialen Medien Videos veröffentlicht, die sie bei der Teilnahme an Protestaktionen oder beim Äußern von Kritik an der Regierung zeigten. Medienberichten zufolge befanden sich viele der im Laufe des Jahres 2019 Festgenommenen zum Ende des Jahres noch immer in Haft.

Im Juni 2019 nahmen die Behörden mindestens 20 Demonstrierende fest, die die Freilassung der inhaftierten Aktivist_innen gefordert hatten. Die Festnahmen wurden damit begründet, dass die Protestierenden keine Genehmigung zur Abhaltung einer öffentlichen Demonstration hatten. Die Demonstrierenden kamen einige Stunden später wieder frei, nachdem sie ein Dokument unterzeichnen und damit versprechen mussten, nicht mehr an Aktionen teilzunehmen, welche "die öffentliche Sicherheit beeinträchtigten". 

Im Mai 2019 kam es erneut zur Festnahme von mindestens 20 Demonstrierenden, die die Freilassung aller ihrer Ansicht nach politischen Häftlinge forderten. Darüber hinaus demonstrierten sie für allgemein bessere Lebensbedingungen in Jordanien. Sie wurden wegen "Aktivitäten mit dem Ziel, die staatliche Struktur zu verändern" sowie "unflätiger Sprache" angeklagt. Zum Ende des Jahres 2019 befanden sich noch einige dieser Angeklagten in Haft. Sie waren der "Blasphemie" angeklagt und warteten auf ihren Prozess. 

Im September 2019 traten Tausende Lehrer_innen einen Monat lang in Streik und forderten damit höhere Gehälter. Der Innenminister verbot eine ihrer Demonstrationen mit der Begründung, sie würde den Verkehr behindern. Als sich Tausende Lehrer_innen trotzdem versammelten, gingen Sicherheitskräfte mit Tränengas und in einigen Fällen mit Schlagstöcken gegen sie vor, um die Demonstration aufzulösen. Der Streik endete mit einem Übereinkommen zur besseren Bezahlung. Am 5. Oktober 2019 entschuldigte sich der Ministerpräsident öffentlich bei den Lehrer_innen und versicherte, dass das Kabinett die Empfehlungen einer von der jordanischen Menschenrechtsorganisation (National Center for Human Rights) eingeleiteten Untersuchung wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Menschenrechte umsetzen wolle. 

Rechte von Frauen

Dar Amneh, ein Zufluchtsort für Frauen, die Gefahr liefen, von ihren Familienmitgliedern getötet zu werden, war im Juli 2018 vom jordanischen Ministerium für Soziale Entwicklung gegründet worden. Bis Ende Oktober 2019 hatte die Einrichtung 86 Frauen geholfen. Das Frauenhaus stellt eine Alternative zur "Schutzhaft" von gefährdeten Frauen dar. Frauen durften allerdings den Zufluchtsort nicht ohne Genehmigung der jeweiligen Provinzgouverneur_innen verlassen. Es gab weiterhin Bedenken wegen fehlender Schutzanordnungen für die Frauen und dem Ausbleiben von strafrechtlicher Verfolgung bei Androhung von Gewalt durch die Angehörigen. 

Provinzgouverneur_innen hielten auch 2019 Frauen monatelang auf Grund von diskriminierenden Vorwürfen in Verwaltungshaft. Dazu gehörten "Abwesenheit von zuhause" ohne die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, "außerehelicher Sex" (zina), Betteln oder Obdachlosigkeit. Am 14. Oktober 2019 teilte das Büro des Ministerpräsidenten mit, dass sich 85 Frauen in Verwaltungshaft befänden, nachdem man sie 2019 wegen zina angeklagt hatte. 

Frauen, die außerehelich schwanger geworden waren, wurden willkürlich in Haft genommen. Ihre neugeborenen Kinder wurden ihnen gewaltsamen weggenommen. Amnesty International dokumentierte einige dieser Fälle: Angehörige der Behörde zum Schutz der Familie kamen in das Krankenhaus, wo eine unverheiratete Frau soeben ein Kind entbunden hatte, und nahmen das Baby mit. Das Kind wurde ohne Genehmigung der Mutter und ohne weitere Prüfung des Kindeswohls in die Obhut des Ministeriums für Soziale Entwicklung gegeben. 

Kinderrechte

Im April 2019 erließ der Senat eine Änderung des Personenstandgesetzes und setzte das Mindestheiratsalter für Mädchen "in besonderen Fällen" von 15 auf 16 Jahre herauf. Als "besondere Fälle", bei denen nur die Mädchen eine gerichtliche Erlaubnis benötigen,  gelten Umstände, in denen "eine Heirat notwendig" oder "im Interesse" aller Beteiligten ist. Das gesetzliche Heiratsalter liegt sowohl für Mädchen als auch für Jungen nach wie vor bei 18 Jahren. 

Das jordanische Gesetz zur Staatsbürgerschaft diskriminierte 2019 noch immer die Kinder jordanischer Mütter und ausländischer Väter, die keine jordanische Staatsbürgerschaft beantragen können. Umgekehrt ist es für Kinder von jordanischen Vätern, die mit Ausländerinnen verheiratet sind, möglich, die jordanische Staatsbürgerschaft anzunehmen. 

Die Behörde zum Schutz der Familie und das Ministerium für Soziale Entwicklung nahmen unverheirateten Müttern ohne eine Prüfung des Kindeswohls noch immer gewaltsam ihre Neugeborenen weg.

Rechte von Arbeitsmigrant_innen

Im März 2019 gab das Arbeitsministerium die Überprüfung des Sponsorensystems kafala bekannt. Dieses System bindet Arbeitsmigrant_innen, bspw. Hauspersonal, an ihre Arbeitgeber_innen. Außerdem wolle das Ministerium Fällen von Verstößen durch Agenturen und Arbeitgeber_innen nachgehen. Im September 2019 traten neue Maßnahmen in Kraft, die Arbeitsmigrant_innen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigungen die Möglichkeit gab, während einer Schonfrist in ihre Ursprungsländer zurückzureisen, ohne dass sie Strafzahlungen leisten müssen. Die Gebühr, die Arbeitgeber_innen für die Arbeitserlaubnis einer Arbeitskraft aus dem Ausland entrichten müssen, wurde von 600 auf 500 Jordanische Dinar (€ 737 bzw. € 636) herabgesetzt. 

Arbeitsmigrant_innen waren auch 2019 nicht ausreichend vor der Ausbeutung und Misshandlungen durch ihre Arbeitgeber_innen sowie von Mitarbeiter_innen von Agenturen geschützt und konnten jederzeit von den Behörden inhaftiert werden. Rund 600 Arbeitsmigrantinnen, die als Haushaltshilfen arbeiteten, wurden im ersten Halbjahr 2019 aus der Verwaltungshaft entlassen. Sie waren inhaftiert worden, weil sie ohne Erlaubnis ihrer Arbeitgeber_innen das Haus verlassen hatten oder die Gebühren für überzogene Visa nicht bezahlen konnten.

 

Flüchtlinge und Asylsuchende

Jordanien beherbergte auch 2019 etwa 655.000 syrische Flüchtlinge, mehr als 10.000 palästinensische Flüchtlinge aus Syrien und über 2 Mio. palästinensische Flüchtlinge, die bereits seit vielen Jahren in Jordanien leben und mehrheitlich die jordanische Staatsangehörigkeit haben, sowie mehr als 87.000 Flüchtlinge anderer Nationalitäten. Auf der Grundlage von Listen der jordanischen Regierung berichtete der UNHCR, das UN-Flüchtlingswerk, dass 28.889 Flüchtlinge aus Syrien im Laufe des Jahres 2019 freiwillig in ihr Heimatland zurückkehrten. Jordanien hat die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet und wandte deshalb strenge Kriterien für die Aufnahme von neuen syrischen Flüchtlingen an. Vielen wurde die Einreise verweigert. 

Am 14. Oktober 2019 erhöhte das Arbeitsministerium die Anzahl der Berufe, in denen ausländische Staatsangehörige nicht tätig sein dürfen, von 11 auf 39. Zu dieser Gruppe gehörten auch Langzeit-Flüchtlinge aus Palästina ohne jordanische Staatsbürgerschaft, von denen die meisten aus dem Gazastreifen stammten. Der Zugang zu bürgerlichen Grundrechten und anderen staatlichen Dienstleistungen blieb ihnen ebenfalls verwehrt.

Todesstrafe

Gerichte sprachen weiterhin Todesurteile aus. Es gab jedoch keine Berichte über Hinrichtungen.

Bericht von Amnesty International

Amnesty International, Imprisoned women, stolen children: Policing sex, marriage and pregnancy in Jordan (MDE 16/0831/2019)

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