Amnesty Report Indonesien 29. März 2022

Indonesien 2021

Das Bild zeigt mehrere Menschen in medizinischer Schutzkleidung, die einen Sarg tragen

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Menschenrechtsverteidiger_innen, Wissenschaftler_innen, Journalist_innen, Studierende und andere Personen wurden wegen legitimer Aktivitäten strafrechtlich verfolgt und schikaniert. Das Gesetz über elektronische Informationen und Transaktionen wurde häufig angewandt, um das Recht auf Meinungsfreiheit im Internet einzuschränken. Auch Aktivist_innen, die sich für politische Rechte, Arbeitnehmer_innenrechte und die Rechte indigener Gemeinschaften einsetzten, wurden festgenommen und strafrechtlich verfolgt, teilweise allein deshalb, weil sie an friedlichen Kundgebungen teilgenommen hatten. Demonstrationen wurden unter Einsatz exzessiver Gewalt aufgelöst. Mindestens 28 gewaltlose politische Gefangene blieben inhaftiert. Die Sicherheitskräfte verübten in den Provinzen Papua und Westpapua rechtswidrige Tötungen, die in der Regel straflos blieben. Die Diskriminierung von Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya hielt an.

Hintergrund

Mitte 2021 beeinträchtigte ein starker Anstieg an Covid-19-Erkrankungen die Gesundheitsversorgung, weil viele Krankenhäuser nicht genug Betten und Sauerstoffvorräte hatten. Wirtschaftliche Probleme und Unmut über den Umgang der Regierung mit der Pandemie führten zu wachsender Unzufriedenheit und vermehrten öffentlichen Protesten.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Im Laufe des Jahres wurden mindestens 158 tätliche Angriffe, digitale Attacken, Drohungen und andere Übergriffe gegen 367 Menschenrechtsverteidiger_innen gemeldet.

Im Februar 2021 wurden Syamsul Bahri und sein Sohn Samsir Bahri, die sich in einer Gruppe von Kleinbäuer_innen (Kelompok Tani Nipah) in der Provinz Nordsumatra für Wiederaufforstung engagieren, der Körperverletzung beschuldigt, festgenommen und 14 Tage lang in Gewahrsam gehalten. Anlass war offensichtlich ein Vorfall im Dezember 2020, als Syamsul Bahri, der Vorsitzende der Gruppe, zwei Personen zur Rede stellte, die Kleinbäuer_innen bei der Renaturierung eines Mangrovenwalds fotografiert hatten. Nach Ansicht lokaler NGOs standen die Vorwürfe wegen Körperverletzung im Zusammenhang mit dem Engagement der beiden Männer, das Land der Gemeinschaft zu bewahren und ihre Landrechte zu verteidigen. Sie wurden am 31. Mai für schuldig befunden und zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die für vier Monate zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft legte Rechtsmittel gegen das Urteil ein, um eine Inhaftierung von Syamsul und Samsir Bahri zu erreichen. Am 18. August bestätigte das Hohe Gericht von Medan jedoch die Entscheidung der Vorinstanz. Ende 2021 dauerte die Bewährungsfrist noch an.

Am 17. Mai 2021 berichteten Busyro Muqoddas und Bambang Widjojanto, zwei ehemalige Mitglieder der Indonesischen Kommission für Korruptionsbekämpfung, sowie mindestens sechs Mitglieder der Antikorruptionsorganisation Indonesian Corruption Watch (ICW), dass die Konten ihrer Messenger-Apps von Unbekannten gehackt worden seien. Die Betroffenen hatten zuvor öffentlich die Entlassung von 75 Angestellten der Kommission für Korruptionsbekämpfung kritisiert. Der digitale Angriff erfolgte im Vorfeld einer ICW-Pressekonferenz zu den Entlassungen. Auch die Pressekonferenz wurde durch Spam-Angriffe und andere digitale Unterbrechungen gestört.

Rechte indigener Gemeinschaften

Indigene Gemeinschaften, die ihr Land und ihre Traditionen gegen kommerzielle Vorhaben verteidigten, waren weiterhin systematischen Angriffen und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt.

Am 27. Februar 2021 wurden drei Sprecher der indigenen Gemeinschaft der Dayak Modang Long Wai in der Provinz Ostkalimantan festgenommen, als sie gegen ein Palmölunternehmen protestierten, das auf dem angestammten Land der Gemeinschaft Plantagen betrieb.

Im April 2021 wurden Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Sakai in der Provinz Riau gewaltsam angegriffen, als sie versuchten, privates Sicherheitspersonal daran zu hindern, auf dem angestammten Land der Gemeinschaft Eukalyptusbäume zu pflanzen. Die Angreifer handelten im Auftrag eines Holzunternehmens, mit dem die Gemeinschaft schon seit vielen Jahren wegen Landrechten in Streit lag. Angehörige der Gemeinschaft, die die Anpflanzung verhindern wollten, wurden von den Sicherheitsleuten gestoßen, gezerrt und zu Boden geworfen.

Bei einem ähnlichen Vorfall wurden im Mai Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Huta Natumingka in der Provinz Nordsumatra gewaltsam angegriffen. Sie protestierten gegen das Eindringen von Hunderten privater Sicherheitsleute, die von einem Zellstoff- und Papierunternehmen entsandt worden waren, um auf dem von der Gemeinschaft bewohnten Land Eukalyptusbäume zu pflanzen. Bei beiden Vorfällen wurden zahlreiche Indigene verletzt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden schränkten das Recht auf Meinungsfreiheit 2021 weiter ein, auch im Internet. Das Gesetz über Elektronische Informationen und Transaktionen (ITE) kam in mindestens 91 Fällen zur Anwendung, die 106 Personen betrafen, welche lediglich Kritik an der Politik oder an Maßnahmen der Behörden geübt hatten. Einer der Betroffenen war Saiful Mahdi, der am 2. September eine dreimonatige Haftstrafe antreten musste. Ein Gericht hatte den Dozenten der Universität Syiah Kuala in der Provinz Aceh für schuldig befunden, im Jahr 2019 in einer WhatsApp-Gruppe das Einstellungsverfahren der Universität kritisiert zu haben. Er wurde nach einer vom Präsidenten gewährten Amnestie am 12. Oktober freigelassen.

Am 22. September 2021 erstattete der Koordinierende Minister für Meeres- und Investitionsangelegenheiten Anzeige gegen Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti wegen "Verbreitung von Falschinformationen" in Verbindung mit einem Video, das die beiden im August 2020 auf Youtube veröffentlicht hatten. In dem Video hatten sie über Vorwürfe berichtet, denen zufolge der Minister und Armeeangehörige in die Bergbauindustrie in Papua verwickelt seien. Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti mussten mit strafrechtlichen Ermittlungen rechnen, nachdem der Minister sie am 26. August und am 2. September 2021 auf Grundlage des ITE vorladen ließ.

Im August 2021 verhörte die Polizei mehrere Personen, die verdächtigt wurden, Wandmalereien und Plakate mit regierungskritischen Botschaften angefertigt zu haben, die in mehreren Städten aufgetaucht waren. Am 13. September wurden mindestens sieben Studierende der Universität Sebelas Maret in Surakarta in Zentraljava festgenommen, weil sie während eines Besuchs von Präsident Joko Widodo auf dem Campus Plakate entrollt hatten. Auf den Plakaten wurde der Präsident aufgefordert, die örtlichen Kleinbäuer_innen zu unterstützen, gegen Korruption vorzugehen und Belangen der öffentlichen Gesundheit in der Pandemie Priorität einzuräumen.

Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

In den Regionen Papua und Maluku, in denen schon seit Langem Unabhängigkeitsbewegungen aktiv sind, gingen die Behörden weiterhin mit willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen gegen politische Aktivist_innen vor. Ende 2021 befanden sich noch mindestens 15 gewaltlose politische Gefangene aus Papua und elf aus Maluku in Haft. Alle waren auf Grundlage von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs bezüglich Rebellion (makar) angeklagt oder für schuldig befunden worden.

Am 9. Mai 2021 nahmen die Behörden in Jayapura, der Hauptstadt von Papua, den papuanischen Unabhängigkeitsaktivisten Victor Yeimo fest, der friedlich gegen rassistische Diskriminierung protestiert hatte. Er wurde wegen Verstoßes gegen Paragraf 106 (Hochverrat) und Paragraf 110 (Verschwörung zum Hochverrat) des Strafgesetzbuchs angeklagt. Das Verfahren war Ende des Jahres noch nicht abgeschlossen.

Personen, die sich für Arbeitnehmer_innenrechte einsetzten, kamen ebenfalls in Haft. Am 22. Februar wurde Aan Aminah, die Vorsitzende der Föderation militanter Gewerkschaften (Federaci Serikat Buru Militan), inhaftiert. Man legte ihr Körperverletzung zur Last, was mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren und acht Monaten geahndet werden kann. Die Anklage bezog sich auf einen Vorfall im Juni 2020, als Aan Aminah versucht hatte, mit der Leitung eines Unternehmens über die Kündigung mehrerer Arbeitnehmer_innen zu sprechen. Als das Sicherheitspersonal versucht hatte, sie mit Gewalt zu entfernen, hatte sie sich gewehrt. Aan Aminah wurde am 6. Juli 2021 freigesprochen, doch legte die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel gegen das Urteil ein. Am Jahresende war das Rechtsmittelverfahren noch anhängig.

Am 1. Mai 2021 nahm die Polizei zahlreiche Studierende fest, die anlässlich des Internationalen Tags der Arbeit in der Hauptstadt Jakarta und in der Stadt Medan an friedlichen Kundgebungen teilnahmen. Berichten zufolge behauptete die Polizei, Kopfarbeiter_innen dürften nicht an Veranstaltungen zum Tag der Arbeit teilnehmen.

Exzessive Gewaltanwendung

Die Sicherheitskräfte reagierten mit unverhältnismäßiger Gewalt auf friedliche Proteste gegen die Verlängerung und Erweiterung des Sonderautonomiegesetzes für Papua, die das Repräsentantenhaus am 15. Juli 2021 verabschiedete. Sie setzten Wasserwerfer, Schlagstöcke und Gummigeschosse ein, um die Demonstrationen aufzulösen.

In Jakarta und Papua gab es Proteste gegen die Verlängerung des Sonderautonomiestatus von Papua und neue Bestimmungen, die der indonesischen Regierung in Bezug auf die Provinz zusätzliche Befugnisse einräumten und das Recht der Papuaner_innen, politische Parteien zu gründen, abschafften. Am 14. Juli 2021 wurden in Jayapura mindestens vier Studierende bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften verletzt. Berichten zufolge schlug die Polizei die Demonstrierenden mit Fäusten, Gewehren und Gummiknüppeln.

Am 15. Juli 2021 löste die Polizei einen Protest vor dem Gebäude des Repräsentantenhauses in Jakarta auf. Mindestens 50 Personen wurden festgenommen. Ein Protestierender berichtete, er sei von Sicherheitskräften geschlagen, mit Fausthieben traktiert, getreten und rassistisch beleidigt worden, bevor man ihn in einen Lastwagen gezerrt und zum Polizeipräsidium in Jakarta gebracht habe. Am 16. August setzten die Sicherheitskräfte bei einer weiteren Kundgebung in Jayapura Wasserwerfer, Gummiknüppel und Gummigeschosse ein, um die Demonstrierenden auseinanderzutreiben.

Rechtswidrige Tötungen

Berichten zufolge gab es elf Vorfälle mutmaßlich rechtswidriger Tötungen durch Sicherheitskräfte, denen im Laufe des Jahres 15 Menschen zum Opfer fielen. Alle Vorfälle ereigneten sich in Papua. An fünf waren Armeeangehörige beteiligt, zwei wurden der Polizei zugeschrieben, und in vier Fällen sollen sowohl Angehörige des Militärs als auch der Polizei beteiligt gewesen sein. Die Behörden gaben an, in vier der elf Vorfälle Ermittlungen eingeleitet zu haben, doch war bis Ende 2021 noch niemand wegen der Tötungen vor Gericht gestellt worden.

Am 4. Juni 2021 schoss ein Armeeangehöriger auf einem Markt in der Stadt Wamena im Bezirk Jayawijaya auf Denis Tabuni und Eliur Kogoya. Denis Tabuni starb, und Eliur Kogoya erlitt eine Schusswunde am Bein. Anstatt den Vorfall zu untersuchen, wurde ein "Friedensabkommen" zwischen dem mutmaßlichen Täter und der Familie von Eliur Kogoya unterzeichnet.

Am 16. August 2021 erschoss die Polizei Ferianus Asso, der in Papua im Bezirk Yahukimo an einer Demonstration teilnahm, auf der die Freilassung des papuanischen Unabhängigkeitsaktivisten Victor Yeimo gefordert wurde.

Arbeitnehmer_innenrechte

Widersprüchliche Daten und bürokratische Hürden verzögerten die Auszahlung von Anerkennungsprämien, die man den Beschäftigten des Gesundheitswesens für ihre Arbeit während der Coronapandemie versprochen hatte. Das Anreizsystem war im März 2021 eingeführt worden, bis Juli mussten jedoch mindestens 21.424 Beschäftigte in 21 Provinzen Verzögerungen oder sogar Kürzungen der ihnen zustehenden Zahlungen hinnehmen. Nach Angaben der unabhängigen bürgerbasierten Meldeplattform LaporCovid-19 mussten viele Beschäftigte persönlich im Gesundheitsministerium in Jakarta erscheinen, um sicherzustellen, dass ihre Daten korrekt erfasst wurden. Insbesondere Personen, die in entlegenen Gebieten arbeiteten, hatten dazu jedoch keine Möglichkeit.

Eine ehemalige ehrenamtliche Mitarbeiterin des Notfallkrankenhauses Wisma Atlet Emergency Hospital in Jakarta wurde von Sicherheitskräften eingeschüchtert, weil sie eine Pressekonferenz plante, um auf die verzögerte Auszahlung der Anerkennungsprämien hinzuweisen. Ihren Angaben zufolge verhörten Sicherheitskräfte sie am 7. Mai 2021 in einem Konferenzraum des Krankenhauses etwa fünf Stunden lang.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Die Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wurde weiterhin diskriminiert, und ihren Mitgliedern wurde in mehreren Provinzen das Recht verweigert, religiöse Aktivitäten auszuüben. Im Bezirk Sintang in der Provinz Westkalimantan verboten die lokalen Behörden am 29. April auf Grundlage eines gemeinsamen Ministererlasses der örtlichen Ahmadiyya-Gemeinschaft die weitere Ausübung ihrer Religion. Am 13. August 2021 wurde die Ahmadiyya-Moschee auf Druck einer örtlichen islamistischen Gruppe geschlossen. Im darauffolgenden Monat stürmte eine Gruppe unbekannter Angreifer_innen die Moschee und setzte ein angrenzendes Gebäude in Brand. Staatsbedienstete, die vor Ort waren, unternahmen nichts, um den Angriff zu verhindern.

Am 6. Mai 2021 stoppte die Polizei die Bauarbeiten an einer Ahmadiyya-Moschee im Bezirk Garut in der Provinz Westjava und riegelte die Baustelle ab. Die Maßnahme erfolgte Berichten zufolge auf Anweisung des Regenten von Garut, nachdem Anwohner_innen gegen den Bau der Moschee protestiert hatten. Die Arbeiten an der Moschee wurden eingestellt, ohne dass Vertreter_innen der Ahmadiyya-Gemeinschaft zu den Gesprächen zwischen den örtlichen Behörden und den Anwohner_innen hinzugezogen wurden. Ihre Bitte, die Angelegenheit mit der Polizei besprechen zu dürfen, wurde ebenfalls abgelehnt.

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