Amnesty Report 29. März 2022

Burundi 2021

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Nach jahrelanger Haft ist der burundische Menschenrechtsverteidiger Germain Rukuki nach seiner Ankunft am Brüsseler Flughafen am 5. Februar 2022 endlich wieder mit seiner Familie vereint.

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Die von den Behörden ergriffenen Coronamaßnahmen waren unangemessen und schützten das Recht auf Gesundheit nicht ausreichend. Einige repressive Maßnahmen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen, Aktivist_innen und Journalist_innen wurden aufgehoben, und der gewaltlose politische Gefangene Germain Rukuki wurde freigelassen. Dennoch blieben Drohungen, Einschüchterungen und politisch motivierte Strafverfolgungen an der Tagesordnung. Einige nach Burundi zurückgekehrte Flüchtlinge waren Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Die Behörden wurden ihrer Aufgabe nicht gerecht, die Frauenrechte zu achten und zu schützen, und verletzten das Recht auf Privatsphäre. Die Praxis des Verschwindenlassens, der rechtswidrigen Tötungen, der Folter sowie willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen dauerte an. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission sah sich dem Vorwurf der Voreingenommenheit ausgesetzt. Zudem wurde die Unabhängigkeit der Justiz untergraben.

Hintergrund

In den Beziehungen Burundis zu seinen internationalen Partnern kam es zu erheblichen Veränderungen. Der politische Dialog mit der EU wurde wieder aufgenommen, und die Beziehungen zu Ruanda verbesserten sich.

Im Mai 2021 beendete der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union das Mandat seiner Menschenrechtsbeobachtermission in Burundi, und die Vereinten Nationen schlossen das Büro des Sondergesandten des Generalsekretärs für Burundi. Im Oktober beendete auch der UN-Menschenrechtsrat das Mandat der Untersuchungskommission für Burundi und ersetzte die Kommission durch einen Sonderberichterstatter. Burundis Nationale Unabhängige Menschenrechtskommission (Commission Nationale Indépendante des Droits de l’Homme du Burundi) erhielt im Juni trotz Bedenken der Zivilgesellschaft wieder den Status "A".

Die Zahl der Sicherheitsvorfälle nahm zu. So kam es u. a. im Mai und September 2021 zu Angriffen auf Zivilpersonen in Bujumbura und in der Hauptstadt Gitega sowie im Mai und Juni zu Überfällen auf Überlandreisende in der Provinz Muramvya.

2,3 Millionen Menschen benötigten humanitäre Hilfe. Burundi gehörte weiterhin zu den 20 am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern. Mehr als 52.000 Menschen waren von der durch den Anstieg des Tanganjikasees verursachten Überschwemmung betroffen, durch die ihre Häuser zerstört oder beschädigt wurden.

Recht auf Gesundheit

Die Regierung nahm die Zusammenarbeit mit der WHO wieder auf, deren neuer Vertreter im April im Land eintraf. Die Reaktion auf die Coronapandemie blieb jedoch unzureichend. Im Juli 2021 erlaubte die Regierung der Weltbank, Impfstoffe zur Verfügung zu stellen, weigerte sich jedoch, Verpflichtungen zur Behandlung möglicher Nebenwirkungen einzugehen oder Entschädigungen zu zahlen. Die erste Impfstofflieferung traf im Oktober 2021 ein. In der zweiten Jahreshälfte traten erneut Fälle von Covid-19 auf. Berichten von Ärzt_innen zufolge lag die tatsächliche Zahl der Erkrankungen weit höher als offiziell angegeben. Im September wurden Partys und Feierlichkeiten an Werktagen verboten. Im November führten die Behörden einen Gesundheitspass ein, mit dem Personen, die aus dem Wirtschaftszentrum Bujumbura in andere Provinzen reisten, nachweisen mussten, dass sie negativ getestet worden waren.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Januar 2021 gab der Präsident das Versprechen ab, dass seine Regierung eine "freie und verantwortungsvolle Presse" fördern werde, und forderte den Nationalen Kommunikationsrat (Conseil National de la Communication) auf, mit den suspendierten Medienunternehmen zwecks Wiederaufnahme ihrer Arbeit in Kontakt zu treten. Nach seiner Rede wurden die Beschränkungen für mehrere Medienunternehmen – darunter Bonesha FM, Isanganiro TV und die BBC – aufgehoben.

Diese Schritte wurden jedoch im August untergraben, als der Präsident den Journalisten Esdras Ndikumana wegen seiner Berichterstattung über die Auswirkungen der Coronapandemie persönlich angriff und ihn beschuldigte, "das Land zu hassen, in dem er aufgewachsen ist".

Auch die Schuldsprüche gegen die ehemaligen Parlamentsabgeordneten Fabien Banciryanino im Mai und Pierre-Celestin Ndikumana (in Abwesenheit) im August stellten das von der Regierung abgegebene Bekenntnis zum Recht auf freie Meinungsäußerung und Medienfreiheit in Frage. Beide hatten offen Kritik an der Menschenrechtsbilanz der Regierung in der Legislaturperiode 2015–2020 geübt, was unter Abgeordneten eine Seltenheit darstellt. Fabien Banciryanino kam im Oktober nach Verbüßung einer einjährigen Haftstrafe frei.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Obwohl der Oberste Gerichtshof bereits im Juni 2020 über den Fall entschieden hatte, gab er erst im Februar 2021 bekannt, dass fünf Menschenrechtsverteidiger_innen und sieben Journalist_innen, die sich an den Protesten von 2015 beteiligt hatten und inzwischen im Exil leben, für schuldig befunden worden waren. Sie waren wegen Untergrabung der Staatsgewalt, Mordes und Sachbeschädigung im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Während des Prozesses hatten sie keinen Zugang zu Rechtsbeiständen.

Nestor Nibitanga, ehemaliger regionaler Beobachter der Burundischen Vereinigung zum Schutz der Menschenrechte und inhaftierter Personen (Association Burundaise pour la Protection des Droits Humains et des Personnes Détenues), wurde im April 2021 nach einer präsidialen Begnadigung aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte vier Jahre einer fünfjährigen Haftstrafe abgesessen. 2017 war er festgenommen und 2018 unter dem konstruierten Vorwurf der "Bedrohung der inneren Sicherheit des Staates" verurteilt worden.

Im Juni 2021 hob das Berufungsgericht in Ntahangwa die Verurteilung des Menschenrechtsverteidigers Germain Rukuki wegen "Beteiligung an einer Aufstandsbewegung", "Bedrohung der inneren Sicherheit des Staates" und "Angriffs auf die Staatsgewalt" auf. Es erhielt jedoch den Schuldspruch wegen "Rebellion" aufrecht. Seine 32-jährige Haftstrafe wurde auf ein Jahr sowie eine Geldstrafe von 50.000 Burundi-Francs (knapp 22 Euro) reduziert. Nach fast vier Jahren Haft kam er am 30. Juni frei.

Gleichfalls im Juni wurde der Rechtsanwalt Tony Germain Nkina vom Obersten Gericht in Kayanza wegen angeblicher "Kollaboration mit Rebellen, die Burundi angegriffen haben" zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 1 Mio. Burundi-Francs (knapp 440 Euro) verurteilt. Er war im Oktober 2020 während seiner Arbeit in der Gemeinde Kabarore, einem von bewaffneten Angriffen betroffenen Gebiet, festgenommen worden. Es gab mehrere Anhaltspunkte dafür, dass die Verurteilung auf seine mehr als sechs Jahre zurückliegende zivilgesellschaftliche Arbeit zurückzuführen war. Im September bestätigte das Berufungsgericht in Ngozi den Schuldspruch und das Strafmaß.

Die zivilgesellschaftliche Organisation Parole et Actions pour le Réveil des Consciences et l’Evolution des Mentalités (PARCEM) durfte im April 2021 ihre Arbeit wieder aufnehmen, nachdem sie fast zwei Jahre lang suspendiert war.

Frauenrechte

Die burundischen Behörden kamen weiterhin nicht ihrer Pflicht nach, die Menschenrechte von Frauen zu achten und zu schützen. Eine Frau, deren Aufenthaltsort drei Monate lang unbekannt war, nachdem sie ihren Mann verlassen hatte, wurde der "Vernachlässigung der Familie" beschuldigt, ein "Vergehen", das mit bis zu zwei Monaten Gefängnis bestraft werden kann. Bevor sie sich an die Polizei wandte, hatte sie sich in einer Notunterkunft versteckt. Diese wurde von einer Frauenrechtsorganisation betrieben, die ihrerseits beschuldigt wurde, die Sicherheit des Staates zu gefährden.

Recht auf Privatsphäre

In der Gemeinde Gishubi in der Provinz Gitega wurde eine abendliche Ausgangssperre verhängt, um unerwünschte soziale Kontakte zwischen nicht miteinander verheirateten Männern und Frauen zu verhindern. Damit setzte sich ein Trend fort, der in den letzten Jahren auch in anderen Teilen des Landes zu beobachten war. Es wurden neue Regeln eingeführt, wonach eine Frau, die nach 19 Uhr in einer Bar mit einem verheirateten Mann, der nicht ihr Ehemann ist, angetroffen wird, mit einer Geldstrafe von 10.000 Burundi-Francs (etwa 4,30 Euro) belegt wird. Diese Strafe ist auch für Mädchen vorgesehen, die sich zu dieser Zeit außerhalb der Wohnung ihrer Familie aufhalten. Männer, die sich in der Gesellschaft von Frauen befinden, die nicht ihre Ehefrauen sind, werden mit einer Geldstrafe von 20.000 Burundi-Francs (etwa 8,80 Euro) belegt. Dieselbe Strafe wird gegen Jungen verhängt, die nach 19 Uhr zusammen mit Mädchen angetroffen werden.

Im September 2021 ordnete der Innenminister die Suspendierung aller Verwaltungsbeamten an, die im "Konkubinat" oder in einer "illegalen Verbindung" leben. Laut Gesetz liegt ein "Konkubinat" vor, wenn ein verheirateter Mann mit einer Frau oder mehreren Frauen außerhalb oder innerhalb der ehelichen Wohnung so zusammenlebt, als seien sie "Ehefrauen". Das Verbot des außerehelichen Zusammenlebens und der Polygamie blieb bestehen.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Es kam weiterhin zu willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen. Insbesondere Mitglieder der Oppositionspartei CNL (Congrès National pour la Liberté) waren davon betroffen. Im September 2021 veröffentlichte die UN-Untersuchungskommission für Burundi einen Bericht, in dem festgestellt wurde, dass nicht nur Polizisten und Geheimdienstangehörige willkürliche Inhaftierungen vornahmen, sondern auch Justiz- und manchmal Gefängnispersonal.

Verschwindenlassen

Es wurden neue Fälle des Verschwindenlassens gemeldet, u. a. der Fall von Elie Ngomirakiza, einem CNL-Funktionär aus der Provinz Bujumbura Rural, der im Juli 2021 von Militärangehörigen verschleppt wurde. Fälle aus den Vorjahren blieben weiterhin unaufgeklärt. Obwohl der UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen mehr als 250 offene Fälle vorlagen, versuchten die burundischen Behörden, das Problem zu verharmlosen. Im Juli erklärte der Präsident gegenüber den Medien, dass es keine Fälle des Verschwindenlassens gegeben habe, und verwies stattdessen auf Kriminelle, die nach Ruanda geflohen seien. Später im selben Monat spielte der Generalstaatsanwalt der Republik Berichte über das Verschwindenlassen von Menschen herunter. Er erklärte, dass sich die Personen bewaffneten Gruppen angeschlossen hätten, ohne ihre Familien zu informieren, oder dass sie von kriminellen Gruppen, die sich als Sicherheitskräfte getarnt hätten, entführt worden seien.

Recht auf Leben

 

Regelmäßig wurden Leichen, die oft Zeichen von Gewaltanwendung aufwiesen, in der Nähe von Straßen, Seen, Gräben und anderen öffentlichen Plätzen gefunden. Die Menschenrechtsorganisation Ligue Iteka berichtete, dass zwischen Januar und Dezember 2021 insgesamt 269 Leichen entdeckt worden seien, doch hätten vor den Beerdigungen selten Untersuchungen stattgefunden.

Die Polizei, der Geheimdienst (Service National de Renseignement) und Mitglieder der Jugendorganisation der Regierungspartei (Imbonerakure) wurden beschuldigt, mutmaßliche Oppositionelle getötet zu haben, u. a. durch fortgesetzte Folter.

 

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Commission Vérité et Réconciliation  CVR) führte weiterhin Exhumierungen von Massengräbern der beim Massaker von 1972 getöteten Personen durch, bei denen es sich hauptsächlich um Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Hutu handelte. Da sich die CVR auf die Massaker von 1972 konzentrierte, ohne andere Gräueltaten zu untersuchen, sah sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, voreingenommen zu sein und im Auftrag der Regierungspartei zu arbeiten. Zwischen April und Juni 2021 organisierte der Senat mehrere Konferenzen zum Gedenken an die Massaker von 1972 und riskierte damit, die Schlussfolgerungen der CVR vorwegzunehmen.

Im Juli 2021 äußerte sich der Präsident der Nationalversammlung öffentlich in drohender Weise über Richter_innen und untergrub die Unabhängigkeit der Judikative. Im selben Monat schlug der Gouverneur der Provinz Bujumbura regelmäßige Treffen zwischen der Justiz und seinem Büro vor, um Beschwerden von Einwohner_innen über die Justiz zu erörtern. Im August äußerte sich Präsident Ndayishimiye zu Korruptionsvorwürfen gegen Richter_innen, ergriff jedoch keine Maßnahmen zur Verhinderung politischer Einmischung in das Justizsystem.

Der Internationale Strafgerichtshof setzte seine Ermittlungen zur Lage in Burundi fort (obwohl Burundi seinen Beitritt zum Römischen Statut widerrufen hat) und konzentrierte sich dabei auf "mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Burundi oder von burundischen Staatsangehörigen außerhalb Burundis zwischen dem 26. April 2015 und 26. Oktober 2017 begangen wurden".

Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen

Zwischen Januar und September 2021 wurden etwa 36 Burundier_innen als Asylsuchende in den Nachbarländern registriert. Die Zahl der Personen, die Burundi verließen, war ab März 2020 aufgrund der pandemiebedingten Bewegungseinschränkungen drastisch zurückgegangen. Einige Einschränkungen an den Landesgrenzen blieben 2021 bestehen.

Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge unterstützte bis Ende Oktober mehr als 60.000 Geflüchtete bei ihrer Rückkehr nach Burundi. Im Juni bekundete die Katholische Bischofskonferenz Burundis ihre Besorgnis darüber, dass die Rückkehrenden in bestimmten Gebieten nicht gut aufgenommen und von Menschen eingeschüchtert würden, die sie eigentlich bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft unterstützen sollten.

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