Amnesty Report Bulgarien 16. April 2020

Bulgarien 2019

Kinder sitzen auf dem Boden und spielen Ball, im Hintergrund Menschen und ein Haus in schlechtem Zustand

Geflüchtete in einer ehemaligen Militärkaserne in der bulgarischen Stadt Charmanli (Archivfoto)

Die Bedingungen in den Aufnahmezentren und Hafteinrichtungen für Flüchtlinge und Asylsuchende waren 2019 weiterhin unzureichend. Es gab ein hohes Ausmaß häuslicher Gewalt. Im Vorfeld der Europawahl im Mai und der Kommunalwahl im Herbst verschärfte sich das Klima von Rassismus und Intoleranz. Roma, jüdische Personen und andere Minderheiten wurden Opfer von Diskriminierung, Schikanen und gewaltsamen Übergriffen. Journalist_innen waren aufgrund ihrer Arbeit Drohungen und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Obwohl die Zahl der Menschen, die auf der Suche nach Zuflucht nach Bulgarien kamen, stark gesunken war, herrschten bezüglich der Aufnahme, Unterbringung und Nahrungsmittelversorgung von Migrant_innen und Asylsuchenden 2019 immer noch unzureichende Bedingungen.

Migrant_innen und Asylsuchende, darunter auch unbegleitete Minderjährige, wurden nach wie vor routinemäßig inhaftiert. Migrant_innen ohne regulären Aufenthaltsstatus hatten in den Hafteinrichtungen weder ausreichenden Zugang zu Rechtsbeiständen und Dolmetscher_innen noch zu Gesundheitsversorgung, einschließlich wichtiger psychologischer und psychiatrischer Betreuung.

Die Behörden bemühten sich nicht darum, festzustellen, welche Asylsuchenden besonders schutzbedürftig waren, und diese sicher unterzubringen und angemessen zu unterstützen.

Diskriminierende Vorurteile gegenüber Asylsuchenden aus bestimmten Ländern führten dazu, dass sie deutlich schlechtere Chancen hatten, anerkannt zu werden. So wurden Asylanträge von Personen aus Ländern wie Pakistan, Irak und Algerien scheinbar automatisch abgelehnt; afghanische Staatsangehörige erhielten erheblich seltener Asyl als in vielen anderen EU-Ländern. 

Gewalt gegen Mädchen und Frauen

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) wurde von Bulgarien 2019 nicht ratifiziert. Vorausgegangen war eine lange und intensive Kampagne rechtsradikaler Gruppen, die von den nationalistischen Parteien der Regierungskoalition unterstützt wurde, und ein Urteil des Verfassungsgerichts, das 2018 befunden hatte, die Konvention sei nicht mit der bulgarischen Verfassung vereinbar.

Häusliche Gewalt war nach wie vor weit verbreitet. Die zur Anzeige gebrachten Fälle spiegelten nicht das Ausmaß des Problems wider; es war vielmehr von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Die Polizei ging angezeigten Fällen in der Regel nicht gründlich nach. Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen für Opfer waren unterfinanziert und in einigen Regionen des Landes überhaupt nicht vorhanden.

Im Februar 2019 beschloss das Parlament eine Änderung des Strafrechts und führte härtere Strafen für Personen ein, die für häusliche Gewalt verantwortlich waren. Diese Maßnahmen waren allerdings unzureichend und gingen nicht weit genug. Der Europarat forderte Bulgarien auf, mehr in Programme zur Aufklärung und Verhütung häuslicher Gewalt zu investieren und Schutzeinrichtungen und Angebote zur psychologischen und anderweitigen Unterstützung von Betroffenen kontinuierlich zu finanzieren.

Diskriminierung

Im Vorfeld der Europawahl im Mai und der Kommunalwahl im Herbst 2019 nahmen rassistische und ausgrenzende Äußerungen deutlich zu. Seitens der Regierung wurden Hassreden nicht unterbunden, vielmehr signalisierten einzelne Regierungsmitglieder Zustimmung oder machten sogar selbst derartige Äußerungen. Angehörige von Minderheiten wurden weiterhin diskriminiert und schikaniert.

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte stellte fest, dass die staatliche Strategie zur Integration der Roma nahezu folgenlos geblieben war. Roma waren nach wie vor unverhältnismäßig stark von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen und sahen sich mit systematischen Hindernissen konfrontiert, was Bildung, Wohnen, Gesundheitsfürsorge und Beschäftigung betraf.

Im Januar 2019 brachen in Woiwodinowo gewaltsame Anti-Roma-Proteste aus, nachdem zwei Roma einen Soldaten angegriffen hatten. Die Behörden ließen daraufhin zahlreiche Häuser von Roma-Familien abreißen und vertrieben die Bewohner_innen. Mehr als 50 Menschen, darunter Minderjährige, wurden obdachlos, weil die Behörden ihnen keine Alternativunterkünfte zur Verfügung stellten.

Im April 2019 brannte eine aufgebrachte Menschenmenge in Gabrowo die Häuser mehrerer Roma-Familien nieder und forderte, die Stadt von Roma zu "säubern". Zuvor hatten sich im ganzen Land Bilder einer Überwachungskamera verbreitet, auf denen junge Roma zu sehen waren, die in einem Supermarkt mutmaßlich einen Angestellten überfielen. Der gewaltsame Angriff des Mobs führte dazu, dass fast 80 % der 600 in Gabrowo wohnhaften Roma aus der Stadt flohen. Angehörige der Roma-Minderheit und Aktivist_innen, die sich für deren Rechte einsetzen, gaben an, die Behörden hätten die Roma aufgefordert, die Stadt zu verlassen, anstatt sie polizeilich zu schützen.

Die Partei Bulgarische Nationale Bewegung (IMRO), die der Regierungskoalition angehört, legte eine "Strategie zur Integration nicht sozialisierter Roma" vor. Sie sah unter anderem vor, die Sozialhilfe für Roma-Familien zu beschränken, kostenlose Schwangerschaftsabbrüche für Mütter mit mehr als drei Kindern anzubieten, informelle Siedlungen abzureißen und die "Kriminalität in Zigeuner-Ghettos auszumerzen". Das Strategiepapier wurde von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert.

Regierungsvertreter_innen und Parteipolitiker_innen machten diskriminierende und fremdenfeindliche Aussagen. Der stellvertretende Ministerpräsident Krassimir Karakatschanow äußerte sich regelmäßig abfällig über Roma und forderte gar eine "Endlösung für die Zigeunerfrage", ohne dass sich die Regierung unmissverständlich von dessen Aussagen distanzierte.

Im Januar 2019 entschied ein bulgarisches Verwaltungsgericht, der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Waleri Simeonow habe sich nicht der Hetze gegen Roma schuldig gemacht, als er sich 2014 im bulgarischen Parlament offen roma-feindlich äußerte. Damit wurde das Urteil eines erstinstanzlichen Gerichts gekippt, das ihn 2017 wegen Hassrede für schuldig befunden hatte.

Im Februar 2019 versammelten sich in der Hauptstadt Sofia mehr als 2.000 Mitglieder rechtsradikaler Gruppen, um einen bulgarischen nazifreundlichen General zu ehren. Jüdische Gruppen und einige politische Parteien verurteilten den Aufmarsch. Das ganze Jahr über gab es Angriffe auf religiöse Stätten, unter anderem wurden Friedhöfe geschändet.

Gruppen, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen einsetzen, berichteten über eine steigende Zahl von Übergriffen mit homosexuellenfeindlichen Motiven.

Im Juli 2019 erkannte ein Gericht in Sofia offiziell die Ehe von zwei Frauen an, die in Frankreich geheiratet hatten. Trotz dieses Urteils waren gleichgeschlechtliche Partnerschaften nach wie vor nicht erlaubt und wurden in der Verfassung ausdrücklich untersagt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im September 2019 forderte die IMRO den Generalstaatsanwalt auf, dem Bulgarischen Helsinki-Komitee, einer der ältesten und größten Menschenrechtsorganisationen des Landes, die Zulassung zu entziehen. Zur Begründung hieß es, die Aktivitäten der Organisation seien "verfassungswidrig, widerrechtlich, unmoralisch und offen anti-bulgarisch".

Journalist_innen waren 2019 weiterhin Drohungen, Einschüchterungen und starkem politischen Druck ausgesetzt. Ein beträchtlicher Teil der Medien stand nach wie vor unter strikter Kontrolle politischer Parteien. Die Behörden stellten Strafanträge gegen Investigativjournalist_innen, die Korruptionsskandale aufdeckten, an denen mutmaßlich hochrangige Angehörige der Regierung und der Justiz beteiligt waren. Andere Medienschaffende erhielten in Zusammenhang mit ihrer Arbeit regelmäßig Drohungen.

Vor allem regierungskritische Journalist_innen gerieten ins Visier der Behörden. Im September 2019 wurde die Redakteurin eines beliebten Radiosenders suspendiert, nachdem sie die Ernennung des neuen Generalstaatsanwalts kritisiert hatte, die zu öffentlichen Protesten geführt hatte. Der Sender blieb mehrere Stunden lang abgeschaltet.

Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen stufte Bulgarien in ihrer weltweiten Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 111 von insgesamt 180 Ländern ein. Das Land bildete damit nicht nur das Schlusslicht der EU-Mitgliedstaaten, es rangierte auch hinter allen anderen Ländern auf dem Balkan, die nicht zur EU gehören.

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