Amnesty Report 07. April 2021

Angola 2020

Menschen mit Gesichtsmasken (aufgrund von Covid-19) demonstrieren, sie halten Schilder gegen Polizeigewalt, eine Frau hält das Foto eines getöteten Jugendlichen

Demonstration gegen Polizeigewalt in der angolanischen Stadt Benguela am 20. Juni 2020. Unter den Teilnehmenden war auch die Mutter des 14-jährigen Marito, der von der Polizei getötet wurde.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020

Die Sicherheitskräfte in Angola gingen 2020 bei der Durchsetzung von Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie mit exzessiver Gewalt vor und töteten rechtswidrig zahlreiche Menschen, unter ihnen auch Kinder. Menschenrechtsverteidiger_innen wurden festgenommen, weil sie indigene Bevölkerungsgruppen über Covid-19 informierten und Masken sowie Handdesinfektionsmittel verteilten. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren eingeschränkt. Aktivist_innen mussten damit rechnen, willkürlich festgenommen und inhaftiert zu werden. Agroindustrielle Landwirte vertrieben in Absprache mit Vertreter_innen der Staatsmacht traditionelle Viehzüchter_innen und Bäuer_innen mit Gewalt von ihren Landflächen und untergruben so das Recht der Betroffenen auf Nahrung, Wasser und Wohnraum. Die Regierung ergriff während des neunmonatigen Lockdowns keine Maßnahmen, um das Recht auf Nahrung von Familien mit niedrigem Einkommen zu sichern.

Hintergrund

Im Februar 2020 veröffentlichten internationale Medien die "Luanda Leaks". Darin wurde offengelegt, wie die Tochter des früheren Staatspräsidenten dos Santos Staatsgelder veruntreut und auf Offshore-Konten geschafft hatte. Staatspräsident Lourenço erklärte im Oktober 2020, unter der Regierung seines Vorgängers seien durch betrügerische Verträge mit den staatlichen Öl- und Diamantenkonzernen 24 Milliarden US-Dollar (rd. 19,5 Milliarden Euro) beiseitegeschafft worden. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte im Oktober 2020 Vermögenswerte in Höhe mehrerer Milliarden Dollar, die Generäle und der Vizepräsident des ehemaligen Staatspräsidenten auf betrügerische Weise erworben hatten.

Die wirtschaftliche und soziale Lage verschlechterte sich. Gleichzeitig verstärkten die jungen Menschen ihren Druck auf den Präsidenten, die 500.000 Arbeitsplätze zu schaffen, die er im Wahlkampf 2017 versprochen hatte. Zudem kam es zu Protesten gegen die hohen Lebenshaltungskosten.

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie verhängte die Regierung am 27. März 2020 den Ausnahmezustand und setzte Katastrophenschutzmaßnahmen in Kraft. Die Maßnahmen blieben bis Oktober 2020 bestehen und wurden genutzt, um die Menschenrechte willkürlich einzuschränken. Ende 2020 war die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung zwischen den Provinzen weiterhin aufgrund von Lockdown-Maßnahmen eingeschränkt.

Recht auf Nahrung

Während des neunmonatigen Lockdowns im Jahr 2020 veranlasste die Regierung keine Maßnahmen, um das Recht auf Nahrung sicherzustellen. Besonders hart traf dies die Bewohner_innen von einkommensschwachen Stadtvierteln, in denen sich die meisten der dort lebenden Menschen ihren Lebensunterhalt durch informelle Tätigkeiten wie den Verkauf von Waren auf der Straße und auf den täglichen Märkten sichern.

Die Behörden verhängten Strafmaßnahmen gegen Bewohner_innen armer, einkommensschwacher Stadtviertel, denen nichts anderes übrig geblieben war, als ihre Wohnungen zu verlassen, um Nahrungsmittel zu beschaffen, was laut der Notstandsvorschriften als strafbare Handlung galt. Die Regierung rief zwar ein Nahrungsmittelhilfsprogramm für Arme ins Leben, Familien aus den Provinzen Luanda und Benguela berichteten jedoch, dass man sie nicht ausreichend darüber informiert habe, wer anspruchsberechtigt sei und nach welchen Kriterien die Regierung entscheide, welche Gemeinden die Hilfe bekommen sollten. Infolge der im Süden Angolas herrschenden Dürre, von der vor allem die ländlichen Gebiete betroffen waren, litten auch dort viele Menschen unter Nahrungsmittelknappheit. 

Rechtswidrige Tötungen

Bei der Durchsetzung von Ausgangsbeschränkungen anlässlich der Corona-Pandemie setzten die Sicherheitskräfte exzessive Gewalt ein und töteten zahlreiche Menschen. Die Opfer waren vor allem junge Männer aus Armenvierteln; der jüngste war erst 14 Jahre alt. In vielen Fällen waren die angolanische Nationalpolizei (Policia Nacional de Angola – PNA) und die Streitkräfte (Forças Armadas Angolanas – FAA) für die Tötungen verantwortlich.

Am 17. Juni 2020 hielten PNA-Polizisten den 20-jährigen João de Assunção im Stadtviertel Palanca in der Provinz Luanda an, weil er keine Maske trug. Er bot an, die Maske zu holen, doch die Polzisten richteten die Waffe auf ihn und forderten ihn auf, akrobatische Übungen zu vollführen. Als er sagte, er sei erschöpft und krank, schoss ein Polizist an seinem Kopf vorbei in die Luft, woraufhin João de Assunção zu Boden fiel. Nachbar_innen erklärten den Polizisten, dass João de Assunção an einem Herzproblem und Bluthochdruck leide. Die Polizisten brachten ihn ins Hospital Cajueiros, wo er noch am selben Tag starb.

Am 3. Juli 2020 erschossen Polizisten in der Provinz Luanda gegen 19 Uhr den 15 Jahre alten Mabiala Mienandi, der gerade mit seinen Freunden Fußball spielte. Zeug_innen berichteten, dass ein Polizeifahrzeug angefahren kam und die Polizisten ohne Vorwarnung auf die Jungen schossen, die um ihr Leben liefen und Deckung suchten. Mabiala Mienandi wurde von einer Kugel getroffen. Drei Polizisten verließen das Fahrzeug, traten dreimal auf ihn ein und fuhren dann weg.

Einen Tag später erschossen Polizisten in Cacuaco in der Provinz Luanda den 16-jährigen Clinton Dongala Carlos. Der Junge hatte bei seiner Tante zu Abend gegessen und war auf dem Weg nach Hause. Nach Angaben von Zeug_innen verfolgten ihn zwei Soldaten und drei Nationalpolizisten. Einer von ihnen schoss ihm in den Rücken.

Am 13. Juli 2020 wurde José Manuel gegen Mitternacht im Prenda, einem Stadtviertel der Gemeinde Maianga, auf offener Straße durch Schüsse niedergestreckt. Er und sein 16-jähriger Freund Maurício hatten gehört, wie Anwohner_innen riefen, dass die Polizei komme. Während die Jungen wegrannten, schoss ein Polizist auf sie. Maurício wurde an der Schulter getroffen, José Manuel war sofort tot.

Die polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit diesem Fall und anderen Fällen dauerten Ende 2020 an. Es wurden weder ein Bericht noch andere Informationen über den Stand der Ermittlungen veröffentlicht. Die Straflosigkeit für derartige Verbrechen war immer noch weitverbreitet.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Personen, von denen angenommen wurde, dass sie die wegen der Pandemie verhängten Beschränkungen missachtet hatten, wurden willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt. Auch politische Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen waren unter diesem Vorwand derartigen Übergriffen ausgesetzt.

Am 2. April 2020 verteilten neun Menschenrechtsverteidiger_innen von MBATIKA (Missão de Beneficência Agropecuária do Kubango Inclusão Tecnologias e Ambiente), einer lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation, in der Provinz Cuando Cubango Informationen über Covid-19 sowie wichtige Schutzprodukte wie Seife und Desinfektionsmittel an Angehörige der San und anderer indigener Gemeinschaften. Polizisten schlugen die Menschenrechtsverteidiger_innen mit Schlagstöcken, bedrohten sie mit Schusswaffen und nahmen sie dann fest. Sie wurden nach acht Stunden ohne Anklageerhebung wieder freigelassen.

Am 4. April 2020 schlugen Polizisten in den Straßen der Kleinstadt Buco-Zau in der Provinz Cabinda auf zehn Männer ein und nahmen sie fest. Einwohner_innen sagten, sieben der Männer seien unterwegs gewesen, um Lebensmittel einzukaufen. Die Männer wurden anfangs unter schlechten Bedingungen in einer einzigen Zelle in Gewahrsam gehalten, doch dann zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen dem 5. und 7. April ohne Anklageerhebung wieder freigelassen.

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Die Behörden schränkten die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in der Provinz Cabinda auch im Jahr 2020 ein. Politisch aktive Personen und Menschenrechtsverteidiger_innen wurden schikaniert, geschlagen und willkürlich inhaftiert. Ab September 2020 protestierte die Bevölkerung regelmäßig gegen die weitverbreitete Hungersnot und Armut sowie die hohen Lebenshaltungskosten. Die Behörden reagierten auf die Proteste mit rechtswidriger Gewalt, wobei die Sicherheitskräfte Wasserwerfer, Gummigeschosse, Schlagstöcke und Tränengas einsetzten, um die Demonstrierenden auseinanderzutreiben, ohne dass es dafür eine rechtliche Grundlage gab.

Am 28. Juni 2020 wurden Maurício Gimbi, Vorsitzender der Partei Union für die Unabhängigkeit von Cabinda (União dos Cabindeses para Independência – UIC), und sein Büroleiter André Bonzela an einem Taxistop in der Stadt Cabinda von Zivilpolizisten tätlich angegriffen und anschließend willkürlich festgenommen und inhaftiert. Die beiden Männer hatten zusammen mit João Mampuela, dem stellvertretenden Vorsitzenden der UIC, wenige Tage zuvor in der Stadt Cabinda Broschüren mit dem Slogan "Cabinda ist nicht Angola" und dem Aufruf "das Tragen von Waffen zu verbieten" verteilt.

Am 20. Juni durchsuchte die Polizei um 5 Uhr morgens die Wohnung von João Mampuela und nahm ihn nach dem Fund von UIC-Broschüren fest. Die drei Männer wurden u. a. wegen "Rebellion", "Bildung einer kriminellen Vereinigung" und "Verunglimpfung des Staates" angeklagt. Im September 2020 gewährte das Gericht in Cabinda André Bonzela gegen eine Kaution von 300.000 Kwanza (etwa 375 Euro) die Freilassung. Da er das Geld nicht aufbringen konnte, blieb er in Haft. Eine Freilassung von Maurício Gimbi und João Mampuela gegen Kaution wurde wegen früherer Einträge im Strafregister abgelehnt. Die Einträge hatten mit ihrer Teilnahme an einer friedlichen Demonstration im Jahr 2019 zu tun, nach der sie neben anderen konstruierten Anklagen wegen "Verunglimpfung des Staates" sowie "Landfriedensbruch und Widerstand" angeklagt worden waren. Ende 2020 befanden sich die drei Männer immer noch im Zivilgefängnis der Provinz Cabinda.

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Die Landnahme zu industriellen Zwecken, von der vor allem die Provinz Huíla im Süden Angolas betroffen war, hatte auch im Jahr 2020 verheerende Folgen für die dort ansässige Bevölkerung, deren Lebensgrundlage die kleinbäuerliche Viehhaltung und Landwirtschaft war. Großgrundbesitzer_innen und Kommunalbehörden hinderten die ansässige Bevölkerung daran, auf ihre Landflächen zu gelangen, und leiteten Wasserressourcen um, um sie so zur Räumung der Landflächen zu zwingen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, die formale Beschwerden bei der Regierung einreichten oder versuchten, die Vertreibungen auf anderem Wege aufzuhalten, erhielten keine Reaktion auf ihre Eingaben. Die Behörden führten weder zweckdienliche Konsultationen mit den betroffenen Gemeinden durch, noch zahlten sie ihnen eine Entschädigung oder boten ihnen vernünftige Alternativen an. Die Folge war, dass Familien mit Gewalt von ihren Landflächen vertrieben und ihrer Existenzgrundlage sowie ihrer Rechte auf Nahrung, Wasser, Wohnraum und Gesundheit beraubt wurden.

Im August 2020 kam es zu einer ganzen Reihe von Landnahmen, von denen zahlreiche Familien betroffen waren. Ein Agroindustrieller setzte in Kamphanda, einer entlegenen Ortschaft im Kreis Gambos, ein außergerichtliches Verfahren in Gang, um die Dorfbewohner_innen von ihren gemeinschaftlich bewirtschafteten Landflächen zu vertreiben. Er nötigte die des Lesens und Schreibens unkundigen Einwohner_innen dazu, ihm ihre Landflächen zu überschreiben, indem sie ihre Fingerabdrücke unter das entsprechende Papier setzten. 

Im weiteren Verlauf des Monats gab der Gemeindeverwalter von Cainda im Kreis Quipungo die Anweisung, die von ansässigen Familien gemeinschaftlich bewirtschafteten Landflächen abzuzäunen und sie an einen weiteren agroindustriellen Landwirt zu übergeben. Als die Anwohner_innen protestierten, drohten die Kommunalbehörden ihnen damit, sie ins Gefängnis zu stecken. 

Beamt_innen der Kommunalverwaltung machten mit Agrounternehmer_innen gemeinsame Sache, um die Cuvangue-Gemeinden von ihrem Land im Kreis Matala zu vertreiben und Abschnitte des Flusses Cunene zu privatisieren. Damit wurden die Gemeinden von der Wasserversorgung abgeschnitten. 

Das Wasserunternehmen Água Preciosa staute das Wasser des Kanals, der die Gemeinde Tyihonguelo (Kreis Lubango) mit Wasser versorgte. Dies war der Beginn eines rechtswidrigen Verfahrens mit dem Ziel, die Gemeinde von den gemeinschaftlich genutzten Landflächen zu vertreiben. Auf den Landflächen lebten mehrere Hundert Familien. 

Das Jahr 2020 ging zu Ende, ohne dass die Regierung Maßnahmen ergriffen hatte, um Gemeinden vor rechtswidrigen Zwangsräumungen zu schützen oder ihr Recht auf lebensnotwendige Güter zu gewährleisten.

Weitere Artikel