Amnesty Report Albanien 29. März 2022

Albanien 2021

Viele Meschen mit Masken schwenken albanische Flaggen vor blauem Himmel.

Anhänger_innen der regierenden Sozialistischen Partei Albaniens (SP) schwenken Nationalflaggen während einer Kundgebung in Tirana, Albanien, am 27. April 2021.

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Bei den Parlamentswahlen im April 2021 erhielt die Sozialistische Partei zum dritten Mal in Folge das Mandat zur Regierungsbildung. Das Recht auf Privatsphäre von rund 900.000 Bürger_innen wurde verletzt. Die Gewalt gegen Frauen, Journalist_innen und LGBTI+ hielt an. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des albanischen Obersten Gerichtshofs konnte nicht umgesetzt werden, da es in Albanien an medizinischen Einrichtungen für psychisch Kranke fehlte, denen aufgrund eines Gerichtsbeschlusses eine psychiatrische Behandlung ermöglicht werden müsste.

Recht auf Privatsphäre

Anfang April 2021, wenige Tage vor den Parlamentswahlen, geriet eine illegale Datenbank mit den persönlichen Daten von etwa 900.000 Bürger_innen, die von der Sozialistischen Partei für Wahlzwecke verwendet wurde, an die Öffentlichkeit. Daraufhin reichten 162 Personen Klage gegen die Sozialistische Partei wegen Verletzung des Datenschutzrechts ein. Im Dezember wurden zwei weitere Datenbanken geleakt, was zu großer öffentlicher Empörung führte. Sie beinhalteten persönliche Informationen über mehr als 600.000 Steuerzahler_innen, so z. B. Angaben über ihre Gehälter, ihren Arbeitsplatz oder ihr Automodell.

Im Juli 2021 erklärte das Verfassungsgericht einige Bestimmungen des Gesetzes über die Staatspolizei für nichtig, die es der Polizei erlaubt hatten, ohne vorherige gerichtliche Bewilligung Massenüberwachungen von Bürger_innen durchzuführen. Diese Bestimmungen wurden für verfassungswidrig erklärt, da sie das Recht auf Privatsphäre unzulässig einschränkten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im April 2021 beschlagnahmte die Antikorruptionsbehörde SPAK Server des Nachrichtenportals Lapsi.al, auf denen sich die Datenbank mit den persönlichen Daten von etwa 900.000 Bürger_innen befand, die auf der Website Lapsi.al veröffentlicht worden waren (siehe "Recht auf Privatsphäre"). Daraufhin wurden Bedenken hinsichtlich der Meinungsfreiheit, des Quellenschutzes und der Einschüchterung von Journalist_innen laut. Der EGMR erließ eine einstweilige Verfügung, mit der die Behörden angewiesen wurden, die Beschlagnahme von Daten des Nachrichtenportals zu beenden.

Im Juli 2021 griffen Polizist_innen den Journalisten Ergys Gjencaj tätlich an, als er einen Polizeieinsatz filmte. Sie nahmen ihn anschließend fest und beschlagnahmten sein Telefon.

Grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

Im Juli 2021 ordnete der Oberste Gerichtshof Albaniens im Anschluss an die Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Strazimiri gegen Albanien an, dass Arben Strazimiri aus dem Gefängnis in eine medizinische Spezialeinrichtung verlegt werden müsse. Er hatte im Gefängnis unmenschliche und erniedrigende Behandlung erfahren anstelle der psychiatrischen Behandlung, die er benötigte. Das Urteil konnte jedoch nicht umgesetzt werden, da es in Albanien an entsprechenden medizinischen Einrichtungen fehlte.

Recht auf Gesundheit

Im August 2021 ordnete das Gesundheitsministerium obligatorische Impfungen gegen das Coronavirus für Hochrisikogruppen wie medizinisches Personal, Lehrende und Studierende an.

Laut den Angaben der Ombudsperson überstieg die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Personen bei Weitem die Zahl der Behandlungen, deren Kosten rückerstattet werden konnten. Keinen Anspruch auf die Erstattung der Arzneimittelkosten hatten Patient_innen, die zwischen März und November 2020 oder von privaten Gesundheitseinrichtungen positiv getestet wurden.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

LGBTI+ wurden weiterhin diskriminiert und schikaniert. Eine trans Frau wurde auf der Straße verprügelt. Im Juni 2021 untersagte das Standesamt einem lesbischen Paar, sich als Eltern registrieren zu lassen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Während des Wahlkampfs im März 2021 wurden kandidierende Frauen zum Ziel von Hassreden.

Die Gewalt gegen Frauen löste Empörung in der Bevölkerung aus. Bis Anfang Dezember wurden 2.754 Schutzanordnungen ausgestellt, die jedoch nur unzureichend umgesetzt wurden. Laut Polizeiangaben handelte es sich 2021 bei 30 Prozent aller Morde um Fälle, in denen Männer ihre Lebensgefährtinnen töteten. Insgesamt wurden 16 Frauen getötet. Im Mai wurde eine Frau nach ihrer Scheidungsanhörung vor dem Bezirksgericht von Elbasan umgebracht.

Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

Die Justizreform kam nur langsam voran. Der EGMR bestätigte die Rechtmäßigkeit des Ernennungsverfahrens einer Verfassungsrichterin, die entlassen worden war. Die Richterin hatte beim EGMR Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und des Rechts auf Privatsphäre eingelegt.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen

Im August 2021 kündigte Ministerpräsident Edi Rama an, dass Albanien vorübergehend 4.000 Menschen aus Afghanistan aufnehmen würde. Bis Oktober waren 866 Personen eingetroffen, die einen auf ein Jahr begrenzten Schutzstatus erhielten.

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