Amnesty Journal Usbekistan 01. Juni 2020

"Es gibt Schritte nach vorn"

Eine mittelalte Frau mit schwarzen Haaren sitzt in einer Sitzecke an einem Tisch.

Engagiert im Kampf gegen Zwangsarbeit: Die usbekische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Umida Niyazova.

Über Jahrzehnte wurden in Usbekistan jedes Jahr Menschen zur Arbeit auf den Baumwollfeldern gezwungen. Seit zwei Jahren soll damit Schluss sein. Aber ist es das auch? Ein Gespräch mit der Menschenrechtsaktivistin Umida Niyazova.

Interview: Felix Lill

Im Zuge eines Liberalisierungsprozesses, der vor zwei Jahren begann, hat die usbekische Regierung der Zwangsarbeit den Kampf angesagt. Wie ist der Stand der Dinge?

Nach Jahrzehnten des Verleugnens hat der neue Präsident Shavkat Mirziyoyev immerhin zugegeben, dass es Zwangsarbeit überhaupt gibt. Das hat schon etwas gebracht. Vor fünf Jahren wurden noch Schulen geschlossen, damit im ganzen Land fast eine Million Kinder ab elf Jahren in den Baumwollfeldern arbeiteten. Universitätsstudenten verloren jedes Jahr drei Monate, weil sie für die Ernte eingezogen wurden. Das geschieht jetzt nicht mehr in dem Ausmaß wie zuvor. Präsident Mirziyoyev ist sicher kein demokratischer Reformer, aber es gibt Fortschritte. Er hat auch begonnen, über all die Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan zu sprechen. Das Land hat sich seitdem auch etwas gegenüber internationalen Organisationen und NGOs geöffnet.

Sie sind in der "Cotton Campaign" engagiert, einer Initiative von NGOs und Unternehmen, die sich für den Boykott usbekischer Baumwolle einsetzt. Ist Ihre Arbeit erfolgreich?

Es sieht zumindest so aus. Im April hat der usbekische Arbeitsminister Nozim Khusanov einen offenen Brief an die Cotton Campaign geschrieben, in dem er um ein Ende des Boykotts bittet, der seit 2008 besteht. Ungefähr 300 Modemarken haben sich dem Boykott inzwischen angeschlossen und verwenden für ihre Produkte keine usbekische Baumwolle, solange dort Menschen zur Arbeit auf den Feldern gezwungen werden. Aber die Corona-Krise betrifft auch Usbekistan stark. Das Gesundheitssystem ist belastet, die Volkswirtschaft geschwächt. Diese schwierige Situation hat Khusanov dazu bewogen, einen Brief zu schreiben, in dem er versichert, mit uns kooperieren zu wollen.

Im Brief des Ministers heißt es, man tue "weiterhin alles Mögliche, um alle Formen von Zwangsarbeit zu beenden." Das ist bisher also noch nicht gelungen?

Das von mir gegründete Usbekische Forum für Menschenrechte war als Mitglied der Cotton Campaign in den vergangenen zehn Jahren jedes Jahr vor Ort, um die Baumwollernte zu beobachten. 2019 wurden keine Kinder mehr mobilisiert. Aber Angestellte von öffentlichen Institutionen waren weiterhin betroffen. Wir wissen von rund 100.000 Fällen, gehen aber von deutlich mehr aus. Seit die Regierung von Shavkat Mirziyoyev im Amt ist, sind Schritte nach vorne gemacht worden. Es bleiben allerdings auch noch viele Schritte zu tun.

Sie haben Ihre Staatsbürgerschaft verloren, nachdem Sie 2007 als Journalistin die Menschenrechtslage im Land angeprangert hatten. Gibt es Hoffnung, dass Sie den Pass zurückerhalten?

Ich warte darauf. Als ich damals unbequeme Artikel über Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit geschrieben hatte, wurde ich festgenommen und saß vier Monate im Gefängnis. Deutschland, das zu dem Zeitpunkt die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, setzte sich damals für meine Freilassung ein. So kam ich nach Berlin, wo ich seit 2008 lebe. Als kurz darauf mein usbekischer Pass auslief, weigerte sich die Botschaft in Berlin, ihn zu erneuern. So war ich einige Zeit staatenlos. Mittlerweile habe ich einen deutschen Pass. Aber den usbekischen will ich trotzdem zurück. Ich würde gerne wieder einreisen können.

Wann wäre der Zeitpunkt, um es mit einer Einreise zu versuchen?

Ich fürchte, so weit sind wir noch nicht. Nach wie vor verweigert der Staat fast allen NGOs eine Registrierung in Usbekistan. Es gibt keine starke Zivilgesellschaft. Sollte sich das ändern, und sollte der Staat zudem aufhören, Menschen zur Arbeit zu zwingen, deren Erträge vor allem dem Staat nützen, dann würde ich mich sicherer fühlen. Erst dann würde ich über eine Reise nach Usbekistan nachdenken und gerne alle verantwortungsvollen Unternehmen dazu ermutigen, für ihre Produkte usbekische Baumwolle zu verwenden.

Zur Person: Umida Niyazova

Geboren 1974, hat die meiste Zeit ihres Lebens in der usbekischen Hauptstadt Taschkent verbracht. Wegen regierungskritischer Veröffentlichungen wurde die Journalistin 2007 inhaftiert. Weil Deutschland sich für ihre Freilassung einsetzte, konnte sie nach vier Monaten in einem usbekischen Gefängnis nach Berlin ziehen, wo sie seither lebt. Sie gründete dort das Usbekische Forum für Menschenrechte, dessen Direktorin sie auch ist.

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