Amnesty Journal Thailand 15. Dezember 2021

Wie eine Soziologiestudentin Thailands Monarchie herausfordert

Eine junge thailändische Aktivistin steht vor einem Denkmal und hebt ihre linke Hand in den Himmel, über den Wolken treiben.

Gegen Unrecht: Die thailändische Aktivistin Panusaya Sithijirawattanakul, genannt Rung.

Rung ist das Gesicht einer Bewegung, die die thailändische Monarchie reformieren will. Weil ihr eine lange Haftstrafe droht, unterstützt Amnesty sie beim Briefmarathon.

Von Karolina Kaltschnee

Am 10. August 2020 steigt die Soziologiestudentin Panusaya Sithijirawattanakul, genannt Rung, vor der Thammasat-Universität auf ein Podest. Sie liest von einem Blatt Papier ab, Kameras und Mikrofone stehen um sie herum. Sie bricht ein Tabu: Sie verliest zehn Forderungen zur Reform der Monarchie, fordert Gleichheit und Meinungsfreiheit. Und viele junge Menschen applaudieren. An diesem Tag wird die Unbekannte zu einer Ikone in Thailand. Diese Popularität habe sie nicht erwartet, erzählt Petcharat "May" Saksirivetkul, Mitarbeiterin von Amnesty International Thailand. Rung wird seither für Interviews angefragt, bejubelt – und von den thailändischen Behörden beobachtet. Weil sie friedlich Veränderungen forderte, ist Rung mit Anklagen konfrontiert, die eine lebenslange Haftstrafe nach sich ziehen könnten. Mit dem Briefmarathon setzt Amnesty sich dafür ein, dass alle Anklagen gegen sie fallen gelassen werden.

"Wir alle haben rotes Blut"

2020 formierte sich eine Protestbewegung, die anders ist als alles, was Thailand bisher gesehen hat: jung, modern, gut vernetzt. Und Rung ist ihr Gesicht. Wie Tausende Schüler_innen und Studierende ging sie im August 2020 auf die Straße, um die Absetzung von Prayut Chan-o-Cha zu fordern, der durch den Militärputsch 2014 Ministerpräsident wurde. "Wir alle haben rotes Blut", postete sie bei Facebook in Anspielung auf das "blaue Blut" der Monarchie – und die Ungerechtigkeit von Thailands Klassengesellschaft.

Panusaya Sithijirawattanakul wuchs in Nonthaburi auf, der zweitgrößten Stadt Thailands. Für ihr Studium zog sie nach Bangkok. Dort begann sie, Fotos von sich zu posten, auf denen sie vor Plakaten sitzt: mit erhobener Hand, drei Finger ausgestreckt. Dieses Symbol der Solidarität und der neuen Bewegung ist für die thailändischen Behörden eine Provokation. Wer keinen Respekt gegenüber dem Königshaus zeigt, wird in Thailand hart bestraft: Ein Gesetz gegen Majestätsbeleidigung sieht bei Verstößen bis zu 15 Jahre Haft vor.

Entwürdigende Haftbedingungen

Im Oktober 2020 wurde Rung zum ersten Mal inhaftiert. Nach fünfzehn Tagen kommt sie wieder frei. Als sie im März 2021 ­erneut inhaftiert wird, verbringt sie 60 Tage im Gefängnis. 38 Tage tritt sie in Hungerstreik. May sagt, sie habe während ihrer Haft viel mit ihr telefoniert. Rung habe ihr über die entwürdigenden Haftbedingungen berichtet: "Jede Frau bekommt einen Eimer – zum Geschirrspülen, für die Körperhygiene, zum Kochen und Wäschewaschen." Als Rung im Gefängnis weitere ­Eimer für die Frauen verlangte, geriet sie mit den Wärterinnen in Streit. "Sie hat sich durchgesetzt und dafür gesorgt, dass die Frauen in dem Gefängnis mehrere Gefäße bekamen", erzählt May.

Am 22. September 2021 wird Rung zum dritten Mal in Gewahrsam genommen, als sie ihre Aktivitäten auf Social-Media teilt. Live berichtet sie auf Facebook von ihrer Verhaftung. Nach wenigen Stunden kommt sie am selben Tag gegen Kaution wieder frei. Rung wollte keine Aktivistin werden, sie sei im Grunde sehr schüchtern, erzählt May. Aber inzwischen sei sie sich ihrer Rolle und damit auch ihrer Verantwortung bewusst. Auch in ihrem Studium setzt sich Rung mit Aktivismus auseinander: Ihre Bachelor-Arbeit schreibt sie über die Zustände in thailändischen Frauengefängnissen. May sagt, die Zeit im Gefängnis habe Rung darin bestärkt, weiter gegen Ungerechtigkeit in Thailand zu kämpfen.

Karolina Kaltschnee ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Briefmarathon

Rund um den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember startet Amnesty auch in diesem Jahr den Briefmarathon. Hunderttausende Menschen weltweit schreiben Millionen Briefe – an Menschen, deren Rechte verletzt werden, und an Regierungen und Behörden, die die Menschenrechte missachten. Mehr dazu unter briefmarathon.de.

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