Aktuell Bericht 26. April 2018

Unterdrückung der Zivilgesellschaft und Klima der Angst sofort beenden!

Zwei Männer laufen eine Straße entlang und tragen Amnesty-Protestschilder

Nach der Mahnwache zur Freilassung von Kılıç am 8. März 2018 vor der türksichen Botschaft in Berlin

Ich habe eine kleine gepackte Tasche zu Hause. Jeden Morgen melde ich mich bei zwei Personen [um sie wissen zu lassen, dass ich noch da bin]. Ich bin vorbereitet für das, was kommen kann.

Şebnem
Korur Fincancı
Menschenrechtsverteidigerin und Gerichtsmedizinerin, strafrechtlich verfolgt wegen ihrer Teilnahme an der Solidaritätskampagne für die kurdische Zeitung Özgur Gündem, Februar 2018

Die türkische Regierung geht weiterhin mit aller Härte gegen die Zivilgesellschaft vor und versucht systematisch, die Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern einzuschränken. Der bestehende Ausnahmezustand wird gezielt dazu genutzt, die Arbeit von tausenden Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffenden, Aktivistinnen und Akvisten und Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern einzuschränken. Das zeigt der erschienene Amnesty-Kurzbericht "Weathering the storm: Defending human rights in Turkey’s climate of fear".



Der im Juli 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch ausgerufene Ausnahmezustand wurde bislang sieben Mal verlängert. In diesem Zeitraum hat die Regierung über 30 Dekrete  erlassen – ohne nennenswerte Kontrolle durch Parlament oder Gerichte. Die Regierung nutzt ihre weitreichenden Befugnisse unter dem Ausnahmezustand, um die Zivilgesellschaft massiv zu unterdrücken. Über 1.300 Nichtregierungsorganisationen und mehr als 180 Medienhäuser wurden seit Juli 2016 geschlossen.



Oppositionelle, Journalistinnen und Journalisten und Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler müssen mit langen Haftstrafen, Einschüchterungen und Drangsalierungen rechnen. Dabei werden sie nicht selten öffentlich diffamiert und von hochrangigen Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertretern als Terroristen, Spione oder Staatsfeinde bezeichnet. Diese Hetzkampagnen, die oft auch in den sozialen Medien stattfinden, sind in vielen Fällen der Vorläufer zu Inhaftierung oder Strafverfolgung.



Unter der Schließung von Nichtregierungsorganisationen leiden insbesondere schutzbedürftige Gruppen, wie Frauen, Geflüchtete und die LGBTI-Community. Juristische Beratungsangebote, psychologische Unterstützung und medizinische Hilfe für Opfer von Diskriminierung und (sexueller) Gewalt fallen oft vollständig weg.

Es gibt jetzt eine große Lücke im Beratungsangebot und bei der Unterstützung für Überlebende. Es bricht mir wirklich das Herz. Wir haben diese rechtmäßige, unabhängige Organisation aufgebaut. Niemand von uns steht in Verbindung zu irgendeiner bewaffneten Gruppe.

Zozan
Özgökçe
Gründerin und Sprecherin der Van Women’s Association (VAKAD), die sich für Frauenrechte einsetzt

Die Unterdrückung der Zivilgesellschaft macht auch vor Vertreterinnen und Vertretern unabhängiger internationaler Organisationen nicht Halt: Unser Kollege Taner Kılıç, Ehrenvorsitzender von Amnesty International in der Türkei, sitzt seit fast elf Monaten aufgrund absurder Vorwürfe in Haft.



Amnesty fordert von den türkischen Behörden, die umgehende Freilassung von Taner Kılıç und allen in der Türkei inhaftierten Menschenrechtsverteidigerinnen Menschenrechtsverteidigern und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren. Die türkischen Behörden müssen den Ausnahmezustand aufheben und das Klima der Angst und Unterdrückung beenden, bevor es in der Türkei keine unabhängige Zivilgesellschaft mehr gibt. Auch die internationale Gemeinschaft darf die türkische Zivilgesellschaft nicht alleine lassen. Wir erwarten deswegen weiter klare Stellungnahmen der Staatengemeinschaft und auch der Bundesregierung.

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