Aktuell 21. April 2020

"Das Leben ist das höchste Gut - das dürfen wir niemals vergessen"

Kommentar zur Amnesty-Todesstrafen-Statistik 2019
Porträtbild von Abdulkareem al-Hawaj

Abdulkareem al-Hawaj wurde am 23. April 2019 in Saud-Arabien hingerichtet

Die weltweite Hinrichtungsrate ist so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr, doch einige Länder halten weiter an der Todesstrafe fest. Abdulkareem al-Hawaj aus Saudi-Arabien ist einer von Tausenden Menschen, die im vergangenen Jahr hingerichtet wurden. Wir müssen weiter Druck auf diese Staaten ausüben, damit auch sie die Todesstrafe abschaffen.

Von Clare Algar, Expertin für "Research Advocacy and Policy" bei Amnesty International

Abdulkareem al-Hawaj aus Saudi-Arabien war 16 Jahre alt, als er vermeintlich an regierungskritischen Protesten in der überwiegend schiitischen Ostprovinz von Saudi-Arabien teilgenommen haben soll. Erst zwei Jahre nach den Protesten, im Januar 2014, wurde der Teenager festgenommen und in Verbindung mit seiner mutmaßlichen Teilnahme an den Demonstrationen angeklagt.

Berichten zufolge wurde Abdulkareem fünf Monate lang in Einzelhaft festgehalten. Er gab an, während der Verhöre geschlagen und eingeschüchtert worden zu sein. Zudem habe man damit gedroht, seine Familie zu töten, um ihn so zu zwingen, ein "Geständnis" abzulegen. Er hatte während seiner Untersuchungshaft und in den Verhören keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand.

Abdulkareem wurde am 27. Juli 2016 vor dem Sonderstrafgericht zum Tode verurteilt und am 23. April 2019 in einer grausamen Massenhinrichtung gemeinsam mit 36 weiteren Menschen exekutiert. Die Familien der Hingerichteten erfuhren erst aus den Nachrichten vom Tod ihrer Angehörigen. Auch die Leichname wurden ihnen nicht übergeben.

Amnesty International betrachtet die Todesstrafe als die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Kaltblütig ein Leben zu nehmen, ob durch Erhängen, Stromstöße, Enthauptung, Erschießen oder eine tödliche Injektion, ist eine Handlung auf niedrigstem Niveau. Es verstößt gegen das Völkerrecht, jemanden zum Tode zu verurteilen, der zum Tatzeitpunkt minderjährig war.

Grafik, die die fünf Länder mit den meisten Hinrichtungen 2019 darstellt, darunter: China, Iran, Saudi-Arabien, Irak, Ägypten

 

Die Todesstrafe wird häufig eingesetzt, um kritische Stimmen oder Andersdenkende zum Schweigen zu bringen, Minderheiten oder andere marginalisierte Gruppen zu unterdrücken, und um den Anschein zu erwecken, entschieden gegen Kriminalität vorzugehen. Allerdings liegen keine glaubwürdigen Nachweise dafür vor, dass die Anwendung der Todesstrafe für mehr Sicherheit in der Gesellschaft sorgt, oder dass Hinrichtungen abschreckender wirken als Gefängnisstrafen.

Amnesty International setzt sich seit mehr als 40 Jahren für die Abschaffung der Todesstrafe ein – in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos. Es ist daher vielversprechend, dass unser jüngster Bericht für das vierte Jahr in Folge einen Rückgang in der weltweiten Hinrichtungsrate aufzeigt und dass diese so niedrig liegt wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Weltweite Abkehr von der Todesstrafe

Im Jahr 2019 wurden weltweit offiziell 657 Hinrichtungen erfasst, ein Rückgang von fünf Prozent gegenüber 2018. Dies bestätigt den globalen Trend hin zur Abkehr von der Todesstrafe, der seit 2015 anhält, als die Hinrichtungsrate noch bei 1.634 lag. Zum Teil liegt dieser Rückgang daran, dass in Ländern, in denen traditionell stark auf die Todesstrafe zurückgegriffen wird, 2019 weniger Todesurteile vollstreckt wurden. In Japan wurden drei Hinrichtungen vollzogen (gegenüber 15 im Vorjahr), in Singapur vier (gegenüber 13 im Vorjahr) und in Ägypten etwa 32 (gegenüber etwa 43 im Vorjahr).

In Afghanistan wurden zum ersten Mal seit 2010 keine Todesurteile vollstreckt. Auch aus Taiwan und Thailand kamen keine Berichte über Exekutionen. In Kasachstan, der Russischen Föderation, Tadschikistan, Malaysia und Gambia galten weiterhin offizielle Hinrichtungsmoratorien.

Zwar schaffte 2019 kein Land die Todesstrafe für alle Straftaten ab, doch der Trend hin zu einer weltweiten Abschaffung dieser grausamen Strafe setzte sich weiterhin fort.

In mehreren Staaten südlich der Sahara wurden Maßnahmen ergriffen, die zur Abschaffung der Todesstrafe führen könnten, so zum Beispiel in Äquatorialguinea, Gambia, Kenia, Simbabwe und der Zentralafrikanischen Republik.

Unser Ziel ist die endgültige Abschaffung der Todesstrafe.

Clara
Algar
Expertin für "Research Advocacy and Policy" bei Amnesty International

Der Karibikstaat Barbados entfernte die Vorgaben zur zwingenden Verhängung der Todesstrafe für bestimmte Straftaten aus seiner Verfassung. In den Vereinigten Staaten verhängte der Gouverneur von Kalifornien ein offizielles Hinrichtungsmoratorium – in keinem anderen US-Bundesstaat sitzen so viele Menschen im Todestrakt wie in Kalifornien. New Hampshire schaffte als 21. US-Bundesstaat die Todesstrafe für alle Straftaten ab.

Eine Handvoll Staaten schwimmt gegen den Strom

Allerdings gab es neben diesen positiven Entwicklungen auch einige Staaten wie zum Beispiel Saudi-Arabien und Irak, wo die Zahl der Hinrichtungen 2019 stark anstieg. Saudi-Arabien vollstreckte 2019 insgesamt 184 Todesurteile, gemessen an 149 Hinrichtungen im Jahr 2018.

Die meisten dieser Exekutionen beruhten auf Todesurteilen wegen Drogen- oder Tötungsdelikten. Amnesty International dokumentierte jedoch auch zunehmend die Verhängung von Todesurteilen aus politischen Motiven, zum Beispiel zur Unterdrückung kritischer Stimmen aus der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien.

Im Irak griffen die Behörden verstärkt auf die Todesstrafe zurück, um mutmaßliche Mitglieder der bewaffneten Gruppe "Islamischer Staat" zu bestrafen. Im Jahr 2019 wurden dort 100 Menschen hingerichtet, gegenüber 52 Exekutionen im Jahr 2018.

Fehlende Transparenz

Oft besteht große Geheimhaltung um die Anwendung der Todesstrafe. Trotz Anfragen von Amnesty International gaben viele Regierungen keine offiziellen Informationen über die Verhängung von Todesurteilen in ihren Ländern heraus. So veröffentlichte zum Beispiel Vietnam, eines der Länder mit den meisten Hinrichtungen im Jahr 2018, für 2019 nur teilweise Zahlen, während China, Nordkorea und Iran das wahre Ausmaß der dort verhängten Todesurteile weiterhin geheimhielten.

Dies spornt uns nur noch weiter an. Wir müssen weiterhin alles in unserer Macht Stehende tun, um Druck auf die verbleibenden Länder auszuüben, die weiter an ihrer Hinrichtungspolitik festhalten. Unser Ziel ist die endgültige Abschaffung der Todesstrafe. Das Leben ist das höchste Gut - das dürfen wir niemals vergessen.

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