Aktuell Lettland 23. Juni 2023

Lettland: Parlament stimmt für völkerrechtswidrige Pushbacks

Das Bild zeigt einen uniformierten Mann mit Helm und Schnellfeuergewehr vor einem Stacheldrahtzaun

Ein lettischer Grenzschützer an der Grenze zwischen Lettland und Belarus (Archivaufnahme vom 28. September 2021)

Das lettische Parlament hat gestern, am 22. Juni, einer eklatant rechtswidrigen Gesetzesänderung zugestimmt, die de facto dafür sorgt, dass die anhaltende Praxis rechtswidriger und oftmals gewaltsamer Abschiebungen an der Grenze gesetzlich legitimiert wird. Nach Litauen ist Lettland damit nun das zweite Land in der Region, das völkerrechtswidrige Pushbacks erlaubt.

Bei der gestrigen Abstimmung wurde ein Dringlichkeitsverfahren angewandt, was bedeutet, dass die Entscheidung bereits jetzt endgültig ist und das Gesetz nach Unterzeichnung durch Präsident Egils Levits in Kraft treten wird.

Sophie Scheytt, Expertin für Asylpolitik bei Amnesty International in Deutschland, kritisierte die geplanten Reformen:

"Die lettischen Behörden versuchen mit dieser Gesetzesänderung Praktiken zu normalisieren, die offensichtlich europäischen und internationalen Menschenrechtsnormen zuwiderlaufen. Schutzsuchende sollen ohne angemessene Einzelfallprüfung abgeschoben werden. Damit treten sie nicht nur die Rechte dieser Menschen mit Füßen, sondern auch die internationalen Verpflichtungen ihres Landes. 

Lettland folgt mit der Abstimmung einem überregionalen Negativtrend, der nicht zuletzt dadurch befeuert wird, dass die Europäische Kommission nicht angemessen dafür sorgt, dass Staaten den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (non-refoulement) und das Recht auf ein Asylverfahren respektieren.

Die Einführung eines 'erweiterten' Grenzschutzes ist ein weiterer unverfrorener Versuch der Behörden, ihre Notstandsbefugnisse zu missbrauchen. Anstatt die Bedingungen zu schaffen, um flüchtenden Menschen an der Grenze Schutz zu gewähren, ermächtigt dieser Gesetzesvorschlag die Behörden dazu, die Grenze noch unüberwindbarer zu machen, indem sie zum Beispiel die Grenzübergangsstellen, an denen Schutzsuchende Hilfe suchen würden, vorübergehend schließen könnten."

Hintergrund

Die Änderungen betreffen das Grenzgesetz sowie das Grenzschutzgesetz Lettlands. Die geplanten Änderungen des Grenzgesetzes sollen dem Ministerkabinett die Befugnis geben, einen "erweiterten" Grenzschutz mit Sonderregelungen für die Bewegungsfreiheit und das Aufenthaltsrecht von Menschen an der Grenze auszurufen. Dies soll möglich sein, wenn eine "unverhältnismäßig hohe" Anzahl an illegalisierten Grenzübertritten oder versuchten Grenzüberquerungen festgestellt wird. Als "unverhältnismäßig hoch" kann bereits eine Zahl von 15-20 irregulären Grenzübertritten pro Tag über einen Zeitraum von zehn Tagen gelten.

Die Reform des Grenzschutzgesetzes soll Grenzschützer*innen neue Befugnisse einräumen, irreguläre Grenzübertritte nach Lettland zu jeder Zeit zu "verhindern", unter anderem durch den Einsatz von Gewalt. Dies verstößt gegen das Refoulement-Verbot und das Recht auf ein Asylverfahren. Zwar ist in der Gesetzesvorlage vorgesehen, dass einer Person aufgrund "objektiv definierter Umstände" die unmittelbare Einreise gestattet werden kann. Jedoch sind diese Umstände nicht angemessen definiert und es ist unklar, wie genau die Behörden diese Einzelfallprüfungen vornehmen werden.

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