Aktuell Island 31. Januar 2023

Island: Missbrauch von Einzelhaft muss umgehend beendet werden

Illustration zum Thema Einzelhaft mit einer gebeugten Person in einer Zelle und verschiedenen Uhren

In Island wurde im Jahr 2021 die Mehrheit der Untersuchungshäftlinge in Einzelhaft gehalten. In dem Land wird Einzelhaft in einer Weise angewandt, die die Rechte von Personen verletzt, die auf ihr Gerichtsverfahren warten. Darunter befinden sich insbesondere Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Einige Tatverdächtige werden unter Verstoß gegen ihre Menschenrechte sogar für bis zu zwei Monate in Isolation festgehalten. Das stellt Amnesty International in einem aktuellen Bericht fest.

In Island wird die Einzelhaft unter isolierten Bedingungen während der Untersuchungshaft unverhältnismäßig oft eingesetzt. Das Land verstößt damit gegen das Verbot von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen oder Strafen – mit gravierenden Folgen für die Beschuldigten und ihr Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Amnesty International ruft Islands Regierung, die momentan den Vorsitz im Europarat innehat, dazu auf, umgehend entsprechende Reformen durchzuführen.

Im Jahr 2021 waren 61 Prozent der isländischen Untersuchungshäftlinge in Einzelhaft ohne Kontakt zur Außenwelt oder anderen Gefangenen untergebracht. In den vergangenen zehn Jahren wurden insgesamt 99 Personen einer "verlängerten Einzelhaft" von mehr als 15 Tagen unterzogen. Das stellt einen Verstoß gegen das internationale Verbot von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen oder Strafen dar ("sonstige Misshandlungen").

"Die isländischen Behörden sind sich schon seit Jahren darüber bewusst, welchen Schaden Isolationshaft anrichten kann, und setzen sie trotzdem unverhältnismäßig oft ein. Noch immer werden jährlich im Durchschnitt mehr als 80 Menschen, darunter auch Kinder und Menschen mit geistigen Behinderungen, für über 22 Stunden am Tag allein in ihre Zellen eingesperrt. Die Behörden müssen den Tatsachen ins Auge sehen: Island verstößt während seines Vorsitzes in genau dem Gremium, das für die Verhütung und Abschaffung von Folter in Europa zuständig ist, selbst gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen. Die Regierung muss umgehend erhebliche Änderungen vornehmen, um das zu unterbinden," sagte Simon Crowther, Rechtsexperte von Amnesty International.

Tweet der österreichischen Amnesty-Sektion:

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Die Einzelhaft kann zwar unter gewissen Umständen und in Ausnahmefällen nach dem Völkerrecht zulässig sein, sie darf jedoch nur so kurz wie unbedingt nötig andauern und muss angemessenen Schutzmechanismen unterliegen, um sie zu rechtfertigen. All das ist in Island nicht der Fall. Dort werden die Anträge der Polizei auf Einzelhaft während der Untersuchungshaft von den Richter*innen meist ohne weitere Nachfragen gestattet.

Der berüchtigte Fall von Guðmundur und Geirfinnur, bei dem 1974 zwei Männer im Abstand von mehreren Monaten verschwunden waren, führte zu jahrelangen Ermittlungen und Wiederaufnahmen, bevor schließlich sechs Personen ein Geständnis ablegten und des Mordes an den beiden für schuldig befunden wurden. Alle Verurteilten waren zuvor für eine längere Zeit in Isolation gehalten, unter Druck gesetzt und in einigen Fällen sogar misshandelt worden.

Fünf der sechs Personen wurden 2018 schließlich freigesprochen. 2022 entschuldigte sich die Premierministerin persönlich bei der sechsten Person für die Behandlung, die sie erfahren hatte.

Aus dem Bericht geht hervor, dass das große Unrecht, das diese sechs Personen erfahren hatten, zwar eine Wende weg von übermäßig langen Einzelhaftzeiten eingeleitet hat, dass sich aber noch nicht genug geändert hat und noch immer Rechte von Menschen verletzt werden.

Eine Person vor ihrer Gerichtsverhandlung in Isolationshaft zu halten, kann als Form der Nötigung angesehen werden. Der Hauptgrund, den die isländischen Behörden für ihren Einsatz angeben, ist der "Schutz der Ermittlungen". Amnesty International akzeptiert diesen Grund allerdings nicht. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft sagte Amnesty International, dass die Einzelhaft unter isolierten Bedingungen die einzige Möglichkeit sei, um sicherzustellen, dass Tatverdächtige vor ihrem Verfahren keinen Zugang zu einem Telefon hätten. Diese Begründung ist inakzeptabel und kann den Einsatz der Isolation während der Untersuchungshaft weder rechtfertigen noch erklären. Um diesen Zweck zu erfüllen, gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, wie das Trennen der Inhaftierten von bestimmten Personen, die Einschränkung ihrer Telefonnutzung oder das Sperren relevanter Nummern.

Die Rechtsbeistände von Personen in Einzelhaft erklärten gegenüber Amnesty International, dass die schädlichen Auswirkungen auf ihre Mandant*innen nicht zu übersehen seien: "Es ist offensichtlich, dass die Polizei noch immer die schädlichen Auswirkungen, die diese Form der Isolation auf Inhaftierte hat, ausnutzt, um die von ihr gewünschten Ergebnisse zu erzielen."

Kinder und Menschen mit Behinderungen

Es existieren keine Schutzmaßnahmen, die besonders gefährdete Personen vor einer Unterbringung in Isolationshaft bewahren könnten. Das trifft besonders auf Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen zu, deren Gesundheitszustand sich durch die Isolation weiter verschlechtern könnte. Auch neurodiverse Menschen können davon betroffen sein. Die Polizei überprüft bislang nicht den Gesundheitszustand von Personen, bevor sie für ihre Unterbringung in Einzelhaft unter isolierten Bedingungen plädiert. Auch die Schutzmaßnahmen, die Kinder vor der Unterbringung in Einzelhaft bewahren sollen, sind völlig unzureichend.

Die Mehrheit der Richter*innen vertraut der Polizei uneingeschränkt und genehmigt ihre Anträge auf Isolationshaft ohne weitere Prüfung. Ein*e Richter*in erklärte gegenüber Amnesty International, dass schwerwiegende Entscheidungen viel "zu leichtfertig" getroffen würden und der Polizei zu viel Freiraum gegeben werde.

Amnesty International hat mit Inhaftierten und ihren Rechtsbeiständen gesprochen und konnte dadurch zahlreiche Fälle dokumentieren, in denen die Einzelhaft bei besonders gefährdeten Personen angewandt worden war. Das verstößt gegen die internationalen Menschenrechtsstandards. Einer der Rechtsbeistände berichtete Amnesty, dass sein Mandant durch die Situation unter so großem Stress stand, dass man ihm "Medikamente zur Beruhigung" geben musste.

Eine andere zuvor in Einzelhaft inhaftierte Person sagte gegenüber Amnesty: "Ich habe eine Zwangsstörung, die es mir sehr schwer macht, mit meinem Kopf allein zu sein... Ich glaube nicht, dass sie [das Team für psychische Gesundheit] wissen, dass ich das habe."

Die Unterbringung in Einzelhaft unter isolierten Bedingungen von Menschen mit psychosozialen Behinderungen und von Kindern verstößt gegen das internationale Verbot von Folter und anderen Misshandlungen und muss umgehend beendet werden.

Risiken durch Einzelhaft

Die ernstzunehmenden psychologischen und physiologischen Auswirkungen von Einzelhaft unter isolierten Bedingungen sind gut dokumentiert. Sie kann zu Schlaflosigkeit, Verwirrung, Halluzinationen und Psychosen sowie zu anderen gesundheitlichen Problemen führen. Die Probleme können bereits nach wenigen Tagen der Haft auftreten. Darüber hinaus ist die Suizid- und Selbstverletzungsrate bei Personen, die ihre Untersuchungshaft in Isolation verbringen müssen, in den ersten zwei Wochen höher. Die Risiken für die Gesundheit der Inhaftierten steigen mit jedem zusätzlichen Tag, den sie in Einzelhaft verbringen müssen.

Entgegen internationalen Standards erheben die isländischen Behörden derzeit keine Daten über die ethnische Zugehörigkeit der Personen, die sich in Einzelhaft unter isolierten Bedingungen befinden. Amnesty International ist besorgt darüber, dass bestimmte Personengruppen unverhältnismäßig oft in Einzelhaft festgehalten werden könnten, darunter Angehörige ethnischer Minderheiten oder ausländische Staatsangehörige.

"Die Einzelhaft wird in Island in großem Umfang missbraucht. Davon sind auch Kinder und Menschen mit Behinderungen betroffen. Die isländische Regierung muss für eine umfassende Reform des Strafrechts und ihrer Justiz sorgen, um diesen Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen. Es existieren Alternativen, und die sollten auch genutzt werden," sagt Simon Crowther.

Hintergrund

Die einzelnen Interviewpartner*innen werden weder im Bericht noch in der Pressemitteilung namentlich genannt.

 

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