Aktuell Indien 27. September 2023

Indien: Behörden instrumentalisieren Geldwäsche-Gesetze zur Einschränkung der Zivilgesellschaft

Das Foto zeigt einen Mann und eine Frau gestikulierend von vorne. Der Mann hält mit der linken Hand ein Plakat hoch. Hinter den beiden steht eine Absperrung aus Gittern, hinter denen wiederum Polizisten aufgereiht stehen.

Protest in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi gegen das Gesetz "Unlawful Activities Prevention Act", das zur Einschränkung der Zivilgesellschaft eingesetzt wird (Archivaufnahme vom August 2018).

Die indischen Behörden nehmen zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivist*innen ins Visier und schränken ihre Arbeit gezielt ein. Dafür instrumentalisieren sie die Empfehlungen der internationalen Aufsichtsbehörde zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ("Financial Action Task Force", FATF). Dies geht aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor.

Der Amnesty-Bericht trägt den Titel "Weaponizing counter-terrorism: India’s exploitation of terrorism financing assessments to target civil society". Er macht deutlich, wie die FATF-Empfehlungen von den indischen Behörden missbraucht werden, um drakonische Gesetze einzuführen, die gezielt gegen den gemeinnützigen Sektor gerichtet sind. Auf Grundlage dieser Gesetze werden terrorismusbezogene Vorwürfe gegen Organisationen und Aktivist*innen erhoben, um ihnen unter anderem den Zugang zu wichtigen Finanzmitteln zu verwehren.

"Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung setzt die indische Regierung die Empfehlungen der 'Financial Action Task Force' dazu ein, ihr Arsenal an Finanz- und Terrorbekämpfungsgesetzen zu verschärfen. Letztere werden routinemäßig dazu missbraucht, um Kritiker*innen ins Visier zu nehmen und zum Schweigen zu bringen. Die FATF muss die indischen Behörden für die beständige Instrumentalisierung ihrer Empfehlungen zur Rechenschaft ziehen", fordert Aakar Patel, Vorstandsvorsitzender von Amnesty International in Indien. "Durch den Missbrauch dieser Gesetze verstoßen die indischen Behörden sowohl gegen die FATF-Standards als auch gegen internationale Menschenrechtsnormen."

"Einziger Lebenszweck ist das Abwehren von Klagen"

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Indien benötigen laut dem Gesetz über Finanzierung aus dem Ausland ("Foreign Contribution [Regulation] Act", FCRA) eine "Lizenz für Auslandsfinanzierung", wenn sie Gelder aus dem Ausland beziehen möchten. Die Einführung dieses Gesetzes im Jahr 2006 fiel mit der Aufnahme Indiens als Beobachterstaat der FATF zusammen. Im Jahr 2010 wurde das FCRA abgeändert, um Abhilfe gegen Indiens "nicht konformen" Status zu schaffen. Dennoch haben seither – und insbesondere in den vergangenen zehn Jahren – mehr als 20.600 NGOs ihre Lizenzen verloren. Fast 6.000 dieser Fälle entfallen auf den Zeitraum ab Anfang 2022.

Amnesty International hat eine Umfrage unter NGOs durchgeführt, die tätig sind in den Bereichen Minderheiten, ausgegrenzte Gruppen und Klimawandel. Elf der 16 befragten Organisationen gaben an, dass ihnen die Lizenz für Auslandsfinanzierung willkürlich entzogen wurde – sei es durch Aussetzung, Beendigung oder Nichterneuerung. Die Behörden hätten nur vage Gründe angeführt, einschließlich des Vorwurfs, die Organisationen würden "öffentliche Institutionen in Verruf bringen" oder "gegen öffentliche oder nationale Interessen arbeiten".

Auch spielten die Behörden auf Menschenrechtsarbeit der NGOs an. Die meisten der Organisationen erklärten Amnesty International, dass sie ihr Personal um 50 bis 80 Prozent reduzieren mussten, was drastische Auswirkungen auf die Reichweite ihrer Arbeit hatte. "Fast alle unsere Programme wurden eingestellt ... [Unser] einziger Lebenszweck ist das Abwehren von Klagen, die gegen uns erhoben wurden", sagte eine Person, die für eine NGO tätig ist.

Das Gesetz über Finanzierung aus dem Ausland entspricht auch nach einigen Änderungen nicht der FATF-Empfehlung Nr. 8. Diese Empfehlung verlangt, dass Gesetze und Vorschriften nur gegen jene gemeinnützigen Organisationen gerichtet sein sollen, die durch sorgfältige, gezielte und "risikobasierte" Analyse als besonders anfällig für Missbrauch im Bereich der Terrorismusfinanzierung identifiziert wurden.

Keine der NGOs, mit denen Amnesty International gesprochen hat, wurde von der indischen Regierung für eine "Risikobewertung" kontaktiert. Und das, obwohl die FATF in ihren Beurteilungsberichten von 2010 und 2013 ausdrücklich auf den Mangel an Kontaktaufnahme hingewiesen hatte. Solche Maßnahmen entsprechen auch nicht den Leitlinien in den Auslegungsbestimmungen der FATF zur Empfehlung Nr. 8. In den Leitlinien werden spezifische und gezielte Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung gefordert, um unerwünschte Folgen für den gemeinnützigen Sektor zu minimieren.

Amnesty-Posting auf X (ehemals Twitter):

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"Diese Maßnahmen sind rein politisch motiviert"

Im Jahr 2002 wurde das Gesetzes zur Verhinderung von Geldwäsche verabschiedet ("Prevention of Money Laundering Act", PMLA). Zehn Jahre später wurde das Gesetz zur Verhütung von Straftaten abgeändert ("Unlawful Activities [Prevention] Act", UAPA). Diese Vorgänge waren zwei der Voraussetzungen dafür, dass Indien als 34. Mitglied der FATF aufgenommen wurde. Das UAPA ist Indiens wichtigstes Gesetz zur Terrorismusbekämpfung.

Im Laufe der Zeit führten Änderungen an diesen Gesetzen auf der Grundlage der FATF-Empfehlungen nach den letzten Bewertungen Indiens in den Jahren 2010 und 2013 dazu, dass die FATF die Einstufung Indiens von "nicht konform" zu "weitgehend konform" abänderte.

Sonderberichterstatter*innen der Vereinten Nationen haben jedoch wiederholt auf die umstrittenen und zu weit gefassten Bestimmungen des UAPA hingewiesen, die sowohl gegen internationale Menschenrechtsnormen und -standards verstoßen als auch im Widerspruch zu den Leitprinzipien der FATF stehen. Die indischen Behörden haben all diese Mahnungen ignoriert und wenden diese Gesetze weiterhin in diskriminierender Weise gegen Andersdenkende an. Hierzu zählen unter anderem der muslimische Student und Aktivist Umar Khalid, der kaschmirische Menschenrechtler Khurram Parvez, der Journalist Irfan Mehraj und 16 weitere, von denen zehn seit 2018 ohne Gerichtsverfahren unter anderem wegen des Vorwurfs der "Terrorismusfinanzierung" inhaftiert sind. Das PMLA wurde auch genutzt, um Amnesty International ins Visier zu nehmen und die Organisation dazu zu bringen, ihre Tätigkeit in Indien im September 2020 auszusetzen.

"Diese Maßnahmen sind rein politisch motiviert und zielen darauf ab, ein feindseliges Umfeld für internationale Organisationen zu schaffen. Die FATF darf nicht zulassen, dass diese Gesetze von den indischen Behörden dazu benutzt werden, die Rechte auf Vereinigungsfreiheit und freie Meinungsäußerung im Land systematisch auszuhöhlen, insbesondere was die Rechte von Angehörigen der Zivilgesellschaft und von religiösen Minderheiten angeht", so Aakar Patel.

Amnesty International empfiehlt die Aufhebung bzw. die erhebliche Abänderung des UAPA, des PMLA und des FCRA, um diese Gesetze mit internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang zu bringen. Es ist unerlässlich, dass gemeinnützige Organisationen – einschließlich derjenigen, die aufgrund der drei Gesetze unter ungünstigen Bedingungen operieren mussten – bei der bevorstehenden Bewertung Indiens durch die FATF miteinbezogen werden. Die indischen Behörden müssen dafür sorgen, dass die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wirksam geschützt werden.

Hintergrund

Die "Financial Action Task Force" (FATF), der Indien seit 2010 angehört, ist ein zwischenstaatliches Gremium mit 37 Mitgliedsstaaten. Es hat den Auftrag, auf internationaler Ebene Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu bekämpfen. Die FATF spricht auf der Grundlage von 40 international anerkannten globalen Standards Empfehlungen aus, um Ländern bei der Umsetzung "rechtlicher, regulatorischer und operativer Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und anderen damit verbundenen Bedrohungen für die Integrität des Finanzsystems" zu helfen.

Die Veröffentlichung des neuen Berichts von Amnesty International erfolgt im Vorfeld der vierten Runde der Bewertung Indiens durch die FATF im November 2023.

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