Aktuell Erfolg 14. Januar 2022

"Ich überlebte das Gefängnis in Burundi"

Das Bild zeigt das Porträtfoto eines Mannes

Der burundische Menschenrechtsverteidiger Germain Rukuki (27. Oktober 2021) &

Vier Jahre saß Germain Rukuki willkürlich in Haft, bis er im Juni 2021 endlich freigelassen wurde. Unterstützer_innen von Amnesty hatten sich unter anderem beim Briefmarathon 2020 für den burundischen Menschenrechtsverteidiger eingesetzt und Hunderttausende Briefe und E-Mails an den burundischen Präsidenten geschrieben. Wie Rukuki seine Festnahme, die Zeit im Gefängnis und die Unterstützung von Amnesty wahrgenommen hat, beschreibt er in diesem Beitrag. 

Im Juli 2017 wurden meine Frau Emelyne Mupfasoni und ich von Dutzenden schwer bewaffneten Sicherheitskräften aus dem Schlaf gerissen, die unser Haus in Bujumbura stürmten. Emelyne war im vierten Monat mit unserem dritten Kind schwanger. Die Sicherheitskräfte durchsuchten unser Haus, beschlagnahmten den Laptop meiner Frau und fuhren mit mir in mein Büro, um auch dieses zu durchsuchen und meinen Laptop und andere Dinge zu beschlagnahmen. Dann brachten sie mich in die Hafteinrichtung des Geheimdienstes in Bujumbura und hielten mich dort zwei Wochen lang unter unmenschlichen Bedingungen fest, bevor ich in das Gefängnis von Ngozi im Norden des Landes verlegt wurde.

Meine Festnahme war keine Überraschung. In Burundi werden Menschenrechtsverteidiger_innen, junge Leute und politisch Andersdenkende, die sich für Rechtsstaatlichkeit einsetzen, seit 2015 wie Kriminelle ins Visier genommen. Im April 2015 ließ sich der damalige Präsident Pierre Nkurunziza zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat aufstellen, was weithin als Verstoß gegen die burundische Verfassung gewertet wurde. Zahlreiche Menschen gingen aus Protest auf die Straße und die Regierung reagierte mit landesweiten Repressalien.

In der Folge wurden zivilgesellschaftliche Organisationen, die bei den Protesten gegen Nkurunziza eine zentrale Rolle spielten, unerbittlich verfolgt. Viele Menschenrechtsverteidiger_innen, Oppositionssprecher_innen und Journalist_innen sahen sich gezwungen, Burundi zu verlassen. Und wer blieb, musste häufig mit Drohungen und Vergeltungsmaßnahmen wie zum Beispiel Festnahme, Strafverfolgung aufgrund konstruierter Anklagen und Verschwindenlassen rechnen. Diese Situation hat dazu geführt, dass mehr als 400.000 Menschen in verschiedene Nachbarländer ins Exil geflohen sind.

Video über Germain Rukuki im Rahmen des Amnesty-Briefmarathons 2020:

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Auch meine Arbeit blieb nicht unbemerkt. Ich war bereits mehrmals zuvor nur knapp einer Festnahme bzw. Entführung entgangen. Als ich festgenommen wurde, fürchtete ich sofort, dass meine Tage gezählt seien. So viele Menschen vor mir hatten unter ähnlichen Umständen ihr Leben verloren oder waren verschwunden.

Mir wurden eine ganze Reihe konstruierter Anklagen vorgeworfen, darunter "Rebellion", "Zerstörung und Entwürdigung privater und öffentlicher Gebäude", "Angriff auf die Autorität der Behörden", "Teilnahme an einer Aufstandsbewegung" und "Bedrohung der Staatssicherheit". Meine frühere Arbeit für die Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT-Burundi) wurde gegen mich verwendet.

Ich habe mich schon immer dafür eingesetzt, die Welt zu verbessern, Leben zu retten und Veränderungen in meinem unmittelbaren Umfeld herbeizuführen. Ich hasse Ungerechtigkeit und möchte nicht, dass andere Menschen leiden. Aus diesem Grund bin ich 2004 ACAT-Burundi beigetreten. Von 2006 bis 2010 besuchte ich für ACAT ehrenamtlich Hafteinrichtungen im ganzen Land. Im Jahr 2011 wurde ich Leiter für Finanz- und Verwaltungsangelegenheiten bei der Organisation. Danach arbeitete ich bei der burundischen Vereinigung katholischer Juristen (AJCB), bis ich festgenommen wurde.

Ich wurde allein wegen der Verteidigung der Menschenrechte zu 32 Jahren Haft verurteilt. Die Zeit im Gefängnis war unglaublich schwer. Ich wurde drangsaliert und schikaniert. Alles im Gefängnis geschah in der Absicht, mich zu peinigen, zu deprimieren und zu entmutigen, und andere Menschenrechtler_innen zum Schweigen zu bringen. 

Ich hatte fast ein Jahrzehnt lang Gefängnisse besucht und dachte, ich wüsste, wie ein Leben hinter Gittern aussieht – doch da täuschte ich mich. Während meiner Inhaftierung erlebte ich, wie es im Gefängnis wirklich ist, und ich wusste, dass ich diese Informationen nach meiner Freilassung dazu nutzen würde, andere über das Gefängniswesen in Burundi aufzuklären.

Gefängnisse in Burundi haben ihre Bedeutung verloren – es handelt sich bei ihnen nicht mehr um Strafvollzugsanstalten. Stattdessen sind aus den Gefängnissen Orte geworden, um Menschen wie mich festzuhalten: politische Gegner_innen, Personen, die es wagen, ihre Meinung zu sagen, und andere unschuldige Menschen. Wenn deine Ansichten bestimmten Behörden ein Dorn im Auge sind, gerätst du in Schwierigkeiten.

Während meiner Zeit im Gefängnis habe ich meine Kraft nicht verloren, weil ich wusste, dass ich unschuldig bin. Ich wusste, dass früher oder später die Wahrheit ans Licht kommen würde. Ich war nicht die erste Person, die ohne rechtliche Grundlage festgenommen wurde, und ich war auch nicht die erste Person, die diese Art von Unrecht und Verfolgung erlitt. Durch meinen Fall wurde in der Öffentlichkeit bekannt, was früheren Opfern anonym angetan worden war.

Das Wissen, dass ich für eine gute Sache, für die Verteidigung der Menschenrechte, inhaftiert worden war, war tröstlich. Mein Fall wurde dem burundischen Volk und der internationalen Gemeinschaft weithin bekannt gemacht, und ich wusste, dass dies mir und späteren Opfern helfen würde. In gewisser Weise hatte ich das Gefühl, dass es besser war, ins Gefängnis zu kommen, als entführt zu werden. Denn so konnte ich immer noch in der Hoffnung leben, dass ich eines Tages meine Freiheit wiedererlangen und meine Familie wiedersehen würde.

Ich wurde schließlich im Juni 2021 freigelassen und war überglücklich. Als erstes kontaktierte ich meine Familie, meine ehemaligen Kolleg_innen und meine Freund_innen. Ich konnte es kaum erwarten, meine Familie wiederzusehen, einschließlich meiner Söhne, von denen ich den jüngsten nie kennen gelernt hatte, da er vier Monate nach meiner Inhaftierung geboren wurde. Sie machen mich so stolz.

Tweet von Amnesty-Referentin Franziska Ulm-Düsterhoft:

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Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung, die ich während und nach meiner Haft von Menschenrechtsorganisationen erhalten habe. Dass mein Fall beim Briefmarathon von Amnesty International aufgenommen wurde, war unglaublich! Die Welle von Nachrichten und Briefen von Unterstützer_innen aus aller Welt hat mir Kraft und Mut gegeben und mich in meinem Engagement für die Menschenrechte bestärkt.

Trotz meiner Freilassung ist die Menschenrechtslage in Burundi nach wie vor erschreckend und mein Land hat noch einen langen Weg vor sich. Im Mai 2020 wurde zwar ein neuer Präsident gewählt, doch die Hoffnungen auf grundlegende Veränderungen sind geschwunden.

Bei seiner Amtseinführung im vergangenen Jahr erklärte Präsident Evariste Ndayishimiye seine Absicht, "Burundi auf einem soliden Fundament aufzubauen, nämlich: auf eine verantwortungsvolle Staatsführung sowie auf die Achtung und den Schutz der Menschenrechte". Allerdings bezeichnete er einige Menschenrechtsaktivist_innen schnell als "Marionetten der Kolonialherren".

Trotz einiger Annäherungsversuche des Präsidenten an die Medien im Jahr 2021 betrachtet seine Regierung die Menschenrechtsarbeit weiterhin mit Misstrauen, und die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, werden weiterhin stark eingeschränkt.

Verschiedenen Berichten zufolge gab es auch zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen, die der Präsident und verschiedene andere Verantwortliche weiterhin ignorieren. Die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen, Entführungen und Morde ist nach wie vor hoch. Die burundischen Behörden haben offenbar vergessen, für was sie sich vor ihrer Machtübernahme eingesetzt haben, und jetzt tun sie nichts, um Stabilität und eine Zukunft für unsere Kinder zu gewährleisten. Das muss sich ändern, sonst sind es die kommenden Generationen, die darunter leiden werden.

Die Haft hat mir geholfen, das Schlechte in der Welt zu erkennen, und sie hat mich entschlossen gemacht, positive und dauerhafte Lösungen zu finden, damit wir alle unsere Rechte und Freiheiten genießen können. Nach meiner Haftentlassung habe ich die Organisation "Together for the Support of Human Rights Defenders in Danger - ESDDH" (Gemeinsam für die Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern in Gefahr) gegründet.

Die Haft hat mir geholfen, das Schlechte in der Welt zu erkennen, und sie hat mich entschlossen gemacht, positive und dauerhafte Lösungen zu finden, damit wir alle unsere Rechte und Freiheiten genießen können.

Als Betroffener und Überlebender weiß ich, wie sehr Journalist_innen, Rechtsanwält_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und andere Menschen wie sie Unterstützung für ihre Arbeit verdienen. Den Menschen, die politisch verfolgt werden, möchte ich sagen: Bleibt stark, es wird eines Tages ein Ende haben, und auch ihr werdet eure Freiheit und eure Familien zurückgewinnen können. 

Und all den Menschen, die sich für mich eingesetzt haben, während ich im Gefängnis saß, danke ich. Allen Unterstützer_innen von Amnesty International, die mehr als 436.292 Aktionen zu meinem Fall organisiert haben, danke ich für all die Hilfe, die sie mir seit dem 20. November 2020 – dem Geburtstag meines Jüngsten, der vier Monate nach meiner Festnahme geboren wurde – entgegengebracht haben. Ich möchte sie ermutigen, auch andere Opfer von Unrecht zu unterstützen, und ich möchte, dass sie anderen Menschen erzählen, dass der weltweite Briefmarathon wirklich eine positive Wirkung hat. Ihre Unterstützung hat dazu geführt, dass ich, Germain Rukuki, aus dem Gefängnis gekommen bin und mich noch stärker für die Verteidigung der Menschenrechte engagiere.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 25. Dezember 2021 auf aljazeera.com

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