Investigative Journalisten drangsaliert

Blick auf den Eifelturm in Paris

Blick auf den Eifelturm in Paris

Am 14. bzw. 15. Mai wurden die Journalisten Geoffrey Livolsi und Mathias Destal von Disclose und Benoît Colombat von Radio France zu einer Anhörung durch den französischen Inlandsgeheimdienst geladen, nachdem die Pariser Staatsanwaltschaft gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Preisgabe eines Geheimnisses der Landesverteidigung eingeleitet hatte. Sie hatten im April die sogenannten "Yemen Papers" veröffentlicht, eine Reihe geheimer Dokumente über den Verkauf französischer Waffen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate und deren Einsatz gegen die Zivilbevölkerung im Bürgerkrieg in Jemen. Das Vorgehen der Journalisten wird durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt und die Ermittlungen gegen sie sind unverzüglich einzustellen.

Appell an

Rémy Heitz

Tribunal de Paris

4ème division – Section C1 T

Parvis du Tribunal de Paris

75859 Paris Cedex 17, FRANKREICH

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Frankreich

I. E. Frau Anne-Marie Descôtes

Pariser Platz 5

10117 Berlin

Fax: 030-590 039 110

E-Mail: cad.berlin-amba@diplomatie.gouv.fr

Amnesty fordert:

  • Bitte stellen Sie die Ermittlungen gegen Geoffrey Livolsi, Mathias Destal und Benoît Collombat unverzüglich ein.
  • Sorgen Sie dafür, dass ihr Recht auf freie Meinungsäußerung respektiert wird und sie ihre Arbeit ohne Angst vor Repressalien fortsetzen können.

Sachlage

Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Paris gegen die Journalisten Geoffrey Livolsi und Mathias Destal, die für das investigative Onlinemedium Disclose arbeiten, sowie Benoît Collombat, einen Mitarbeiter von Radio France. Die drei investigativen Journalisten hatten im April Informationen über den Verkauf französischer Waffen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate und deren Einsatz gegen die Zivilbevölkerung im Bürgerkrieg in Jemen veröffentlicht. Der Verkauf dieser Waffen stellt einen Verstoß gegen die Verpflichtungen Frankreichs nach dem Völkerrecht dar, darunter auch gegen das Waffenhandelsabkommen.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt das Recht, Informationen und Ideen aller Art, einschließlich Informationen zu schweren Menschenrechtsverletzungen, zu suchen, zu erhalten und weiterzugeben. Journalist_innen spielen eine wichtige Rolle dabei, die Gesellschaft zu informieren und müssen in der Lage sein, ohne Bedrohungen und Schikanierungen zu arbeiten. Es besteht Anlass zur Sorge, dass diese Ermittlungen dazu dienen, die Journalisten einzuschüchtern und sie dazu zu bringen, ihre Quellen aufzudecken. Informationen zu Menschenrechtsverletzungen sind im öffentlichen Interesse und Journalist_innen sollten für die Veröffentlichung derartiger Informationen nicht verfolgt werden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am Montag, den 15. April 2019, veröffentlichte die investigative Medienplattform Disclose die sogenannten "Yemen Papers", eine Reihe geheimer Dokumente über den Verkauf französischer Waffen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate und deren Einsatz gegen die Zivilbevölkerung im Bürgerkrieg im Jemen. Weitere Informationen finden Sie hier: https://made-in-france.disclose.ngo/en. Am 14. bzw. 15. Mai wurden die Journalisten Geoffrey Livolsi und Mathias Destal (Disclose) und Benoît Collombat (Radio France) zu einer Anhörung durch den französischen Inlandsgeheimdienst DGSI (Direction générale de la sécurité intérieure) geladen, nachdem die Pariser Staatsanwaltschaft gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Preisgabe eines Geheimnisses der Landesverteidigung eingeleitet hatte.

Regierungen sollten niemals Strafverfahren gegen Personen einleiten, die zu Vertraulichkeit oder Geheimhaltung verpflichtet sind und aus Gewissensgründen und in verantwortlicher Weise Informationen zu Menschenrechtsverletzungen preisgeben, noch sollten sie diese Personen auf andere Weise bestrafen. Darüber hinaus dürfen Journalist_innen, die Informationen zu Menschenrechtsverletzungen weitergeben, niemals solchen Maßnahmen ausgesetzt werden. Dasselbe gilt in der Regel für die Offenlegung oder Weitergabe von Informationen über andere Angelegenheiten von öffentlichem Interesse.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung beinhaltet das journalistische Privileg, Informationsquellen nicht preisgeben zu müssen. Im Rahmen des zugrunde liegenden Rechts kann dieses Recht bestimmten zulässigen Einschränkungen unterliegen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann unter anderem zum Schutz der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung eingeschränkt werden, sofern die Beschränkungen notwendig und dem angestrebten Ziel angemessen sind. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat dies in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 34 wie folgt formuliert: "Die Vertragsstaaten sollten anerkennen und respektieren, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung auch das eingeschränkte journalistische Privileg umfasst, Informationsquellen nicht offenzulegen" (Ziffer 45).

Angesichts der Menschenrechtsverletzungen, die von den französischen Journalisten aufgedeckt wurden, stellen die vorläufigen Ermittlungen gegen sie eine unverhältnismäßige Einschränkung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung dar und sind unverzüglich einzustellen.

Nach dem französischen Gesetz zur Pressefreiheit von 1881 sind journalistische Informationsquellen geschützt, es sei denn, ein übergeordnetes öffentliches Interesse rechtfertigt Maßnahmen zur Offenlegung von Quellen und diese Maßnahmen sind notwendig und verhältnismäßig (Artikel 2). In diesem Fall stellt das Interesse des französischen Staates an der Verschleierung wichtiger Informationen über eine mögliche Beteiligung der französischen Regierung an der Verletzung des humanitären Völkerrechts im Jemen kein "übergeordnetes öffentliches Interesse" dar. Im Gegenteil, die Veröffentlichung von Informationen über die ernste Gefahr des Einsatzes französischer Waffen gegen die Zivilbevölkerung im Jemen liegt im öffentlichen Interesse, da sie eine Verletzung des humanitären Völkerrechts darstellt. Darüber hinaus widersprechen die veröffentlichten Dokumente der Behauptung der Behörden, dass französische Waffen nicht direkt im Konflikt und nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden, und sind ein Hinweis darauf, dass die französische Regierung ihren Verpflichtungen aus dem internationalen Waffenhandelsvertrag nicht nachkommt.

Frankreich hat das am 24. Dezember 2014 in Kraft getretenen Waffenhandelsvertrag unterzeichnet. Artikel 6 des Vertrags sieht vor, dass Staaten den Verkauf von Waffen nicht genehmigen dürfen, wenn sie wissen, dass diese zur Verübung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schweren Verstößen gegen das Genfer Abkommen von 1949, Angriffen gegen die Zivilbevölkerung oder anderen Kriegsverbrechen eingesetzt werden könnten.

Nach französischem Strafrecht müssen Personen, die geheime Informationen über die Landesverteidigung preisgeben, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren und einer Geldstrafe von 100000 Euro rechnen (Artikel 413-10 und 413-11 des Strafgesetzbuches).