Kultur Vereinigte Staaten von Amerika 04. Juni 2021

Kampf für die Rechtsstaatlichkeit

Ein Mann und eine Frau sitzen sich an einem Tisch gegenüber.

Szene aus dem Justizdrama "Der Mauretanier" von Kevin MacDonald

Kevin MacDonalds perfekt inszeniertes Justizdrama "Der Mauretanier" nach den Erinnerungen von Mohamedou Ould Slahi, der viele Jahre ohne Anklage im Gefangenenlager saß, kommt am 10. Juni in die deutschen Kinos – und eröffnet das Sommer-Special der Berliner Filmfestspiele.

Von Jürgen Kiontke

"Ich bin der Forrest Gump der Al Qaida", teilt Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) seiner Anwältin Nancy Hollaender (Jodie Foster) in Kevin MacDonalds Spielfilm "Der Mauretanier" lapidar bei einem Treffen mit. Der Streifen eröffnet dieses Jahr die Berliner Filmfestspiele.

Slahi sitzt schon geraume Zeit ohne Anklage im Gefängnis in Guantanamo, hält sich für unschuldig. Ihm ein Verbrechen nachzuweisen, gestaltet sich schwierig. Ankläger Stuart Couch (Benedict Cumberbatch) steht da vor einigen Problemen. Nicht nur, dass es an Beweisen fehlt, die bisherigen Verhöre geschahen auch unter Folter, die  - so ist es aktenkundig -  von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ganz offiziell genehmigt wurde. Mit Waterboarding, überlauter Musik, Erniedrigungen, Drohungen, Verwandte zu verhaften, erzwungenen Geständnisse, undatierten Aussagen. Nichtsdestotrotz erwartet die Regierung ein Todesurteil, der Prozess soll Modellcharakter haben. Wie soll das gehen, bei den ganzen unrechtmäßigen Verfehlungen?

Zudem: Slahi sieht sich zu Unrecht verfolgt, er präsentiert sich als eine Figur, die – wie der genannte amerikanische Filmheld Gump – wie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort der Weltgeschichte aufgetaucht ist. Anfang der 1990er Jahre hatte er Kontakt mit Islamisten in Afghanistan, aber mit ihnen will er jahrelang nichts mehr zu tun gehabt haben.

Kurz nachdem die Flugzeuge am 11. September 2001 von Terroristen in das World Trade Center in New York steuerten, ruft die US-Regierung den "War on Terror" aus, richtet Sondergefängnisse unter anderem in Guantanamo ein. Ermittler rechnen ihn der islamistischen Al Qaida-Gruppe zu, die sich für die Attentate verantwortlich erklärt. Slahi wird verhaftet und in das Gefangenenlager auf Kuba eingeliefert. Er soll die Täter angeheuert und in seine Wohnung in Duisburg, wo er nach seinem Studium arbeitete, beherbergt und logistisch unterstützt haben.

Nachweisen konnte man ihm das nicht. Und da über Jahre keine Anklage zustande kam, ordnete ein US-Richter im Jahr 2010 seine Freilassung an – der jedoch keine Folge geleistet wurde. Unter der Regierung von Barack Obama saß Slahi sieben weitere Jahre in Haft. Amnesty International initiierte im Jahr 2016 eine Briefaktion mit der Forderung, Slahi, freizulassen, wenn er nicht angeklagt werde. Nicht zuletzt wegen Gefangener wie ihm steht die Haftanstalt Guantanamo auch heute noch symbolisch für eine "menschenrechtsverachtende Politik des Anti-Terror-Kampfes der USA", wie Amnesty International es formulierte. Aus dem Gefängnis kam er dann im Jahr darauf.

Tweet der US-amerikanischen Amnesty-Sektion:

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Über seine lange Haft hatte er zuvor sein "Guantanamo Diary" veröffentlicht, das zum Bestseller wurde und als Grundlage für "Der Mauretanier" dient. Die dort geschilderten Ereignisse hat Regisseur MacDonald in einem packenden, mit Foster und Cumberbatch sehr prominent in den Nebenrollen und mit Tahar Rahim sehr überzeugend in der Hauptrolle besetzten Justizdrama verarbeitet. Es visualisiert zwar reichlich Szenen des Gefängnisalltags, stellt aber nicht zu sehr auf die Darstellung der genannten Brutalitäten ab. Bereits in vorangegangen Filmen wie etwa "Der letzte König von Schottland" (GB 2006) hat er bewiesen, dass er die perfekte Linie einer Geschichte einzuhalten vermag, in der die Darsteller frei agieren können und groß aufspielen, ohne dass sich der Film übermäßig in plakativen Schauwerten ergeht.

Dabei stellt sein neues Werk vor allem die Aspekte des funktionierenden Rechtsstaats in den Mittelpunkt. Einen Heiligen macht McDonald aus seinem Protagonisten keineswegs, vielmehr schildert er ein Verfahren. Menschenrechtsanwältin Hollaender erklärt den Zuschauern nicht nur einmal, wie sich die Prozesse zur Klärung der Wahrheit gestalten. "Sie kämpft seit Vietnam gegen den Staat", wie es ein Militär-Justiziar an einer Stelle falsch formuliert. Denn sie tut das genaue Gegenteil: Sie kämpft für ein faires Verfahren ihres Mandanten, das rechtsstaatlichen Prinzipien der Demokratie genügt, die der proklamierte "War on Terror" auszusetzen droht. Die Justiz, sagt sie, ist nicht die Erfüllungsgehilfin der Regierung. Und auch Ankläger Couch neigt mehr und mehr zu dieser Haltung, bewegt sich fort von der Emotionalität seiner Kollegen, die Ergebnisse, das heißt Verurteilungen produzieren sehen wollen. "Irgendwer", fürchtet er angesichts des Vorgehens von Militär und Geheimdiensten, "muss dafür geradestehen".

"Der Mauretanier" ist ein sehenswerter, ein kritisch aktueller Eröffnungsfilm der Berliner Filmfestspiele. Ein sehr gut inszenierter Genrefilm, der die Universalität der Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt.

"Der Mauretanier - (K)Eine Frage der Gerechtigkeit". GB 2021. Regie: Kevin Macdonald. Mit Jodie Foster, Tahar Rahim, Benedict Cumberbatch.

Mit "Der Mauretanier" wird das Summer Special der diesjährigen Berliner Filmfestspiele eröffnet. Premiere: 9.6.2021, 21:30 Uhr im Freiluftkino Friedrichshain und weitere Kinos. Infos: www.berlinale.de/de/programm/202111897.html

Bundesweiter Kinostart: 10. Juni 2021

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Hintergrund

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2009 hat Joe Biden, damals noch Vizepräsident der USA, versprochen, Guantánamo schließen zu wollen. Jetzt hat er die Gelegenheit, sein Versprechen einzulösen. Amnesty International fordert die US-Regierung auf, die Straftaten, die seit fast 20 Jahren unter Missachtung internationalen Rechts in Guantánamo begangen werden, zu beenden und das Haftlager endlich zu schließen. Für die 40 noch immer in Guantánamo festgehaltenen Menschen – alle muslimische Männer, die meisten sind nie angeklagt worden – müssen unverzüglich rechtmäßige Lösungen gefunden, sämtliche Menschenrechtsverletzungen, die in Guantánamo begangen wurden, aufgeklärt werden. Voraussichtlich Ende Juni wird Amnesty International die Unterschriften an die US-Regierung übergeben.

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