Amnesty Report Niederlande 28. März 2023

Niederlande 2022

Mehrere Personen in einem Saal

Dagmar Oudshoorn, Direktorin von Amnesty International Niederlande (Mitte), bei einer Verhandlung zur Klage gegen Ethnic Profiling in der niederländischen Hauptstadt Den Haag am 21. September 2021

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Tausende Asylsuchende wurden vorübergehend in unhygienischen und unzulänglichen Aufnahmezentren untergebracht. Dem Parlament wurde der Entwurf für ein Gesetz vorgelegt, das Sex ohne Zustimmung als Vergewaltigung unter Strafe stellt. Der Senat entschied, die obligatorische Wartezeit von fünf Tagen vor einem Schwangerschaftsabbruch abzuschaffen. Die Behörden benutzten weiter diskriminierende Algorithmensysteme, um Betrug zu bekämpfen.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die Behörden brachten Tausende Asylsuchende, darunter auch Minderjährige, monatelang in behelfsmäßigen Aufnahmezentren wie Turnhallen unter, die nur für ganz kurze Aufenthalte geeignet waren. Die Zentren waren unhygienisch und die dort Untergebrachten erhielten weder genügend zu essen noch wurden sie ausreichend medizinisch versorgt. Auch Privatsphäre und hinreichender Wetterschutz waren nicht gewährleistet. Im August 2022 waren Hunderte Asylsuchende gezwungen, vor dem einzigen Registrierungszentrum in der Ortschaft Ter Apel in der Provinz Groningen zu übernachten, da die Regierung nicht genügend Unterkünfte bereitgestellt hatte. Im Oktober erließ die Lokalregierung der Provinz Groningen eine Notstandsregelung, der zufolge gegen Personen, die wohnungslosen Asylsuchenden Zelte zur Verfügung stellten, eine Strafe von bis zu drei Monaten Haft oder eine Geldstrafe von 4.500 Euro verhängt werden konnte.

Um die Überbelegung in Aufnahmezentren für Asylsuchende zu lindern, verabschiedete die Regierung im Oktober 2022 eine Maßnahme zur Verzögerung des Familiennachzugs und verstieß damit gegen das Recht auf Familienleben und gegen ihre Verpflichtungen nach der Familienzusammenführungsrichtlinie der EU.

Andererseits machte die Regierung das staatliche Notstandsrecht geltend, um es Kommunalverwaltungen im ganzen Land zu ermöglichen, Dringlichkeitsmaßnahmen für die Aufnahme der über 60.000 Flüchtlinge zu ergreifen, die aus der Ukraine geflüchtet waren, und sorgte so dafür, dass diese Geflüchteten Unterkünfte bekamen, arbeiten durften und keinen Asylantrag stellen mussten.

Im Januar 2022 setzte die Regierung der Niederlande ihre Unterstützung für Hafteinrichtungen für Asylsuchende auf Curaçao aus, das zum Königreich der Niederlande gehört, nachdem dort u. a. unmenschliche Bedingungen angeprangert worden waren. Im Juli befand eine Richterin in Curaçao, dass vier Frauen und sechs Männer aus Venezuela rechtswidrig in einem Gefängnis in Abschiebehaft gehalten worden seien, und ordnete deren unverzügliche Freilassung an.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Oktober 2022 legte die Ministerin für Justiz und Sicherheit der Zweiten Kammer der Generalstaaten einen Gesetzentwurf vor, mit dem die gesetzliche Ahndung von Vergewaltigung in Einklang mit den Menschenrechten gebracht und Vergewaltigung nach dem Zustimmungsprinzip definiert werden soll. Das Gesetz macht außerdem den Einsatz von Nötigung, Gewalt oder Drohungen zu erschwerenden Umständen statt zu einer Bedingung für die Strafbarkeit der Tat. Die Zivilgesellschaft drängte die Behörden, eine zügige Debatte über das Gesetz im Parlament und seine anschließende baldige Umsetzung zu gewährleisten.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im Juni 2022 stimmte der Senat dafür, die bisher obligatorische Wartezeit von fünf Tagen vor einem Schwangerschaftsabbruch abzuschaffen, da sie eine unnötige Zugangsbarriere darstelle. Diese Reform sollte am 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Diskriminierung

Im Laufe des Jahres 2022 verpflichtete sich die Regierung mehrmals dazu, bei der Nutzung von Algorithmen in der öffentlichen Verwaltung die Menschenrechte zu gewährleisten. Zuvor hatte Amnesty International 2021 offengelegt, dass die Steuerbehörden zur Aufdeckung potenziell betrügerischer Anträge auf Sozialleistungen ein diskriminierendes Algorithmensystem verwendet hatten, das Migrant*innen und Haushalte mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig stark benachteiligte. Bis zum Jahresende war allerdings noch nichts unternommen worden, um Algorithmen zur Verbrechensbekämpfung menschenrechtskonform zu regulieren und die Verwendung von Kriterien wie Staatsangehörigkeit und ethnische Herkunft als "Risikofaktoren" zu verbieten.

Weitere Artikel