Amnesty Report Niederlande 29. März 2022

Niederlande 2021

Mittig im Bild befindet sich eine protestierende Person mit Regenbogenumhang und Megafon, die in Richtung der Kamera schaut und etwas ruft.

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Gesetze, die bei Anträgen auf internationalen Schutz bestimmte Dokumente als Beweismittel ausschließen, wurden als nicht mit EU-Recht vereinbar eingestuft. Es wurde ein neuer Gesetzentwurf veröffentlicht, der alle Formen nicht einvernehmlicher sexueller Penetration als Vergewaltigung definiert. Die Steuerbehörden benutzten ein diskriminierendes Algorithmensystem, um potenziellen Betrug beim Bezug von Kindergeld aufzudecken. Ein Gericht entschied, dass die Grenzpolizei mit der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen nach ethnischen Kriterien (Racial Profiling) fortfahren darf. Es wurde bekannt, dass die Nationale Koordinationsstelle für Terrorbekämpfung und Sicherheit jahrelang gesetzwidrig Aktivist_innen in den Sozialen Medien überwacht hatte.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen

Im Juni 2021 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die niederländische Gesetzgebung, nach der Folgeanträge auf internationalen Schutz automatisch als unzulässig abgewiesen werden, wenn die eingereichten Dokumente amtlich nicht anerkannt sind, nicht im Einklang mit EU-Recht steht. Diese Entscheidung ermöglicht es abgewiesenen Asylsuchenden, neue Anträge einzureichen, ohne dass die Behörden die Prüfung solcher Dokumente weiterhin ablehnen können.

Personen, die auf der zu den Niederlanden gehörenden Insel Curaçao um Asyl nachsuchen wollten, wurden unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert und misshandelt, und man verweigerte ihnen das Recht, Schutz zu beantragen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im März 2021 veröffentlichte der Minister für Justiz und Sicherheit einen neuen Entwurf für das Gesetz über Sexualstraftaten, in dem vorgeschlagen wurde, jegliche nicht einvernehmliche sexuelle Penetration als Vergewaltigung zu definieren. Bis Jahresende war der Entwurf dem Parlament jedoch noch nicht vorgelegt worden, und die Zivilgesellschaft äußerte sich besorgt über die Mutmaßung des Ministers, dass der Gesetzentwurf möglicherweise erst 2024 in Kraft tritt.

Diskriminierung

Algorithmen

Es wurden weitere Details zur sogenannten Kindergeldaffäre (Toeslagenaffaire) bekannt. Die Finanzbehörden hatten jahrelang ein diskriminierendes Algorithmensystem verwendet, um fehlerhafte und potenziell betrügerische Anträge auf Kindergeld aufzudecken. Zehntausende Menschen wurden fälschlich des Betrugs bezichtigt und mussten hohe Geldbeträge zurückzahlen. Dies führte zu verheerenden Problemen für die betroffenen Familien, angefangen bei Schulden und Arbeitslosigkeit bis hin zu Zwangsräumungen und Gesundheitsproblemen. Vor allem Migrant_innen und Personen aus Haushalten mit niedrigem Einkommen waren unverhältnismäßig stark betroffen, da die Einkommensschwelle sowie die Information, ob die Antragstellenden die niederländische Staatsangehörigkeit besaßen, in dem Algorithmensystem als Risikofaktoren benutzt wurden.

Erstellung von Persönlichkeitsprofilen nach ethnischen Kriterien (Racial Profiling)

Die Polizeibehörden arbeiteten weiterhin mit Racial Profiling, obwohl die Regierung die Praxis im Prinzip verurteilt hatte. Im September 2021 entschied das Bezirksgericht Den Haag, dass die ethnische Zugehörigkeit zusammen mit anderen Kriterien dazu herangezogen werden dürfe, um darüber zu entscheiden, ob eine Person kontrolliert werden soll, gegen die kein Verdacht auf eine Straftat vorliegt. Ein Verbund von zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter Amnesty International, hatte das Gerichtsverfahren angestrengt, um die Rechtmäßigkeit der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen nach ethnischen Kriterien infrage zu stellen.

Recht auf Privatsphäre

Im April 2021 deckten Journalist_innen auf, dass die Nationale Koordinationsstelle für Terrorbekämpfung und Sicherheit jahrelang gesetzwidrig Aktivist_innen in den Sozialen Medien überwacht hatte. Mithilfe gefälschter Profile sammelte, analysierte und teilte die Koordinationsstelle ohne rechtliche Grundlage und ohne Zustimmung der Betroffenen deren persönliche Daten. Nachdem dies bekannt geworden war, legte der Justizminister einen umstrittenen und weitreichenden Gesetzentwurf vor, mit dem die Regierung eilig versuchte, die Online-Überwachung fortzuführen. Amnesty International drängte das Ministerium, die menschenrechtlichen Auswirkungen einer solchen Überwachung zu berücksichtigen und den Schutz der Menschenrechte gesetzlich zu verankern.

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