Amnesty Report Dominikanische Republik 07. April 2021

Dominikanische Republik 2020

Eine in grün gekleidete Frau demonstriert, gemeinsam mit anderen, vor dem Nationalkongress in Santo Domingo am 6. Oktober 2020 für die Legalisierung von Abtreibungen.

Eine Frau demonstriert vor dem Nationalkongress in Santo Domingo für die Legalisierung von Abtreibungen (Archivaufnahme vom 6. Oktober 2020).

Die Behörden nahmen zwischen dem 20. März und dem 30. Juni 2020 schätzungsweise 85.000 Personen wegen vermeintlicher Verstöße gegen die abendliche Ausgangssperre in Haft. Schwangerschaftsabbrüche wurden weiterhin ausnahmslos als Straftaten eingestuft. Die Behörden haben die von der Zivilgesellschaft seit Jahren geforderte umfassende Antidiskriminierungs-Gesetzgebung noch immer nicht verabschiedet.

Willkürliche Inhaftierung

Im März 2020 riefen die Behörden den Ausnahmezustand aus und verhängten eine Ausgangssperre, um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Laut täglicher Angaben der Nationalpolizei auf Twitter nahmen die Sicherheitskräfte zwischen dem 20. März und dem 30. Juni schätzungsweise 85.000 Inhaftierungen wegen vermeintlicher Nichteinhaltung der abendlichen Ausgangssperre vor. Die Behörden ignorierten Ersuchen um Informationen über die Bedingungen, unter denen die Personen in Gewahrsam gehalten wurden. Sie gaben auch keine Auskunft darüber, ob sie ausreichenden körperlichen Abstand zueinander hatten oder ob der Zugang zu einem Rechtsbeistand und andere Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet waren.

Videobeweise deuteten darauf hin, dass die Polizei die Inhaftierung eher als erstes denn als letztes Mittel zur Durchsetzung der Lockdown-Bestimmungen anwandte und dass sie routinemäßig Gruppen von Personen im hinteren Teil von Polizeifahrzeugen zusammenpferchte, ohne Präventivmaßnahmen gegen Corona zu ergreifen wie die Einhaltung von physischem Abstand und das Tragen von Masken.

Videos zeigten auch, dass die Behörden Menschen auf ihrem Weg zur Besorgung von Nahrungsmitteln und anderen Waren des Grundbedarfs anhalten oder festnehmen ließen, obwohl die Erfahrung aus früheren Gesundheitsnotständen zeigt, dass Zwangsmaßnahmen, einschließlich Kriminalisierung, kontraproduktiv sein können und sich unverhältnismäßig stark auf soziale Randgruppen auswirken.

Die Behörden wandten auch häufig Taktiken an, die zum Ziel hatten, Menschen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Ausgangssperre zu demütigen, beispielsweise indem sie sie zwangen, Turnübungen in Gruppen zu vollführen. Die Behörden gingen überdies bei Festnahmen und Inhaftierungen mit unnötiger Gewalt vor. Diese Vorgehensweise wurde in den vergangenen Jahren bereits in Berichten über die willkürliche Inhaftierung von Sexarbeiter_innen und Jugendlichen dokumentiert.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Während der ersten Wochen der Ausgangssperre kam es Nachrichtenmeldungen zufolge zu einem deutlichen Rückgang der Anzeigen von geschlechtsspezifischer Gewalt. Vor dem Hintergrund, dass die Dominikanische Republik laut der Beobachtungstelle UN Gender Equality Observatory for Latin America and the Caribbean weltweit zu den Ländern mit den höchsten Raten geschlechtsspezifischer Tötungen von Frauen gehört, weckte dies die Befürchtung, dass Frauen in dieser Zeit Gewalt stillschweigend hinnahmen. 2020 wurden laut vorläufigen Angaben der Generalstaatsanwaltschaft 130 Frauen getötet. In 66 Fällen handelte es sich um Femizide.

Frauenrechte

Frauen, die Mehrfachdiskriminierung und intersektioneller Diskriminierung ausgesetzt waren, u. a. Trans-Frauen und einkommensschwache Cis-Frauen, wurden weiterhin bei der Suche nach einer formellen Beschäftigung diskriminiert. Für viele von ihnen blieb der Verkauf sexueller Dienstleistungen weiterhin die Haupteinkommensquelle.

Nach der Einführung der abendlichen Ausgangssperre im März 2020 gab es für eine große Anzahl von Transgender-Sexarbeiterinnen keine Arbeitsmöglichkeiten mehr, was laut der NGO Transsa dazu führte, dass viele von ihnen Schwierigkeiten hatten, ihre Miete zu zahlen, und sie keinen Zugang mehr zu essentiellen Sozialfürsorgeleistungen hatten, u. a. zu einer Reihe von medizinischen Dienstleistungen. Obwohl die Behörden finanzielle Hilfsprogramme für Arbeitnehmer_innen auflegten, sahen sich Sexarbeiter_innen laut Transsa Hürden gegenüber, wenn sie versuchten, Zugang zu diesen Programmen zu bekommen. Schließlich gelang es Transsa in Zusammenarbeit mit anderen NGOs, für einige Trans-Frauen Unterstützung zu erhalten.

Die Behörden kamen außerdem der Aufforderung nicht nach, ein nationales Protokoll zur Untersuchung von Folter einzurichten, obwohl Amnesty International den Behörden im Jahr 2019 Beweise dafür vorgelegt hatte, dass Polizisten routinemäßig Frauen, die Sexarbeit leisteten, vergewaltigten, schlugen und demütigten. Viele dieser Vorfälle entsprachen möglicherweise dem Tatbestand von Folter oder anderer Misshandlung.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Die Behörden der Dominikanischen Republik unternahmen keine Schritte zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Das betraf auch Fälle, in denen die Schwangerschaft das Leben der Schwangeren gefährdet, in denen der Fötus schwere Schädigungen aufweist und möglicherweise nicht lebensfähig ist oder in denen die Schwangerschaft die Folge von Vergewaltigung oder Inzest ist. 

Im Februar 2020 erklärte die Interamerikanische Menschenrechtskommission die im Fall von "Esperancita" eingereichte Beschwerde für zulässig. Die 16-Jährige starb im Jahr 2012, nachdem ihr wegen ihrer Schwangerschaft eine lebensrettende Leukämiebehandlung verweigert worden war.

Willkürlicher Entzug der Staatsbürgerschaft

Tausende Menschen mit ausländischen Eltern, die bei ihrer Geburt als Dominikaner_innen registriert worden waren, denen jedoch später die Staatsbürgerschaft wieder aberkannt wurde – zuletzt durch ein Urteil aus dem Jahr 2013, das Zehntausende staatenlos werden ließ –, waren nach wie vor nicht in der Lage, dominikanische Ausweispapiere zu erhalten, sodass sie staatenlos blieben und der Gefahr der Ausweisung ausgesetzt waren.

Der ehemalige Präsident Danilo Medina ordnete in der letzten Woche seiner Amtszeit die Wiedereinbürgerung von 750 Dominikaner_innen haitianischer Herkunft an, denen die dominikanische Staatsbürgerschaft entzogen worden war. Dabei handelte es sich jedoch nur um eine symbolische Geste, die nicht genügt, um die in der Dominikanischen Republik seit Langem bestehende Staatenlosigkeitskrise einer Lösung zuzuführen.

Im August 2020 forderten zivilgesellschaftliche Organisationen Präsident Abinader auf, einen Dialog mit Dominikaner_ innen haitianischer Herkunft und Unterstützerorganisationen aufzunehmen, um die Ursachen der Staatenlosigkeit und die daraus resultierenden Hindernisse beim Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen Rechten zu beseitigen. Bis Jahresende war noch keine öffentliche Reaktion des Präsidenten auf diese Initiative erfolgt. 

Diskriminierung

Obwohl die Behörden die Empfehlungen des UN-Menschenrechtsrats akzeptierten, haben sie noch immer nicht die umfassende Antidiskriminierungs-Gesetzgebung verabschiedet, die zivilgesellschaftliche Organisationen seit Jahren einfordern. 

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