Amnesty Journal Uganda 07. Februar 2024

Öl und Schläge

Sicherheitskräfte tragen einen Demonstranten weg, zwei Polizisten in Uniform, der Aktivist trägt Hemd und Hose, im Hintergrund auf der Straße macht jemand ein Foto mit einer Kamera.

In Uganda und Tansania wird eine riesige Ölpipeline gebaut. Das Vorhaben stößt nicht nur auf Zustimmung. Wer dagegen demonstriert, muss mit drastischen Konsequenzen rechnen.

Aus Kampala und Hoima von Helena Kreiensiek

Fünfmal war Bob Barigye im vergangenen Jahr auf der Straße, um gegen den Bau der East African Crude Oil Pipeline (EACOP) zu protestieren. Im Juni blockierte er mit drei weiteren Aktivist*innen während des morgendlichen Berufsverkehrs eine der belebtesten Kreuzungen in Ugandas Hauptstadt Kampala. Doch Aktionen wie diese haben drastische Konsequenzen – Schläge, Inhaftierungen, polizeiliche Registrierung.
Barigye ist Chemie- und Biologielehrer, doch arbeitet er seit gut zwei Jahren nicht mehr in seinem Beruf. Als infolge der Corona-Pandemie Personal eingespart wurde, war er der erste, der seinen Job verlor. Sein Engagement als EACOP-Gegner sei der Leitung der staatlichen Schule, an der er angestellt war, ein Dorn im Auge gewesen, sagt der 35-Jährige. 

In erdverlegten, beheizten Röhren sollen über eine Distanz von 1.443 Kilometern täglich bis zu 246.000 Barrel Rohöl aus dem Westen Ugandas bis zur Chongoleani-Halbinsel an Tansanias Küste transportiert werden. Damit wäre die ostafrikanische Pipeline die längste beheizte Pipeline der Welt. Ein Megaprojekt unter Führung des französischen Energie- und Erdölkonzerns TotalEnergies, der mit 62 Prozent die größten Anteile hält. Die ugandische Erdölgesellschaft UNOC und das tansanische Pendant TPCD sind jeweils mit 15 Prozent beteiligt, der chinesische Konzern CNOOC mit acht Prozent. 

Ölquellen im Nationalpark

Die Ölquellen liegen ausgerechnet in Murchison Falls, Ugandas bekanntestem Nationalpark. Zudem soll die Pipeline durch unzählige weitere sensible Ökosysteme führen – Naturschutzgesetzen zum Trotz. Doch mit dem Öl winkt das große Geld, so das Versprechen der Regierung. Motels mit Namen wie "Oil Land" sind entstanden, ein Schönheitssalon trägt den hoffnungsvollen Titel "Oil Rich". Doch ob von den Gewinnen tatsächlich etwas bei den Bürger*innen ankommen wird, bezweifelt Diana Nabiruma, Pressesprecherin der Menschenrechtsorganisation Afiego. "Stattdessen haben wir festgestellt, dass die meisten Haushalte, die ihr Land durch die Pipeline verloren haben, nicht in der Lage waren, das gesamte verlorene Land zu kompensieren. Das hat die Lebensgrundlage der Menschen beeinträchtigt und ihre Ernteproduktivität und ihr Einkommen verringert", sagt ­Nabiruma. Ihre Organisation veröffentlichte dazu im November 2023 einen ­Forschungsbericht. 

Laut EACOP-Konsortium sind rund 13.300 Haushalte, davon knapp 3.800 in Uganda und gut 9.500 in Tansania, von Landverlusten durch das Bauvorhaben ­betroffen. Für die Verlegung der Pipeline wird ein Korridor von rund 30 Metern ­benötigt. 30 Meter, auf einer Strecke von 1.443 Kilometern. Den Projektunterlagen zufolge müssen knapp 600 Häuser, 1.550 Gräber sowie eine Reihe von Schulen und anderen Einrichtungen dem Bau ­weichen. Es heißt, Betroffene würden für den Verlust von Land und Immobilien in Übereinstimmung mit Umwelt- und Menschenrechtsstandards voll entschädigt. 

Versprechungen und Realität

Während Sprecher*innen der an dem Pipeline-Projekt beteiligten Unternehmen dies immer und immer wieder ­betonen, ist Recheal Tugume erbost. Die Uganderin lebt nur einen Steinwurf entfernt vom Kabaale International Airport. Der im Bau befindliche Flughafen im Hoima-Distrikt ist Teil der Infrastruktur, mit der sich das Land auf den erhofften Boom in der Erdölindustrie vorbereitet. Die 29-Jährige hat jedoch keine Ohren mehr für das "Geschwätz", wie sie es nennt. "Anfangs habe ich mich gefreut. Es sind EACOP-Mitarbeiter zu uns gekommen und haben uns erzählt, dass wir reich werden", erzählt die junge Mutter. Sie war eine derjenigen, die unterschrieben, als Vertreter*innen des Pipeline-Projekts 2019 ihr Land kaufen wollten. Auch, weil ihr damals gesagt worden sei, dass dies der Wille der Regierung sei – und sie keine Wahl habe. Doch bis sie das Geld erhielt, sei einige Zeit vergangen. Durch ­Inflation habe sich der Wert des Geldes verringert, zudem seien die Preise für Land enorm in die Höhe geschossen, "vor allem in dieser Gegend", sagt sie. Denn alle, die ihr Land aufgrund der Pipeline verloren, seien auf der Suche nach neuem. Sich von dem ausbezahlten Geld heute ein ähnlich wertiges Stück Land kaufen zu können, sei unmöglich. In ihrer Verzweiflung bewirtschaftet sie das Feld, das offiziell verkauft ist, einfach weiter. Allerdings nicht mehr mit Maniok und Bananen, sondern mit Mais und Bohnen. Pflanzen, die schneller reifen, jedoch ­weniger Einkommen bringen. Davon die Kinder satt zu bekommen und die Schulgebühren zahlen zu können, sei schwierig, sagt die alleinerziehende Mutter. 

Die Geschichte von Recheal Tugume aus Uganda ist kein Einzelfall. Auch in Tansania klagen Betroffene über ähnliche Probleme. Doch obwohl rund 80 Prozent der geplanten Pipeline durch das Land verlaufen soll, ist die Protestbewegung dort deutlich leiser. Nicht, weil es keine Unzufriedenheit gebe, sondern weil die Angst, sich öffentlich zu positionieren, noch größer sei als in Uganda, meint der Aktivist Baraka Lenga. Vor allem unter dem vorherigen Präsidenten John Magufuli wurde die Presse- und Meinungsfreiheit in Tansania stark eingeschränkt.

Wir haben Petitionen gestartet und mobilisieren Menschen, für ihre Rechte einzustehen. Wir haben uns auch an die Finanzinstitute und Versicherungsgesellschaften gewandt, um sie dazu zu bewegen, sich aus dem Projekt zurückzuziehen.

Baraka
Lenga
Aktivist

Mit Präsidentin Samia Suluhu Hassan, seit 2021 im Amt, habe sich die Lage zwar leicht verbessert, doch Proteste und regierungs­kritische Äußerungen seien immer noch sehr gefährlich, sagt Lenga. Der Tansanier ist einer der wenigen, der dennoch laut wird: "Wir haben Petitionen gestartet und mobilisieren Menschen, für ihre Rechte einzustehen. Wir haben uns auch an die Finanzinstitute und Versicherungsgesellschaften gewandt, um sie dazu zu bewegen, sich aus dem Projekt zurückzuziehen", erklärt Lenga. Für sein Engagement erhält er immer wieder Todesdrohungen, die ihm anonym online zugesendet werden. Auch hat er schon mehrere Gefängnisaufenthalte hinter sich. Nach einer ­Aktion sei er zehn Stunden lang verhört worden, erzählt er. Mittlerweile habe ihm der Dorfvorsteher zudem verboten, die Chongoleani-Halbinsel zu betreten – der Ort, an dem das Öl auf Tanker verladen werden soll. Er sei ein Unruhestifter und deshalb nicht mehr willkommen, sagt Lenga. 

Accounts gehackt und Inhalte gelöscht 

Ob in Tansania oder Uganda: Geschichten über Gefängnisaufenthalte und Gewalt durch Sicherheitskräfte haben alle Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen zu berichten, die gegen das Projekt protestiert haben. Nachdem eine EU-Resolution Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Projekt zum Ausdruck gebracht hatte, zogen im September 2022 Pro-EACOP-Demonstrierende durch die Straßen von Kampala – von der Polizei begleitet. Eine Seltenheit in Uganda, wo Proteste nicht selten mit Waffengewalt aufgelöst werden. "EU – Lasst unser Öl in Ruhe" stand auf den Plakaten der demonstrierenden Schüler*innen. Diese, so heißt es, seien von der ugandischen Regierung mit Geld und einem kostenlosen Mittagessen für die Kundgebung geködert worden. 

Nur fünf Tage später wurde ein Protestmarsch von Pipeline-Gegner*innen innerhalb weniger Minuten aufgelöst, neun Demonstrierende festgenommen und wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" angeklagt. Situationen, die Hilda Flavia Nakabye, Mitbegründerin von Fridays for Future in Uganda, nur zu gut kennt. Daher habe sich die Bewegung auch schon für virtuelle Proteste auf der Online-Plattform X, ehemals Twitter, entschieden. "Dann veröffentlichen wir zu einem bestimmten Zeitpunkt Informationen unter einem gemeinsamen Hashtag und fluten das Internet, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen", erklärt die 26-Jährige. Ähnliches berichtet auch Baraka Lenga über alternative Protestaktionen in Tansania, allerdings komme es immer wieder vor, dass Accounts gehackt und Inhalte gelöscht würden. Der physische Protest sei trotz der Risiken besser, denn er erreiche mehr Menschen, sagt Hilda Flavia Nakabye. "Es geht hier schließlich um unsere Zukunft, da können wir nicht zu Hause bleiben."

Helena Kreiensiek ist freie Reporterin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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