Amnesty Journal Pakistan 04. Dezember 2023

"Ich habe dafür gekämpft, Teil dieser Gesellschaft zu sein"

Die trans Schauspielerin Alina Khan aus Pakistan steht in Landestracht auf einem überdachten Balkon, an der Decke hängen Discokugeln dicht an dicht.

Alina Khan (25) ist eine pakistanische Schauspielerin aus Lahore. Als erste ­Transperson spielte sie die Hauptrolle in einem pakistanischen Spielfilm. Ihre Filme Darling und Joyland wurden in Cannes und auf anderen internationalen Film­festivals ausgezeichnet. 2023 wurde sie zur Miss Trans Pakistan gekürt.

Als erste trans Schauspielerin spielte Alina Khan (25) die Hauptrolle in einem pakistanischen Spielfilm. "Joyland" erzählt eine queere Liebesgeschichte und gibt erstaunliche Einblicke in das Leben von Transmenschen in Pakistan.

Interview: Hannah El-Hitami

Der Spielfilm "Joyland" war sehr erfolgreich und wurde sogar zu den Filmfestspielen nach Cannes eingeladen. Wie begann Ihre Karriere als Schauspielerin?

Als ich ein kleines Kind war, hat mein Vater mir immer gesagt, dass ich eines Tages ein großer Schauspieler sein werde. Er starb, als ich sehr jung war, und mit elf Jahren habe ich dann gemerkt, dass ich trans bin. Meine Familie sah das als Schande an, und so bin ich von zu Hause abgehauen. Ich habe das getan, was alle Transmenschen in Pakistan tun müssen, um zu überleben: gebettelt und als Tänzerin und Prostituierte gearbeitet. Ich wollte zu meiner Familie zurück, aber leider konnten sie mich nicht akzeptieren. Einige Jahre später traf ich dann den Regisseur Saim Sadiq. Er gab mir die Chance, in einem Kurzfilm mitzuspielen. Ich war sehr gespannt, was ich spielen würde: einen Mann, eine Frau oder eine Transfrau. Es war dann die Rolle einer Transfrau, und ich habe mich sehr gefreut, meine eigene Realität und Persönlichkeit darstellen zu können. Auch in meinem zweiten Film "Joyland" spiele ich eine Transfrau. Es war der erste pakistanische Spielfilm, für den trans Schauspielerinnen gecastet wurden, um Transpersonen darzustellen.

Sie verkörpern die Tänzerin Biba, die trotz gesellschaftlicher Hürden für ihren Erfolg kämpft. Während die anderen Figuren in konservativen Rollenbildern gefangen sind und ihre Bedürfnisse nur im Geheimen ausleben, steht Biba als Einzige zu ihrer wahren Identität. Was mochten Sie an dieser Figur?

Biba gefällt mir, weil sie sehr fleißig und klug ist. Sie will keine Bettlerin sein und kein Sexspielzeug, sondern etwas im Leben erreichen und Teil der Gesellschaft sein. Darin ist sie mir sehr ähnlich. Ich habe sehr dafür gekämpft, mein Leben zu verbessern und Teil dieser Gesellschaft zu sein. Viele Transpersonen wollen einfach ein ganz normales Leben leben, aber ihre Möglichkeiten sind sehr begrenzt.

In Pakistan leben mehr als 10.000 Transpersonen. Welche Rolle spielen sie?

Transmenschen gehören zu unserer Kultur. Wenn ein Kind geboren wird, werden sie engagiert, um zu tanzen, Musik zu machen und zu feiern. Sie singen Schlaflieder und gratulieren der Familie. Das ist ein Ritual und soll Glück bringen.

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In Pakistan gab es bis vor Kurzem ein Gesetz, das allen Menschen die freie Wahl lässt, ob sie sich in offiziellen Papieren als männlich, weiblich oder als drittes Geschlecht eintragen lassen. Und die Provinz Sindh führte Anfang 2023 Jahr eine 0,5-Prozent-Quote für Transmenschen im öffentlichen Dienst ein.

Das stimmt, aber diese Gesetze gelten oder galten nur auf dem Papier. Leider ­akzeptiert unsere Gesellschaft Trans­menschen bis heute nicht. Für sie gelten keine Rechte oder Regeln. Wenn eine Transperson getötet wird, wird keiner Anzeige erstatten oder ermitteln. Wenn ein Kind sich als trans outet, gilt das als Schande für die Familie. Sie wird das Kind nicht mehr unterstützen und versuchen, es rauszuwerfen. Meistens verlassen die Jugendlichen dann ihr Zuhause. Sie bekommen keine Wohnung und haben kaum Chancen auf eine Arbeit oder Ausbildung. Ihnen bleibt nichts anderes übrig als zu betteln, zu tanzen oder sich zu prostituieren.

Wie ist der Zusammenhalt innerhalb der Community?

Wir unterstützen uns alle gegenseitig. Junge Transfrauen, die von zu Hause weglaufen, kommen bei anderen Mitgliedern der Community unter. Sie helfen ihnen, obwohl sie selbst kaum etwas haben. Auch mir wurde von anderen Transfrauen geholfen. Dadurch bin ich schließlich zur Schauspielerei gekommen. Diese Menschen sind für mich wie eine Familie. Diese Familie vergisst man nicht, und ich unterstütze sie bis heute, wo immer ich kann.

Wenn ein Kind sich als trans outet, gilt das als Schande für die Familie.

Was muss sich ändern, damit Transmenschen in Pakistan gleichberechtigt leben können?

Unsere Medien sollten Information vermitteln und für die Situation von Transmenschen sensibilisieren. Kinder müssten in der Schule lernen, dass Transmenschen Teil der Gesellschaft und genauso wertvoll sind wie andere Menschen. Doch es fehlt an Informationen, es fehlt an Erziehung, und es fehlt an Aufmerksamkeit für dieses Thema.

Konnte der Film daran etwas ändern? Er wurde in Pakistan erst erlaubt und sogar als Beitrag für die Oscarverleihung 2023 als Bester Internationaler Film eingereicht. Dann wurde er verboten und schließlich wieder erlaubt.

In Lahore wurde er nicht gezeigt, aber in Islamabad, Karachi und vielen anderen Städten lief er und wurde sehr gelobt. Viele Menschen wollten die trans Community kennenlernen und wissen, wie wir leben. Aber natürlich gab es auch viele, die überhaupt nichts mit dieser Thematik zu tun haben wollen.

Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie als Schauspielerin bekannter und sichtbarer geworden sind?

Eine der wichtigsten Veränderungen ist, dass meine Familie mich wieder aufgenommen und akzeptiert hat. Schon nach meinem ersten Film kam mein ältester Bruder auf mich zu. Und als "Joyland" in Cannes lief, habe ich bei meiner Mutter angerufen und ihr davon erzählt. Ich bat sie, für mich zu beten. Sie weinte und sagte: "Natürlich bete ich für dich. Du hast einen langen und sehr schweren Weg hinter dir." Auch meine Schwestern haben mich inzwischen akzeptiert.

Sie wurden 2023 zur "Miss Trans Pakistan" gewählt. Sind Sie ein Vorbild für andere?

Ja, ich denke schon. Ich habe meiner Community gezeigt, dass man die Talente, die man hat, nutzen und erfolgreich werden kann. Ich hoffe, dass junge Leute dadurch Mut schöpfen. Außerdem habe ich eine Plattform aufgebaut, die jungen Transpersonen mit künstlerischen Talenten Unterstützung und Weiterbildung anbietet.

Hannah El-Hitami ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

"Joyland", Kinostart: 9. November 2023. Mehr Infos zum Film und den Spielzeiten.

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