Amnesty Journal 29. August 2022

Klima, Krieg und Krisen

Eine Frau in Kenia trägt ihr Kind auf dem Arm, dessen Arm mit einem Maßband gemessen wird.

Hunger, Durst, zunehmende Zwangsehen und drohende Unruhen – vor allem im Osten Afrikas verschärft der Krieg in der Ukraine die existenzielle Not.

Von Bettina Rühl

Jeden Tag um kurz nach sechs steht Thomas Omoni auf und weckt seinen jüngsten Sohn Regan, der in die Schule muss. Früher hat Omoni das gemeinsame Frühstück genossen, neuerdings ist es weniger harmonisch. "Regan beschwert sich jetzt häufig über das Essen", bedauert Omoni, der sein Geld als Fahrer in Nairobi verdient. "Früher gab es morgens Mandazi", erzählt er. "Aber Speiseöl ist so teuer geworden, dass wir uns Frittiertes nicht mehr leisten können." Mandazi sind frittierte Teigbällchen, für die außer Speiseöl auch Weizen gebraucht wird. Beides ist seit dem Krieg in der Ukraine auch in Kenia deutlich teurer geworden. Weil sie sparen müssen, essen Omoni und seine Frau nun morgens Kochbananen. Regan folgt ihrem Beispiel bestenfalls unter Protest. "Also kaufen wir für ihn trotz des Preises oft ein Mandazi", sagt Omoni. Das kleine Gebäck ist mit 10 kenianischen Shilling derzeit doppelt so teuer wie vor dem Krieg. Und während die Eltern ihren morgendlichen Tee nun aus Kostengründen ungesüßt trinken – was bis zum Beginn des Krieges in Kenia praktisch undenkbar war –, bekommt Regan ihn zumindest noch leicht gesüßt, weil er seinem Unmut sonst allzu laut Luft macht.

In Kenia sind die Lebenshaltungskosten in den vergangenen Monaten drastisch gestiegen. Der Preis für Speiseöl hat sich teilweise verdoppelt, auch Milch, Haushaltsgas und Maismehl – in Kenia das wichtigste Grundnahrungsmittel – sind viel teurer geworden. Das liegt zum Teil daran, dass die Regierung die Steuern auf viele Produkte deutlich erhöht hat, weil das Land in einer Schuldenkrise steckt und die Regierung fast verzweifelt weitere Einnahmequellen sucht. So hat sie beispielsweise den Mehrwertsteuersatz auf Propangas von acht auf 16 Prozent verdoppelt.

Staatseinnahmen verzweifelt gesucht

Seit Februar kommen die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine hinzu. Vor dem Krieg produzierten die Ukraine und Russland zusammen zwei Drittel des weltweit exportierten Speiseöls, und ein Drittel des weltweit exportierten Weizens. Mais, in vielen Ländern ebenfalls ein wichtiges Grundnahrungsmittel, stammte zu 15 Prozent aus der Ukraine und Russland. Nach neueren UNO-Schätzungen importierten die Länder südlich der Sahara rund 44 Prozent ihres Weizens aus Russland und der Ukraine. Somalia sogar über 90 Prozent. Durch den Krieg ist der Export von Getreide und Speiseöl aus der Ukraine erschwert, die Preise sind durch die Knappheit gestiegen, laut der Afrikanischen Entwicklungsbank auf dem Kontinent um 60 Prozent. Und das zu einer Zeit, in der im Osten und Westen des Kontinents wegen eigener Produktionsaus­fälle nach einer schweren Dürre besonders viele Importe nötig wären. "Das macht es für Menschen in den Ländern schwierig, die ohnehin einen Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen, weil sie arm sind und sich dann entsprechend weniger leisten können, wenn die Preise nach oben gehen", betont Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie sowie Agrarwissenschaftler und Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn.

Francisco Mari, Referent für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik bei Brot für die Welt, weist darauf hin, dass Weizen in vielen afrikanischen Ländern zwar nur begrenzt zu den täglichen Kalorien beiträgt. In Kenia zum Beispiel sind es durchschnittlich knapp 18 Prozent. Hinzu kommt allerdings noch Speiseöl, das weitere fünf Prozent ausmacht. Und die gestiegenen Transportpreise schlagen sich durch eine Verteuerung auf fast alle Lebensmittel und anderen Produkte nieder.

Schlimmste Dürre seit 40 Jahren

Viele Regionen am Horn von Afrika leiden außerdem unter der schlimmsten Dürre seit vier Jahrzehnten. Das zeigt sich auch in Turkana, einer wüstenähnlichen Region im Nordwesten Kenias. Unter einem großen Baum im Westen Turkanas herrscht Hochbetrieb, dort haben Helfe­r*innen eine mobile Klinik errichtet. Im Schatten der ausladenden Krone werden Kleinkinder gewogen und gemessen, die Helfer*innen notieren auch den Umfang des Oberarms – an ihm lässt sich ablesen, ob ein Kind unterernährt ist oder nicht. Als eine Helferin dem kleinen Lopeto Ebenyo das Maßband um den Oberarm legt, liegt das Maß im roten Bereich: Der Zweijährige ist schwer unterernährt. Seine Mutter Emunia Emariau ist besorgt, aber nicht überrascht: "Das liegt an der Dürre", sagt sie. "Alle unsere Ziegen sind tot, wir haben keine Milch und nichts zu essen."

Den Vereinten Nationen zufolge können sich am Horn von Afrika bis zu 18 Millionen Menschen nicht ausreichend ernähren. Die Zahl könnte bis September auf 20 Millionen steigen. Die Gründe für die katastrophale Lage sind vielschichtig. Wegen der Klimakrise werden extreme Wetterereignisse wie schwere Dürren, Starkregen und Überschwemmungen häufiger. Für die vom Hunger geschwächten Tiere sind die kalten Regenfluten nach langer Trockenheit oft ebenfalls tödlich. Hinzu kommen die geringe Produktivität auf den bewirtschafteten Flächen, ein rasches Bevölkerungswachstum und bewaffnete Konflikte. Zudem hat sich die Region noch nicht von den schweren wirtschaftlichen Krisen der vergangenen Jahre erholt: einer Heuschreckenplage biblischen Ausmaßes sowie den Folgen der Corona-Pandemie.

Hochgradig alarmierend

Bei einem Besuch in der Somali-Region von Äthiopien warnte Catherine Russell, Chefin des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, laut Medienberichten vor den Folgen von Hunger, Durst, Armut und Vertreibung für Mädchen. Die existenzielle Not aufgrund vieler Faktoren treibe mehr äthiopische Familien dazu, ihre minderjährigen Kinder in Ehen zu zwingen, erklärte Russell. "Die Schließung von Kinderehen nimmt in Dürrezeiten oft zu, weil Familien ihre Töchter in der Hoffnung verheiraten, dass diese so besser ernährt und beschützt werden, auch geht es um die Mitgiften". Unicef sammelte Daten von verschiedenen Lokalregierungen. Demnach kam es etwa in der Region Oromia im Süden des Landes zwischen Februar und August vergangenen Jahres zu 672 Fällen von Kinderheirat. Zwischen September 2021 und März 2022 habe die Zahl bei 2.282 gelegen – eine Verdreifachung.

Die Bedingungen sind jetzt viel schlimmer als während des Arabischen Frühlings 2011 und der Lebensmittelpreiskrise 2007 und 2008, als 48 Länder von politischen Unruhen, Aufständen und Protesten erschüttert wurden. Wir müssen handeln, und zwar schnell.

David
Beasley
WFP-Exekutivdirektor

Amnesty International dokumentierte 2021 die Auswirkungen der Dürre auf die Menschenrechte im Süden Madagaskars und forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Klimakrise konsequent zu bekämpfen und die Menschenrechte derjenigen zu schützen, die durch die Folgen der Erderhitzung besonders gefährdet sind. Das Land, ebenfalls im Osten Afrikas gelegen, gehört wie Kenia und Äthiopien auch zu 20 "Hunger-Hotspots", die die beiden UNO-Organisationen für Landwirtschaft und Ernährung (FAO und WFP) ausgemacht haben. Dort seien dringende humanitäre Maßnahmen nötig, um Leben und Lebensgrundlagen zu retten und eine Hungersnot zu verhindern. Die Lage sei hochgradig alarmierend. WFP-Exekutivdirektor David Beasley warnte zudem vor möglichen politischen Folgen des Hungers. "Die Bedingungen sind jetzt viel schlimmer als während des Arabischen Frühlings 2011 und der Lebensmittelpreiskrise 2007 und 2008, als 48 Länder von politischen Unruhen, Aufständen und Protesten erschüttert wurden", so Beasley. "Wir müssen handeln, und zwar schnell."

Auch die Bundesregierung müsse die betroffenen Länder stärker unterstützen, fordert Annelen Micus, Amnesty-Referentin für Klimagerechtigkeit: "Beim nächs­ten Klimagipfel im November muss endlich eine angemessene Klimafinanzierung vereinbart werden."

Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin und arbeitet schwerpunktmäßig zu Afrika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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