Amnesty Journal Indien 01. März 2024

Wo die Häuser Safran tragen

Eine indische Frau in traditioneller Kleidung sitzt in einem Tonstudio und singt, hält dabei die rechte Faust eballt in die Höhe.

H-Popstar: Dauerlächelnd besingt Kavi Singh die Leistungen des Premiers Modi und fordert den Abriss von Moscheen.

Kavi Singh und andere H-Pop-Stars verbreiten singend und tanzend Propaganda für den ­indischen Premierminister Modi und säen Hass gegen Minderheiten.

Von Thomas Winkler

Modi nimmt die Huldigungen seiner Anhänger*innen entgegen und betet im Tempel. Modi trifft ausländische Politiker*innen, schreitet würdevoll in Zeitlupe auf grünen und roten Teppichen. Modi vor schneebedeckten Gipfeln, Modi vor Blumenrabatten. Fünfeinhalb Minuten YouTube, fünfeinhalb Minuten Modi, Modi, Modi – und über allem weht die indische Flagge. Was aussieht wie ein offizieller Wahlwerbespot für die BJP, die hindunationalistische Regierungspartei des indischen Premierministers Narendra Modi, ist – zumindest vorgeblich – ein Videoclip für einen scheinbar harmlosen Popsong.

Der hat es aber in sich. Die Sängerin Kavi Singh schwört mit "2024 Main Modi Ko Lana Hai" ihre Hörer*innen unverblümt darauf ein, bei der kommenden Parlamentswahl Modi für eine dritte Amtszeit zu wählen. Dauerlächelnd besingt Singh die Leistungen des Premiers: Ihm sei es zu verdanken, dass Indiens Ansehen in der Welt gestiegen sei, dass der Sonderstatus von Kaschmir endlich beendet sei, dass Muslim*innen nicht mehr aufmuckten und Pakistan wieder Respekt habe. Unter seiner Führung werde Indien zum "Guru", zum Lehrer, der ganzen Welt aufsteigen.

Treibende Kraft sind radikalreligiöse Organisationen 

Die 27-jährige Kavi Singh ist mit mehr als 100 Millionen Aufrufen auf YouTube und Millionen Follower*innen in den Online-Netzwerken einer der größten Stars des H-Pop. Das "H" steht für "Hindutva", die Ideologie hinter der Modi-Regierung, die in Indien die Rechte der angeblich von Minderheiten wie Muslim*innen und Christ*innen unterdrückten Hindus wiederherstellen und im säkularen Indien einen Gottesstaat errichten will. Treibende Kraft dieser Ideologie sind radikalreligiöse Organisationen wie der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS). Die mit mehr als fünf Millionen Mitgliedern größte Graswurzelorganisation der Welt agiert wie eine Mischung aus Kulturverein, Heilsarmee und SA. Der RSS leistet einerseits wertvolle Arbeit vor Ort, schüchtert die Bevölkerung aber mit martialischen Aufmärschen ein, betreibt Schulen und fördert Wissenschaft in seinem Sinne. Der Mahatma-Gandhi-Attentäter Nathuram Godse war RSS-Mitglied. Die Regierung in Delhi, so heißt es, bekommt ihre Anweisungen aus dem RSS-Hauptquartier in Nagpur, der Stadt am geografischen Mittelpunkt Indiens.

Die Führer der RSS halten sich raus aus dem politischen Tagesgeschäft, aber sie bestimmen den alltäglichen Diskurs; vor allem mithilfe ihrer verschiedenen Massenorganisationen für Frauen, Student*innen, Bäuerinnen und Bauern und nahezu jede gesellschaftliche Gruppe, aber auch zunehmend mit kulturellen Mitteln. Entstanden ist ein "Hindutva-Ökosystem", das der Journalist Kunal Purohit in seinem aktuellen Buch "H-Pop – The Secretive World of Hindutva Pop Stars" beschreibt. Exemplarisch schildert Purohit die Karrieren des Journalisten und Verlegers Sandeep Deo, des Dichters Kamal Agney und der Sängerin Kavi Singh.

Singhs Lieder heißen "Mein geliebtes Indien" oder ganz unverblümt "Hindutva". "Das Schwert hat eine Safranfahne" ist ein kaum verhohlener Aufruf zur Gewalt im Namen der Hindunationalisten, deren Farbe das Safran-Orange ist. Der ­Safran-Pop, wie das Genre auch genannt wird, verbreitet systematisch Verschwörungstheorien wie die vom "Love Jihad", den eins von Singhs erfolgreichsten Stücken schon im Titel trägt. Diese Propagandalüge behauptet, dass muslimische Männer systematisch und massenweise Hindufrauen verführten, zum Übertritt zum Islam zwängen und dann sitzen ließen. Wie in den meisten von Singhs Songs werden die Muslime nicht beim Namen genannt, sondern nur mit einem ausschließenden "die" bezeichnet. Klassisches Othering, wer gemeint ist, bleibt dabei immer klar. Wie bei allen Populist*innen der Welt ist auch hier das Schüren ­einer möglichst unbestimmten Angst zentral: "Wenn du jetzt nicht aufwachst", singt Singh, "wirst du für immer schlafen."

Gesungener Aufruf zur Gewalt

Singh ist mittlerweile so erfolgreich, dass sie im Auftrag der BJP Wahlwerbung für Modi macht. Auf den Screenshots ihres YouTube-Kanals prangt wie ein Stempel das Symbol der BJP. Doch sie ist nur eine von Hunderten Sänger*innen, die die Einheit von Nation und Religion beschwören, mit schnell aufgenommenen Liedern Stellung zu aktuellen Ereignissen oder den kommenden Wahlen beziehen, den Abriss von Moscheen fordern oder den Bau von Tempeln zu Ehren von Ram – dem Lieblingsgott der Hindunationalisten.

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Ein anderer H-Pop-Star heißt Laxmi Dubey. Die Sängerin aus Bhopal im Bundesstaat Madhya Pradesh fordert: "Alle Häuser sollen Safran tragen." Im dazugehörigen Video sind vor allem Aktivist*innen des RSS zu sehen, die fahnenschwingend durch die Stadtviertel paradieren. Dubey ist so etwas wie die militante Ausgabe von Kavi Singh. Während Singh nicht klar benannten Verräter*innen diffus mit Vertreibung droht, geht es bei Dubey konkret und durchaus blutig zu: Wer Ram nicht huldigt, wird einen Kopf kürzer gemacht. Auch Dubey pflegt enge Verbindungen zur Regierungspartei: Sie nennt Modi in ihren Liedern "Retter der Nation" und ging 2019 für ihn auf Wahlkampftour.

Noch militanter ist Sanjay Faizabadi. Er tritt am liebsten in Tarnkleidung auf, lässt in seinen YouTube-Filmchen die indische Armee aus allen Läufen schießen und droht in seinen Texten Pakistan und China mit Krieg. Auch für ihn ist der Premierminister der Heilsbringer: "Modi ist Indien" heißt sein größter Hit.

Radikale Botschaften zu eingängigen Melodien

Die Botschaften sind austauschbar, ihre Motivation ist oft unterschiedlich. Es gibt ideologisch geschulte Hindunationalisten wie den Sänger Ved Vyas, der die ­Jugendorganisation der BJP in seiner Heimatstadt Bikaner leitet. Aber auch einen Prem Krishnavanshi, der eigentlich in Bollywoods Filmindustrie Karriere machen wollte, sich dann aber auf gesungene Hassbotschaften verlegte und in seinem erfolgreichsten Lied verkündet: "Indien gehört den Hindus, ihr ­Muslims könnt nach Pakistan verschwinden."

So radikal die Botschaften sind, so mainstreamtauglich sind die meisten H-Pop-Songs musikalisch. Ihre Melodien sind eingängig, die Rhythmen schnell im Computer zusammengeschraubt und so simpel, dass die Botschaft auch noch ankommt, wenn man sie auf einem chinesischen Billighandy abspielt. Finanziell lohnt sich das im weltweit größten Markt von YouTube mit seinen 450 Millionen User*innen – für die Musiker*innen, aber auch für die Videoplattform, die entsprechend lax gegen die Hassbotschaften vorgeht. In einem Beitrag der Deutschen Welle erklärt Sandeep Acharya aus Ayodhya, einer der radikalsten Sänger, wie er immer wieder von YouTube verbannt wird – und einfach einen neuen Kanal ­eröffnet.

Doch die Songs werden nicht nur millionenfach gestreamt. Sie werden auch zur Einschüchterung vor Moscheen abgespielt, heizen die Stimmung an bei Demonstrationen. Sie sind der Soundtrack zur Unterdrückung von Minderheiten – und immer wieder auch zu Übergriffen, die Menschenleben kosten.

Dank ihrer Hitqualitäten haben die Mitsinghymnen das Hindutva-Milieu ­verlassen. Sie sind längst fester Bestandteil auch ganz gewöhnlicher religiöser ­indischer Feste, wo sie von Zehntausenden ­gehört werden – so verbreiten sich Fake News, Verschwörungstheorien und radikale Hindu-Ideologie auch im gesellschaftlichen Mainstream. Selten wohl hatte Popmusik einen solch weitreichenden und konkreten politischen Einfluss.

Thomas Winkler ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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