Amnesty Journal Dänemark 30. November 2020

Viele Stereotypen, hohe Hürden

Schwarzweißfoto einer mittelalten Frau mit langem blondem Haar, die in die Kamera blickt.

Helle Jacobsen lebt in Kopenhagen und arbeitet für Amnesty International Dänemark als Programmmanagerin zum Thema Gender.

"Lets Talk about Yes" heißt eine erfolgreiche Kampagne zum Thema sexueller Konsens von Amnesty International in Dänemark. Die Kampagnenleiterin Helle Jacobsen spricht über die Ziele und Wirkung ihrer Arbeit.

Interview: Judith Treiber

Die dänische Regierung hat Anfang September angekündigt, das Sexualstrafrecht zu überarbeiten. Ein Gesetz soll bald klarstellen, dass Sex ohne Zustimmung eine Vergewaltigung ist. Wie kam es dazu?

Nachdem zwei Vorgängerregierungen versprochen hatten, das Gesetz so anzupassen, dass es menschenrechtskonform ist, nimmt sich die Regierung jetzt endlich dieses Themas an. Wir müssen uns weiter dafür einsetzen, dass es im Gesetz um Konsens geht, also die aktive Zustimmung zum Sex. Es gibt auch Stimmen, die gerne Ausnahmeregelungen zulassen möchten, etwa, dass in der Ehe Passivität als Zustimmung zählt. Das stimmt aber nicht mit der Istanbul-Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt überein, die klar definiert, dass Sex ohne ­aktive Zustimmung als Vergewaltigung zu werten ist.

Warum ist die genaue Formulierung des Gesetzes so wichtig?

Wir haben das Thema Vergewaltigung in Dänemark ausführlich analysiert. Dabei wurde deutlich, dass Überlebende von Vergewaltigungen diese selten anzeigen. Auch, weil sie der Ansicht sind, das Gesetz stehe nicht auf ihrer Seite. Das stimmt. Denn aktuell gilt Sex nur dann als Vergewaltigung, wenn Gewalt und Zwang eingesetzt wurden oder sich das Opfer in einem Zustand der Hilflosigkeit befand. Das führt dazu, dass Überlebenden die Schuld an der Vergewaltigung gegeben wird. Es wird dann gesagt: Sie hätten sich wehren müssen oder sie hätten sich durch bestimmte Kleidung oder Alkoholkonsum in einen Zustand gebracht, in dem eine Vergewaltigung wahrscheinlicher wird. Dabei gilt Dänemark immer als gutes Beispiel für Geschlechtergerechtigkeit.

Es sind so viele Frauen von Vergewaltigung betroffen und leiden unter fehlender Gerechtigkeit, weil das Gesetz sie nicht unterstützt.

Helle
Jacobsen
Programmmanagerin zum Thema Gender, Amnesty International Dänemark

Als ich mit meiner Arbeit zum Thema sexuelle Gewalt angefangen habe, war ich schockiert von dem Ausmaß, da ich in dem Glauben aufwuchs, Männer und Frauen seien in Dänemark gleichgestellt. Es sind aber so viele Frauen von Vergewaltigung betroffen und leiden unter fehlender Gerechtigkeit, weil das Gesetz sie nicht unterstützt. Das liegt auch an den großen Hürden, die einer Verurteilung wegen Vergewaltigung im Weg stehen. Das sind Hürden, die mit Stereotypen rund um Geschlecht, ­Sexualität und Vergewaltigung zu tun haben, und es zeigt sich, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz solche Stereotype verinnerlicht haben.

Wie sehen die nächsten Schritte der dänischen Amnesty-Kampagne zum Thema Konsens aus?

Wir wollen die Stereotype im Justizsystem thematisieren. Dazu arbeiten wir mit Anwältinnen und Anwälten aus Großbritannien und Schweden zusammen, um dänischen Rechtsbeiständen ihre eigenen Stereotype bewusst zu machen. Außerdem ist das Thema Sexualaufklärung zentral für die Prävention von sexueller Gewalt. In einer Befragung gaben nur 36 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler an, im Unterricht Sexual­aufklärung behandelt zu haben. Über Konsens wurde dabei gar nicht gesprochen. Die dänische Amnesty-Jugend will nun an ­einem landesweiten Aktionstag in Schulen über sexuelle Gewalt und Sexualaufklärung informieren.

Helle Jacobsen, geboren 1977, lebt in Kopenhagen. Für Amnesty International Dänemark arbeitet sie als Programmmanagerin zum Thema Gender.

Das Interview führte Judith Treiber von Amnesty International Deutschland. Sie ist Mitglied der Themenkoordinationsgruppe Menschenrechts­verletzungen an Frauen. Mehr Informationen unter: amnesty-frauen.de

Weitere Artikel