Amnesty Journal Afghanistan 16. August 2023

Alphington statt Afghanistan

Fussballerinnen auf einem Rasen-Spielfeld, manche sitzen, manche stehen, sie tragen Trikots, eine sitzende Spielerin hat einen kleinen Hund auf dem Schoß.

Das afghanische Fußballnationalteam der Frauen spielt nun in Australien. Viele haben die Spielerinnen auf der Flucht unterstützt, nur der Weltfußballverband nicht.

Von Martin Krauß

Es gibt derzeit in Afghanistan keine Fußball spielenden Frauen. Nicht auf dem Platz und auch nicht in der Weltrangliste der Fifa. Der Weltfußballverband notiert seit März 2022 unter dem Stichwort "Afghanistan" über die Frauenauswahl: "nicht mehr gelistet".

Ein afghanisches Frauenfußballteam existiert aber sehr wohl. Es ist in Australien angesiedelt und nennt sich Melbourne Victory FC AWT. Das angehängte Kürzel AWT steht für Afghan Women’s Team. Als sich im August 2021 die letzten Soldat*innen westlicher Staaten aus Afgha­nistan zurückzogen, bekamen das all jene Frauen, die Sport trieben, als erste zu spüren. Die Taliban verboten ihnen jede Aktivität und bestraften und schikanierten alle, die vorher aktiv gewesen waren.

Flucht vor den Taliban

Just an dem Tag, als die Taliban in die Hauptstadt einzogen, fand in Kabul ein Kampfsportturnier für Frauen statt. Als sich die Nachricht über das Anrücken der Islamisten verbreitete, flohen alle aus der Halle. Später gingen Taliban von Haus zu Haus oder riefen die Familien an. "Sie sagten: Warum hast du Sport getrieben? Sport ist verboten", erzählte eine 20-jährige Fußballspielerin der Nachrichten­agentur AP. "Seit die Taliban kamen, fühle ich mich wie tot." Ihr Trainer hatte sich bei ihrer Familie gemeldet und gesagt, sie solle möglichst schnell zum Flughafen kommen, es gebe dort eine Fluchtmöglichkeit. Doch die Mutter, eine konservative Muslimin, gab diese Nachricht nicht an ihre Tochter weiter.

Khalida Popal, die 2007 die afghanische Nationalelf aufbaute und 2011 zunächst nach Indien, dann nach Norwegen und schließlich nach Dänemark ins Exil ging, baute sofort ein Hilfsnetzwerk auf. "Ich habe einige unserer Spielerinnen in Afghanistan kontaktiert und gefragt, wie es ihnen geht. Ich hatte gehofft, dass sie Afghanistan bereits verlassen hätten. Aber sie sagten, dass sie dort festsitzen." Unterstützung fand Popal bei der Weltfußballgewerkschaft FifPro. Sie erkannte, dass sich das "Risikoprofil der Spielerinnen deutlich erhöht hat", wie FifPro-Generalsekretär Jonas Baer-Hoffmann damals sagte, und handelte entsprechend.

Und noch ein Kontakt kam zustande. Die jüdische Hilfsorganisation Tzedek aus New York, die schon alles für eine andere Rettungsaktion vorbereitet hatte, die scheiterte, hörte von der Gefahr, in der die Fußballerinnen steckten. Und sie half: Binnen drei Tagen gelang es, fast 80 Spielerinnen, Betreuer und auch einige Verwandte außer Landes zu bringen.

Wir sind von der Fifa sehr enttäuscht. Die Hilfeschreie sind laut, aber die Fifa ist immer zu spät.

Gitti
Ruhin
ehemalige Nationalspielerin

Das gesamte Frauennationalteam Afghanistans gelangte durch Vermittlung von FifPro nach Australien und spielt nun in Melbourne. Aber bei den jugendlichen Spielerinnen sieht es schlechter aus. "Ich war Teammanagerin der Nachwuchsteams, habe mit der U15 und U17 gearbeitet", berichtete die Nationaltorhüterin Fatima Yousufi der deutschen Tageszeitung taz. "Eine Hälfte des Teams ist in Portugal, die andere Hälfte aber immer noch in Afghanistan." Dort wird die Lage immer schwieriger. "Dass diese Mädchen dort zurückgelassen worden sind, liegt daran, dass die Fifa nicht schnell genug gehandelt hat", sagt Gitti Ruhin, eine ehemalige Nationalspielerin, die nun in Hamburg lebt. "Wir sind von der Fifa sehr enttäuscht. Die Hilfeschreie sind laut, aber die Fifa ist immer zu spät."

Den afghanischen Fußballverband AFF gibt es noch, er ist weiterhin Mitglied der Fifa, und die Nationalmannschaft der Männer stand im April dieses Jahres noch auf Platz 155 der Weltrangliste, vor Kuba und Puerto Rico. Sanktionen gegen die Fußballfunktionäre der Taliban gibt es bislang nicht. Es gab zwischenzeitlich sogar Gerüchte, die AFF wolle für die Olympischen Spiele ein neues Frauenteam gründen, aber der Verband stellte klar, dass es solche Pläne nie gab. Ein in der britischen Tageszeitung Guardian veröffentlichter Appell an die Fifa, das australische Exilteam offiziell als Auswahl Afghanistans anzuerkennen, verpuffte. Nicht einmal zu einer Antwort raffte sich der Fußballverband auf, obwohl selbst die pakistanische Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Appell mitformuliert hatte. "Es ist eine Schande, dass die Organisation, die sich selbst als Dachverband des Fußballs bezeichnet, noch keine einzige Erklärung abgegeben hat, um sich wenigstens mit den Spielerinnen zu solidarisieren", sagt Khalida Popal.

Eine junge Frau mit gewelltem Haar trägt eine Jacke und einen Schal und steht auf der Tribüne eines Fußballstadions.

Durch ihr Schweigen unterstützt die Fifa indirekt die Entscheidung der Taliban, den Frauen zu sagen, dass sie in die Küche gehören.

Khalida
Popal
afghanische Fußballerin

Die Fifa teilt mit, sie sei in "komplexe Verhandlungen" involviert gewesen, durch die "fast 100 Mitglieder der Fußballfamilie" aus Afghanistan nach Katar evakuiert werden konnten. Aber noch Anfang Mai dieses Jahres umgab sich Fifa-Präsident Gianni Infantino bei einem Kongress des zentralasiatischen Fußballverbandes Cafa mit Repräsentanten des AFF. Dabei müsste die Fifa die AFF gemäß ihrer eigenen Statuten sanktionieren, schließlich liegt Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor. "Durch ihr Schweigen unterstützt die Fifa indirekt die Entscheidung der Taliban, den Frauen zu sagen, dass sie in die Küche gehören", kritisiert Popal.

Infantino an der Seite des AFF

Viele Berichte, die aus Afghanistan nach außen dringen, zeigen, dass die Situation der Frauen und Mädchen im Land immer schwieriger wird. Anfängliche Bekundungen der Regierung und des Nationalen Olympischen Komitees, man wolle mit dem Bau getrennter Sportstätten wieder Mädchen- und Frauensport ermöglichen, haben sich als Lüge erwiesen. Das Sportverbot reiht sich ein in den Ausschluss von Schulen und Universitäten, das Verbot, Parks zu betreten, und ähnliche Restriktionen. Sportliche und selbstbewusste Frauen gelten wohl als Gefahr für die islamistische Herrschaft der Männer.

Für die Fußballerinnen war die Situation allerdings auch vor der Machtübernahme der Taliban nicht einfach. Die Anfänge des Frauenfußballs reichen nur bis ins Jahr 2005 zurück. Die erste Herrschaft der Taliban war vier Jahre zuvor überwunden worden, die damalige Frauenministerin Massouda Jalal hatte bei einer Deutschlandreise Frauenfußball kennengelernt und ihn anschließend gefördert. Doch die Widerstände waren groß. Die 2007 gegründete Nationalelf der Frauen durfte nur selten ins Ghazi-Stadion von Kabul. Meist trainierten und spielten sie auf einem Stützpunkt der Nato-Truppen.

Physische, psychische und sexualisierte Gewalt

2018, als aus dem Westen noch viel Geld in die Förderung des afghanischen Frauensports floss, kam ein Skandal an die Öffentlichkeit: Über einen längeren Zeitraum hatte es physische, psychische und sexualisierte Gewalt gegen Spielerinnen gegeben. Dem damaligen AFF-Präsidenten wurde Vergewaltigung vorgeworfen. Die Justiz überführte auch andere männliche Funktionäre und Angestellte des Verbandes als Täter. Die AFF reagierte, indem sie die Spielerinnen zum Stillschweigen verpflichtete. Khalida Popal war es, die den Skandal damals aus dem dänischen Exil öffentlich machte. Die Fifa musste handeln, der AFF-Präsident wurde gesperrt.

Die Diskriminierungen, die Erfahrung von Sexismus und Gewalt sowie die Flucht im August 2021 haben die afghanischen Fußballerinnen stärker zusammen gebracht. "Der Kern unseres Teams ist wei­terhin die Nationalmannschaft", sagt Torhüterin Fatima Yousufi. Nur, dass die Spielerinnen nun in einer australischen Frauenliga kicken und sich mit Teams messen müssen, die Namen tragen wie Alphington Park Oval oder Kevin Bartlett Reserve. Früher ging es gegen andere Nationalteams, und gegen Pakistan, Katar und Kirgisistan gelangen sogar Siege.

Martin Krauß ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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