Fußball-WM: Katar und die FIFA müssen Arbeitsmigrant*innen entschädigen!

Zwei Menschen in Arbeitskleidung mit gelben Warnwesten auf einer Baustelle für ein Stadion. Ihre Gesichter sind verhüllt.

Für die Errichtung der Infrastruktur der Fußball-WM 2022 in Katar werden seit Jahren Baustellenarbeiter*innen aus südasiatischen und afrikanischen Ländern ausgebeutet.

Am 18.Dezember 2022 ging die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zu Ende. Vor und während der WM haben wir die Aufmerksamkeit der Sportveranstaltung genutzt, um auf die Menschenrechtsverletzungen in Katar aufmerksam zu machen, die wir seit vielen Jahren untersuchen und dokumentieren. Und wir haben die FIFA sowie die katarische Regierung gemeinsam mit anderen Organisationen, Gewerkschaften und Fangruppen aufgefordert, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden. Trotz des großen öffentlichen Drucks, der dadurch entstanden ist, sind sie dieser Verantwortung bisher nicht gerecht geworden!

Mit unserer globalen Petition an die FIFA und Katar forderten wir einen Entschädigungsmechanismus für Arbeitsmigrant*innen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, und ein "Zentrum für Arbeitsmigrant*innen", in dem sie unter anderem Rechtsberatung bekommen.

Wir haben die Petition Ende Februar 2023 geschlossen, um sie im März vor dem FIFA-Kongress übergeben zu können. Deutschlandweit haben über 20.000 Menschen unterschrieben.

Vielen Dank an alle, die sich beteiligt haben!

Hintergrundinformationen

Vom 20. November bis 18. Dezember 2022 fand die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar statt. Mit der Vergabe der WM wurden hunderttausende ausländische Arbeitskräfte zusätzlich ins Land geholt. Mittlerweile machen Arbeitsmigrant*innen rund 90 Prozent der Bevölkerung des Emirats aus. Sie kamen beim Bau der Infrastruktur des Sportevents zum Einsatz sowie im Sicherheitssektor, im Hotel- und Gaststättengewerbe – oftmals unter ausbeuterischen und missbräuchlichen Arbeitsbedingungen.

Vor diesem Hintergrund forderten wir bessere Bedingungen für Arbeitsmigrant*innen in Katar. Konkret setzten wir uns dafür ein, dass Arbeitsmigrant*innen, deren Rechte im Zusammenhang mit der Fußball-WM verletzt wurden, von der FIFA und Katar entschädigt werden und ein "Zentrum für Arbeitsmigrant*innen" langfristig etabliert wird, in dem sie sich u.a. über ihre Rechte informieren können.

Wir konnten bereits im September 2022 einen ersten Erfolg der Kampagne verbuchen: Der DFB schloss sich eindeutig und öffentlich unseren Forderungen an, nachdem wir ihn nachdrücklich dazu aufgefordert hatten.

Gleichzeitig gilt, dass die Arbeitsrechtsverletzungen in Katar andauern und die Realisierung des Entschädigungsmechanismus und des Zentrums für Arbeitsmigrant*innen weiterhin ausstehen. Verantwortlich für die Umsetzung dieser konkreten Forderungen sind die FIFA und die katarische Regierung. An sie richtete sich deshalb unsere Petition.

Zeit für gerechte Arbeitsbedingungen in Katar

Die Arbeit von Menschenrechtler*innen und Gewerkschafter*innen hatte erste Erfolge und Katar hat in den letzten Jahren zahlreiche positive Reformen auf den Weg gebracht: So wurde ein Mindestlohn eingeführt, ein Fonds zur Erstattung von nicht ausbezahlten Löhnen eingerichtet, eine Schlichtungsstelle gegründet sowie "Gemeinsame Komitees" eingeführt. Das Land hat zwei wichtige internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert. Doch vieles blieb unverändert. Die Kafala, ein Vormundschaftssystem, das Menschen ihren Arbeitgeber*innen ausliefert, ist nicht vollständig abgeschafft worden. Die Auszahlung des Mindestlohns von umgerechnet 247 Euro im Monat erfolgt oft weiterhin unregelmäßig, verspätet oder gar nicht; Reisepässe werden nach wie vor von Arbeitgeber*innen einbehalten. Arbeitsmigrant*innen ist es weiterhin per Gesetz untersagt, Gewerkschaften zu gründen. Ein Recht auf Kollektivverhandlungen oder ein Streikrecht gibt es nicht.

Schlimmer noch: Nach hoffnungsfrohen Anfängen rudert Katar zurück. Im Februar 2021 empfahl der Schura-Rat, einige neu eingeführte Rechte, wie das Recht, den Arbeitsplatz wechseln und ohne Genehmigung des Arbeitgebers das Land verlassen zu können, wieder zurückzunehmen. Innerhalb der katarischen Wirtschaft wächst Widerstand gegen die Reformen aus Sorge, Einfluss und Profitmöglichkeiten zu verlieren.

Wir fordern: Arbeitsmigrant*innen, deren Rechte im Zusammenhang mit der Fußball-WM verletzt wurden, müssen entschädigt werden.

Die Fußball-WM wäre ohne die Arbeit unzähliger Arbeitsmigrant*innen nicht möglich. Trotz begrüßenswerter Reformschritte erlitten und erleiden zahllose Arbeiter*innen immer noch Missbrauch und Ausbeutung. Amnesty International setzt sich weiterhin für die vollständige Umsetzung der Reformen ein. Natürlich macht das aber den bereits begangenen Missbrauch nicht ungeschehen. Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen an Arbeitsmigrant*innen sind seit Jahren dokumentiert – von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, die Zwangsarbeit gleichkommen bis hin zu nicht untersuchten Todesfällen, die mutmaßlich auf gefährliche Arbeitsbedingungen zurückzuführen sind. 

Weder werden diese Menschenrechtsverletzungen geahndet, noch erhalten Betroffene oder ihre Angehörigen eine Entschädigung.

Katar unterliegt einer klaren Verpflichtung zur Verhinderung von Menschenrechtsverstößen und zur Entschädigung von Personen, die Ausbeutung erfahren. Doch auch die FIFA hat eine wichtige Verantwortung, an die wir den Verband erinnern müssen. Indem die FIFA Katar den Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft erteilt hat, ohne dies an Bedingungen zum Schutz der Arbeitsrechte zu knüpfen, hat der Fußballverband zu erheblichen Menschenrechtsverstößen beigetragen – und dies gilt nicht nur für Menschen, die an den offiziellen FIFA-Stätten arbeiten. Gemäß internationaler Normen ist die FIFA in der Verantwortung, Wiedergutmachung für vergangene Arbeitsrechtsverstöße zu leisten, die in irgendeiner Weise mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Verbindung stehen. Hierunter fallen Arbeiter*innen, die an Bau und Instandhaltung der Stadien, Transportinfrastruktur, Unterkünften und anderen turnierbezogenen Projekten beteiligt sind.

Die FIFA und Katar müssen jetzt zusammenarbeiten, um einen umfassenden Entschädigungsmechanismus für Missbrauchsvorfälle seit 2010 im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2022 aufzusetzen. Ein solcher Mechanismus muss gemeinsam mit Interessengruppen, einschließlich der Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaften, auf partizipative Weise eingerichtet und umgesetzt werden. Der Entschädigungsmechanismus sollte den transparenten und barrierearmen Zugang zu zeitnahen Entschädigungen für Missbrauch an Arbeiter*innen – von denen viele nicht mehr in Katar leben werden - und ihre Familien ermöglichen. Er sollte alle Arbeiter*innen umfassen, die direkt bei WM-Projekten wie Stadien, Trainingsstätten und von der FIFA akkreditierten Hotels beschäftigt waren/sind, sowie diejenigen, die an einem der vielen Projekte arbeiten, die für die Vorbereitung und Durchführung des Turniers erforderlich sind.

Reformen stärken und ausbauen

Während dieser Prozess darauf abzielen sollte, die in Katar vorhandenen Entschädigungsmechanismen, wie die des Arbeitsministeriums und des Obersten Komitees, zu stärken, wird er wahrscheinlich auch die Entwicklung zusätzlicher Mechanismen erfordern, die auf frühere Missstände abgestimmt sind.

Der Umfang der wahrscheinlich erforderlichen Entschädigungszahlungen (z. B. Zahlungen an die Familien von Verstorbenen und Entschädigung der Arbeiter*innen für nicht gezahlte Löhne und Vermittlungsgebühren) erfordert sowohl von Katar als auch von der FIFA erhebliche Investitionen, die im Verhältnis zu den erlittenen Menschenrechtsverletzungen stehen. Während die endgültige Höhe der Entschädigungssumme im Rahmen eines partizipativen Prozesses und einer unabhängigen Bewertung festgelegt werden muss, sollte die FIFA einen Betrag von mindestens 440 Millionen US-Dollar, welcher der Höhe des Preisgeldes entspricht, bereitstellen, der in Fonds zur Unterstützung der Wiedergutmachung investiert werden soll. 

Zentrum für Arbeitsmigrant*innen

In Ermangelung von Gewerkschaften und der damit fehlenden Anlaufstelle für Arbeitsmigrant*innen, die Missbrauch ausgesetzt sind, sollte Katar auch die Einrichtung des vorgeschlagenen Zentrums für Arbeitsmigrant*innen unterstützen. Dieses würde einen "sicheren Ort" für Arbeitsmigrant*innen darstellen, an dem sie sich über ihre Rechte informieren und Rechtsbeistand und -beratung in Anspruch nehmen könnten. Ein solches Zentrum könnte eine Schlüsselrolle bei der Aufarbeitung früherer Missstände spielen und als Ankerpunkt für Arbeitsmigrant*innen fungieren, wodurch die Etablierung und Durchführung des vorgeschlagenen Aufarbeitungsprozesses und Entschädigungsmechanismusses unterstützt würde. 

Katar muss gemeinsam mit der FIFA handeln, um:

  • öffentlich anzuerkennen, dass vergangener Missbrauch im Zusammenhang mit der WM 2022 wieder gut gemacht werden muss, und ein umfassender Entschädigungsmechanismus eingeführt werden muss, durch den alle Arbeitsmigrant*innen, die aufgrund ihrer Beteiligung an Arbeiten im Zusammenhang mit der WM geschädigt wurden, vollständig und angemessen entschädigt werden; und
  • die Einrichtung eines Zentrums für Arbeitsmigrant*innen zu unterstützen, um die Arbeiter*innen während ihrer Zeit in Katar zu unterstützen.

Unterzeichne jetzt die Petition an FIFA und Katar!