Amnesty Journal 24. März 2017

Straflos in die Freiheit

Unterstützer des neugewählten Präsidenten Adama Barrow feiern in Serrekunda dessen Amtseid, Januar 2017

Unterstützer des neugewählten Präsidenten Adama Barrow feiern in Serrekunda dessen Amtseid, Januar 2017

In Westafrika gab es seit 2012 mehrere friedliche ­Machtwechsel – zuletzt in Gambia. Für ihre Vergehen zur Rechenschaft gezogen werden die abgewählten Herrscher jedoch nicht.

Von Katrin Gänsler, Cotonou

Es ist ein Bild, wie man es selten von westafrikanischen Politikern sieht: Adama Barrow strahlt über das ganze Gesicht. Der neue Präsident Gambias wirkt sehr erleichtert über das Finanzpaket der Europäischen Union in Höhe von 225 Millionen Euro, das ihm der EU-Kommissar für Entwicklungszusammenarbeit, Neven Mimica, Mitte Februar zugesichert hat.

Das Geld für den laut Barrow "praktisch bankrotten" Staat, mit dem Jobs geschaffen und kaputte Straßen repariert werden sollen, ist die Brüsseler Belohnung für Gambias Rückkehr zur Demokratie und einen am Ende doch noch friedlich verlaufenen Machtwechsel. Barrow bedankte sich und kündigte zugleich an, das Land mit seinen zwei Millionen Einwohnern werde die Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag nicht beenden. Damit hatte sein Vorgänger Yahya Jammeh kurz vor seiner Wahlniederlage gegen Barrow gedroht.

Jammeh hatte sich 1994 als junger General an die Macht geputscht und den fast völlig vom Senegal umschlossenen Staat 22 Jahre lang mit harter Hand regiert. Er ließ zahlreiche Oppositionelle und Journalisten inhaftieren und die Todesstrafe nach Jahrzehnten wieder vollstrecken. Mit merkwürdigen Ansichten sorgte er für eine Mischung aus Gelächter und Angst. Aids etwa wollte er mit Kräutern heilen. Migranten warf er vor, sie würden sich nicht um ihr Heimatland kümmern. Aus dem vor allem bei britischen Urlaubern beliebten Badeparadies machte er eine islamische Republik. Doch die Proteste von Menschenrechtsorganisationen blieben ohne politische Folgen – bis Dezember vergangenen Jahres.

Als nach der Auszählung der Präsidentenwahl vom 1. Dezember der weitgehend unbekannte Oppositionskandidat Barrow vorne lag, sorgte das in den westafrikanischen Nachbarländern für Euphorie: Ein kleines Land, für das sich nie jemand interessiert hatte, sollte zum Vorbild für eine Rückkehr zur Demokratie werden – und ein 51-jähriger Immobilienhändler, der zuvor als Wachmann in London gearbeitet hatte, zum Hoffnungsträger.

Der gleichaltrige Machthaber Jammeh, der laut unabhängiger Wahlkommission nur 39,6 Prozent der Stimmen erhielt, gratulierte seinem Nachfolger am Telefon mit den Worten: "Ich habe keine bösen Gedanken – alles Gute!" Ähnliche Telefonate hatte es in den Jahren zuvor bereits im Senegal, in Nigeria sowie in ­Benin gegeben.

Ausgerechnet im Senegal hatte Westafrikas Trend zu friedlichen Machtwechseln 2012 begonnen, als der damals 85-jährige Präsident Abdoulaye Wade seinem Herausforderer Macky Sall unterlag. Weil Wade bis zur Stichwahl kämpferisch und verbissen auf einer Fortführung seiner Herrschaft beharrt hatte, galt es als Sensation, dass er dem Oppositionskandidaten der Alliance pour la République, Sall, nur wenige Stunden nach seiner Niederlage telefonisch gratulierte.

Kurz nach dem Amtseid des neugewählten Präsidenten Adama Barrow versammeln sich seine Anhänger in Serrekunda, Januar 2017

Kurz nach dem Amtseid des neugewählten Präsidenten Adama Barrow versammeln sich seine Anhänger in Serrekunda, Januar 2017

Auch Nigerias Präsident Goodluck Jonathan griff drei Jahre später zum Telefon, um Muhammadu Buhari alles Gute zu wünschen. Kaum einer der 186 Millionen Nigerianer hatte mit einem Wahlsieg des früheren Generals gerechnet. Nigeria wies seit der Unabhängigkeit 1960 eine unrühmliche Tradition von Staatsstreichen auf, hatte aber nie einen friedlichen Machtwechsel erlebt.

Auch in der Elfenbeinküste dauerte der Machtkampf zwischen den beiden rivalisierenden Präsidenten Laurent Gbagbo und Alassane Ouattara mehr als vier Monate, ehe er 2011 nach mehr als 3.000 Toten beendet werden konnte. Spezialeinheiten der französischen Armee rückten ein, um Gbagbo am 11. April 2011 festzunehmen.

Für Goodluck Jonathan ging der Machtverlust glücklicher aus: Erst im Februar hielt der 59-Jährige im US-Kongress eine Rede; für die Afrikanische Union (AU) ist er als Wahlbeobachter im Einsatz. Anders als sein früherer Sicherheitsberater Sambo Dasuki, der wegen der Veruntreuung von zwei Milliarden US-Dollar vor Gericht steht, ist Jonathan inzwischen zum geachteten Elder Statesman aufgestiegen und bisher für keinerlei Vergehen seiner Amtszeit zur Rechenschaft gezogen worden.

Für diejenigen Nigerianer, die auf Rechenschaftspflicht und Rechtsstaatlichkeit pochen, ist das ein beunruhigendes Zeichen, ebenso wie für Bewohner anderer Teile Afrikas, die sich von den demokratischen Machtwechseln im Westen ihres Kontinents eine Signalwirkung erhoffen.

Unklar ist außerdem, inwieweit sich Wade in Dakar und ­Jonathan in Abuja für ihre Amtsverzichte sozusagen selbst entschädigten. Die nigerianische Antikorruptionsorganisation "Integrity" geht davon aus, dass Jonathans Demokratische Volkspartei vor der Wahl 2015 für Stimmenkauf große Summen staatlicher Gelder erhielt. Und das, obwohl Nigeria in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten steckt, bei einer Inflation von mehr als 18 Prozent.

Im Senegal indes waren vor den Wahlen vor fünf Jahren zwölf Menschen bei Demonstrationen getötet worden – ausgerechnet in dem als "Hort des Friedens" bekannten Land. Angehörige der Jugendbewegung "Y’en a marre" ("Wir haben die Nase voll") und andere Regimekritiker hatten sich in Dakar wochenlang Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert, die hart durchgriff. Wie groß der Druck der wütenden Jugend war, dürfte selbst dem schließlich abgewählten Wade klar gewesen sein: Im Senegal sind knapp zwei Drittel der 14,3 Millionen Einwohner jünger als 25 Jahre.

Den Zorn der Jugend hatte auch Yahya Jammeh in Gambia zu spüren bekommen. Denn in dem von Senegal eingezwängten Kleinstaat lebt eine ähnlich frustrierte junge Generation wie in dem großen Nachbarland. 2016 stammten vier Prozent aller Migranten und Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa einreisten, aus Gambia – das damit den fünften Platz unter den afrikanischen Herkunftsländern einnahm, noch vor den ungleich bevölkerungsreicheren Staaten Nigeria und Elfenbeinküste. Fluchtursache ist neben der Perspektivlosigkeit vor allem die Wut über das politische Regime.

Gambianer verfolgen die Amtseinführung ihres neuen Präsidenten Adama Barrow im Exil in Dakar, Serrekunda, Januar 2017

Gambianer verfolgen die Amtseinführung ihres neuen Präsidenten Adama Barrow im Exil in Dakar, Serrekunda, Januar 2017

Wenige Tage nach seiner Wahlniederlage vollzog Jammeh im Dezember 2016 eine Kehrtwende, zweifelte das Ergebnis an und löste damit einen bedrohlichen Machtkampf aus. Anlass für den Sinneswandel könnte eine Äußerung der heutigen Vizepräsidentin Fatoumata Jallow-Tambajang gewesen sein, die wenige Tage nach dem Wahlsieg Barrows ankündigte, man werde Jammeh die Ausreise verweigern und ihn für mutmaßliche Verbrechen zur Rechenschaft ziehen.

Dass ihm kurze Zeit später die als Vermittlerin eingeschaltete Präsidentin Liberias und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf nicht ins Land ließ, brachte die mächtige Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gegen ihn auf. Eine Militärintervention sei eine "mögliche Lösung", ließen ECOWAS-Vertreter durchblicken – Soldaten seien bereits in Guinea-Bissau und Mali stationiert und bis zu 7.000 Mann in Kürze mobilisierbar. Jammeh wurde ein Ultimatum bis zum 19. Januar 2017 gesetzt, dem Tag der offiziellen Amtseinführung Barrows.

Doch die militärische Konfrontation blieb aus – nicht zuletzt deshalb, weil sich im Januar Jammehs langjähriger Gefolgsmann, Armeechef Ousman Badjie, von ihm abwandte. Der ECOWAS-Führung war damit klar, dass sie keine Gegenwehr zu befürchten hatte – die angesichts der nur 2.000 Soldaten umfassenden gambischen Armee ohnehin gering ausgefallen wäre.

Auch der angebliche Versuch Jammehs, Söldner aus Sierra Leone und Liberia anzuwerben, hätte daran nichts Wesentliches geändert. Für die ECOWAS, der mitunter fehlende Handlungsbereitschaft nachgesagt wird, bot der Konflikt in Gambia eine gute Möglichkeit, genau das zu widerlegen.

Treibende Kraft hinter dem Machtwechsel in Banjul dürfte dabei die senegalesische Regierung Macky Salls gewesen sein, die ihre wirtschaftlichen Interessen durch die Jammeh-Diktatur zunehmend bedroht sah. So hatte der Machthaber 2016 die Gebühren für senegalesische Lastwagen zunächst um das Hundertfache erhöht – und dann die Grenze ganz geschlossen. Für Fahrer in die südsenegalesische Provinz Casamance bedeutete das lange, kostspielige Umwege, ehe die Übergänge wieder geöffnet wurden. Der Senegal war es auch, der die wirtschaftlichen Folgen der Flucht von mehr als 45.000 Gambiern, die der politischen Krise zu entkommen suchten, am deutlichsten zu spüren bekam.

Ende Januar flog Jammeh nach Äquatorialguinea ins Exil. Zähe Verhandlungen der ECOWAS, die mit der Entsendung von Soldaten auf gambisches Staatsgebiet den Druck erhöht hatte, machten den am Ende friedlichen Abgang des Langzeitherrschers möglich. Eine Amnestie soll es für Jammeh offiziell zwar nicht geben. Doch eine gemeinsame Erklärung von ECOWAS, AU und UNO, in der gefordert wurde, Jammehs "Würde" und seine Rechte zu respektieren, läuft im Prinzip auf dasselbe hinaus. ­

Einen Hoffnungsschimmer immerhin gab es im Februar: Da gab die Polizei bekannt, dass der noch unter Jammeh eingesetzte Leiter des Inlandsgeheimdienstes National Intelligence Agency (NIA), Yankuba Badjie, verhaftet wurde. Der von Barrow in State Intelligence Service (SIS) umbenannte Geheimdienst war für die Bespitzelung und Verfolgung zahlreicher Oppositioneller berüchtigt. Außerdem erhob die Justiz Anklage gegen 25 Mitglieder von Jammehs Partei, weil diese Anhänger Barrows angegriffen haben sollen.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe April / Mai 2017 des Amnesty Journals erschienen.

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