Amnesty Journal Nicaragua 06. April 2010

Die Ausdauernde

Wer für die Menschenrechte eintritt, der schafft sich Feinde. Und immer wieder werden die Freunde von heute zu den Feinden von morgen. Kaum jemand weiß das besser als Vilma Núñez. Einst kämpfte die Nicaraguanerin in der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) gegen den Diktator Anastasio Somoza, inzwischen muss sie sich gegen Angriffe ihrer ehemaligen Gefährten verteidigen.

Sie sei eine Vaterlandsverräterin, erklären einstige Genossen, die das mittelamerikanische Land wieder ­regieren. Im November 2008 musste Amnesty International, wie acht Jahre zuvor schon einmal, eine Eilaktion starten, um die streitbare Juristin zu schützen. Diesmal war sie auf offener Straße von FSLN-Aktivisten angegriffen worden.

Geboren in Chontales, einem kleinen Dorf im Landesinneren, wächst Núñez als Tochter eines Politikers auf, der erklärter Gegner Somozas ist. "Jedes Mal, wenn es ein politisches Problem gab, haben sie meinen Vater zu Hause abgeholt", erinnert sie sich. Schon damals lernt sie, wie man Inhaftierten das Essen ins Gefängnis schmuggelt. 1959 entgeht sie knapp einem von der Nationalgarde verübten Massaker.

Zwanzig Jahre später wird die mittlerweile studierte Juristin als FSLN-Mitglied verhaftet und gefoltert. "Obwohl sie mich fünf Tage lang verhört haben – ich war nackt, hatte nur eine Kapuze über dem Kopf – haben sie nichts aus mir herausbekommen", erinnert sich Núñez. Sie ist gerade vier Monate in Haft, als die Sandinisten im Juli 1979 den Diktator stürzen. Damit beginnt für die Anwältin ein neues Leben: Die Frente, wie die FSLN genannt wird, ernennt sie zur Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs. Gegen ihren Willen wird sie 1987 in die staatliche Menschenrechtskommission versetzt. So nimmt sie erstmals ­bewusst wahr, dass auch Sandinisten Gefangene misshandeln. "Rechtsstaatliche Strukturen waren für sie Relikte der Bürgerlichkeit, die man überwinden müsse", sagt Núñez.

Im Februar 1990 verliert die FSLN die Regierungsmacht. Núñez gründet das unabhängige Menschenrechtszentrum CENIDH. Wie viele ihrer Weggefährten steht sie der Parteiführung inzwischen kritisch gegenüber. Längst hat sich in der Frente Korruption breit gemacht, in internen Machtkämpfen setzt sich der für seinen autoritären Stil bekannte Daniel Ortega immer mehr durch. Kritik an Ortega kommt vor allem aus der Frauenbewegung. Als dessen Stieftochter Zoilamérica ihn 1998 beschuldigt, sie über Jahre hinweg vergewaltigt zu haben, vertritt Núñez die junge Frau vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof. "Daraufhin hat man mir in der Frente alle ­Türen zugeschlagen", erzählt sie. Dass sich Ortega dann im Wahlkampf für das Verbot von Abtreibungen selbst bei Gefahr für das Leben der Mutter stark macht, bestätigt nur noch ihre Ablehnung gegenüber dem Politiker.

Dennoch hat Vilma Núñez ein wenig Hoffnung, als die FSLN 2006 wieder die Regierung übernimmt. Schließlich verspricht die Frente Arbeitsplätze, Schulen sowie eine bessere Gesundheitsversorgung. Dafür kämpfen auch CENIDH sowie die 1.500 Freiwilligen, die dort mittlerweile ausgebildet wurden. So arbeitet das Zentrum zum Beispiel auch für die Überwindung der Armut auf dem Land. Doch die Sandinisten enttäuschen Núñez erneut: "Die Programme wurden nur benutzt, um jene zu unterstützen, die mit der FSLN verbunden sind."

Für Núñez selbst hat sich die Situation seit dem Wahlsieg der FSLN verschärft. Im letzten Herbst erfährt sie, dass sie auf einer Schwarzen Liste steht und ihr Leben gefährdet ist. "Sie behandeln uns wie Gegner, die man eliminieren muss", sagt die Anwältin. Wie sie das alles wegsteckt? "Als die Liberalen und die Konservativen gegen mich vorgingen, habe ich das gut verkraftet. Dass mich aber jene angreifen, mit denen ich soviel ­erlebt habe, macht mich noch immer sehr traurig." Ihre Arbeit aufzugeben kommt für die 70-Jährige trotzdem nicht in Frage. "Mich werden sie nicht zum Schweigen bringen."

Text: Wolf-Dieter Vogel

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