Amnesty Journal Kambodscha 10. Februar 2009

Langer Prozess

In Kürze beginnt das Völkermord-Tribunal in Kambodscha, um die Verbrechen der Roten Khmer aufzuklären. Dabei dürfen zum ersten Mal in einem solchen Verfahren Opfer als Nebenkläger auftreten.

Fast drei Jahrzehnte nach dem Ende des Schreckensregimes der Roten Khmer hat in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh die Aufarbeitung der düsteren Vergangenheit begonnen. Für das internationale Tribunal ist es alles andere als ein leichtes Unterfangen, denn immer wieder tauchen neue Hindernisse auf, die den Fortgang fraglich erscheinen lassen. So fiel auch die Amtsübergabe der Chinesin Michelle Lee an den Norweger Knut Rosandhaug als internationalem Direktor im Juli vergangenen Jahres in eine Zeit gespannter Erwartungen: Würde es dem internationalen Gerichtshof gelingen, seine finanziellen Probleme zu überbrücken, die Korruption einzudämmen und die Ermittlungen angesichts des schlechten Gesundheitszustandes der fünf verhafteten Führer des Terror-Regimes der Roten Khmer zu beschleunigen?

Seit Beginn des so genannten hybriden Tribunals 2006, an dem kambodschanische und internationale Juristen beteiligt sind, ist der Eindruck eines schwerfälligen, intransparenten Apparates entstanden, der wenig Erfolge aufzuweisen hat. Zudem war der mühsam zusammengetragene Etat in Höhe von 56,3 Millionen Dollar bereits im April 2008 aufgebraucht. Der schlechte Eindruck aber könnte trügen: Es ist gut möglich, dass weitere Verdächtige festgenommen werden. Dann wären die bisherigen Geberländer verpflichtet, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen.

"Bruder Nummer eins", wie er genannt wurde, muss indes keinen irdischen Richter mehr fürchten. Der Massenmörder Pol Pot, dessen Terrorregime vor dreißig Jahren fast zwei Millionen Kambodschanern das Leben kostete, ist seit über zehn Jahren tot. Im Februar oder März soll der erste Prozess gegen den früheren Direktor des Foltergefängnisses Tuol Sleng, Duch, beginnen. Etwa 15.000 Menschen wurden von 1975 bis 1979 hier durchgeschleust, gefoltert und dann auf den "Killing Fields" vor den Toren Phnom Penhs auf grausamste Weise ermordet. Der Monsun wäscht heute noch Gebeine aus dem Boden.

Auf ihren Prozess warten auch der frühere Außenminister Ieng Sary und seine Frau Ieng Thirith, ehemals Sozialministerin. Hinzu kommen der Chefideologe der Khmer Rouge Nuon Chea und der frühere Staatspräsident Khieu Samphan, der immer wieder wegen Herzproblemen ins Krankenhaus gebracht werden muss. Alle, bis auf den jüngeren Duch, sind um die 80 Jahre alt. Sie erfanden den Steinzeitkommunismus, vertrieben die Menschen aus den Städten, ermordeten Intellektuelle und Mönche, schafften das Geld ab und sprengten Banken in die Luft.

Dabei ist es kein Geheimnis, dass in der derzeitigen Regierung von Ministerpräsident Hun Sen noch Khmer Rouge sitzen, die das Tribunal fürchten. Auch der amtierende Parlamentspräsident Heng Samrin fungierte unter Pol Pot als hoher Kader. Als er bei ihm in Ungrade fiel, setzte er sich nach Vietnam ab. Immer wieder werden in Phnom Penh auch zwei hochrangige Offiziere als frühere verantwortliche Khmer Rouge genannt. Der Kambodscha-Experte und Historiker Steve Heder rechnet sie dem engeren Führungszirkel der Roten Khmer zu. Von großer Brisanz sind Gerüchte, auch der Außenminister im Kabinett von Ministerpräsident Hun Sen habe unter den Roten Khmer ein Foltergefängnis geleitet.

Nach Einschätzung der Sprecherin des Tribunals, Helen Jarvis, werden fünf bis zehn Personen angeklagt. Im Vorfeld des Prozesses wurden zwei Kriterien für die Auswahl festgelegt: Im Visier des Tribunals stehen die Anführer der Roten Khmer und alle, die schwere Verbrechen zu verantworten haben.

Eine weitere Herausforderung für das Tribunal besteht im Umgang mit den bisher erlassenen Amnestien. Das prominenteste Beispiel ist der ehemalige Außenminister Ieng Sary, der 1996 von der kambodschanischen Regierung amnestiert wurde, weil er sich mit seinen Guerillakämpfern rechtzeitig von Pol Pot losgesagt hatte. Dabei ist er einer der Hauptverantwortlichen der Mordmaschine: 148 Diplomaten und Elitekader mussten auf seine Anweisung hin nach Kambodscha zurückkehren. Sie starben anschließend im Foltergefängnis Tuol Sleng.

Zu den positiven Entwicklungen des Tribunals gehört, dass Opfer und Zeugen des grausigen Geschehens in den Prozess miteinbezogen werden. Der Koordinator des Zivilen Friedensdienstes beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Kambodscha, Andreas Selmeci, räumt allerdings ein, dass die Rolle der Opfer vernachlässigt worden sei. Damit das Gerichtsverfahren zu Gerechtigkeit und vielleicht auch zur Versöhnung im Land beitragen kann, "müssen die Opfer angesprochen werden". Immerhin hätte ungefähr ein Drittel der kambodschanischen Bevölkerung Angehörige unter dem Regime verloren.

Der DED hat vor einigen Monaten beschlossen, die Opfer des Rote-Khmer-Regimes zu unterstützen. In enger Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation Adhoc ging es zunächst darum, die Rechtsberatung auszubauen und Opfern wie Zeugen dabei zu helfen, sich vor Gericht Gehör verschaffen zu können. Als weiteren wichtigen Schritt holte der DED die auf internationales Recht spezialisierte Berliner Anwältin Silke Studzinsky nach Phnom Penh. Mit 1,5 Millionen Euro unterstützte die Bundesregierung die "Victims Unit" (Opferabteilung) des Kambodscha-Tribunals in Phnom Penh.

Die Anwältin, die zunächst für zwei Jahre bleibt, ist die einzige Juristin, die die Nebenkläger vertritt. Bisher liegen rund 2.800 Anträge auf Nebenklägerschaft vor. Ende des Jahres war es gelungen, mit Hilfe der Opferabteilung ein besonders dunkles Kapitel des Pol-Pot-Regimes öffentlich zu machen: Schätzungen gehen davon aus, dass es damals rund 200.000 Zwangsehen gegeben hat. Damit habe das Regime das bevölkerungspolitische Ziel verfolgt, durch mehr "Kinder für die Revolution" die Bevölkerungszahl zu erhöhen, erklärt Studzinsky. Die Zulassung von Nebenklägern sei ein Novum. "Bei internationalen Tribunalen kam es noch nie vor, dass Opfern von schweren Verbrechen ein Parteistatus gewährt wurde und dass ihnen dieselben Rechte wie der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft zugebilligt wurden", erklärte die Anwältin.

Deswegen könnte die Anklage sogar noch erheblich ausgeweitet werden. Da die Ermittlungen noch laufen, ist es offen, ob es noch weitere Beschuldigte geben wird. Und je mehr Opfer sich zu Wort melden, desto stärker wird der Druck auf das Tribunal, den Kreis der Verantwortlichen auszuweiten.

Von Robert Luchs.
Der Autor ist freier Journalist.

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