Amnesty Journal 10. Februar 2009

"Dem Publikum mehr zutrauen"

Menschenrechte im Kino sind eine heikle Ange­legenheit: Gerade die letzte Berlinale hat gezeigt, dass solche Filme zu oft moralisierend und dogmatisch geraten. Dass es jedoch auch anders geht, beweisen zwei preisgekrönte Filme aus den vergangenen Jahren: "Paradise Now" und "Waltz with Bashir". Ein Gespräch mit dem Produzenten Gerhard Meixner.

Ihre Firma "Razor Film" hat zwei Filme mit menschenrechtsbezogenen Themen produziert, die sowohl beim Publikum als auch bei Kritikern erfolgreich waren: neben dem Golden Globe der Amnesty-Menschenrechtsfilmpreis für "Paradise Now" und nun auch der Golden Globe für "Waltz with Bashir". Wie stellt man das an?
Wenn man das wüsste, würde man nur noch erfolgreiche Filme machen! Das ist nicht planbar. Man gibt immer sein Bestes, aber man kann nicht wissen, wie ein Film bei den Kritikern ankommt. Und mindestens genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger: Wie kommt er beim Publikum an? Man muss versuchen, ein Projekt im Laufe einer Produktion nicht durch zu viele Kompromisse zu verwässern. Aber auch das klappt nicht immer.

Vielen Filmen, die das Menschenrechtsbanner vor sich her tragen, wird vorgeworfen, sie seien zu sentimental, zu moralisierend, zu dogmatisch…
Kühl und distanziert sollten diese Filme aber auch nicht sein. Der große Vorteil des Kinos liegt ja darin, dass es den Zuschauer auf eine emotionale Weise in eine Geschichte oder auf eine Reise mitnehmen kann. Und ihm dadurch ein Fenster öffnet, eine andere Perspektive gibt. Eine, die er noch nicht kennt, oder über die er noch nicht nachgedacht hat. Ein Film soll weder dogmatisch noch pädagogisch sein, aber er sollte etwas in den Köpfen der Menschen bewirken. Wenn ein Film vorgefertigte Lösungen anbietet, finde ich das allerdings schwierig. Der Zuschauer soll schließlich selber mitdenken und für sich eine Antwort finden.

Die Stärke sowohl von "Paradise Now" als auch von "Waltz with Bashir" liegt in ihrer Radikalität, die im einen Fall eher politisch, im anderen Fall eher ästhetisch angelegt ist.
Bei "Paradise Now" ist es ein Tabubruch: In den Kopf eines "Terroristen" – oder eines "Freiheitskämpfers", "Selbstmordattentäters", wie auch immer man die Figur nennen möchte –, zu schlüpfen, ist etwas, was es vorher in dieser Form noch nicht gegeben hat. Bei "Waltz with Bashir" ist es neben der außergewöhnlichen Geschichte die Machart, die für einen Dokumentarfilm so besonders ist.

Gilt "Razor Film" jetzt als Experte für Nahost-Filme?
Wir bekommen seit "Paradise Now" viele politische Stoffe angeboten, gerade aus dieser Region. Wir haben bislang aber meist gezögert, uns zu beteiligen, weil keiner der Stoffe für uns überzeugend genug war, sowohl in der Aussage, als auch in der Form. "Waltz with Bashir" war natürlich die Ausnahme. Dieser Film ist nicht nur ästhetisch, sondern auch von der Geschichte her spannend. Wie er mit der Frage der Schuld umgeht, aus der Perspektive des Soldaten, der in diesen Konflikt hineingeschickt wird, haben wir vorher noch nicht gesehen.

Gab es spezifische Schwierigkeiten bei der Produktion dieser Filme?
Bei den Dreharbeiten von "Paradise Now" gab es größere Probleme. Ursprünglich wollten wir im Gazastreifen drehen, aber kurz zuvor wurden zwei wichtige Hamas-Führer von Israel liquidiert. Gaza war in Aufruhr, und es wurde viel zu riskant, dort zu drehen. Das war schon in der Vorbereitung. Wir haben uns dann nach Nablus im Westjordanland orientiert, aber auch dort gab es Probleme, weil nicht alle Gruppen gut fanden, was wir dort machten.

Gab es eine bedrohliche Situation?
Ja. Zum einen hat die israelische Armee in dieser Zeit immer wieder Aktionen im Westjordanland durchgeführt, unter anderem mit Raketenbeschuss und auch in der unmittelbaren Nähe der Dreharbeiten. Auf der anderen Seite gab es radikalere palästinensische Gruppen, die nicht einverstanden waren, dass wir diesen Film machen. Einmal sind bewaffnete Männer ins Produktionsbüro eingedrungen und haben gefordert, dass wir sofort aufhören. Als "Pfand" haben sie ein Teammitglied für mehrere Stunden mitgenommen und festgehalten. Daraufhin haben wir den Dreh unterbrochen und versucht, über Kontakte und lokale Berater diese Probleme zu lösen. Letztlich sind wir dann nach Nazareth in Israel umgezogen.

Später, bei den Aufführungen von "Paradise Now", gab es mancherorts in Deutschland Proteste vor den Kinos. Haben Sie diese Kontroversen erwartet?
Überrascht hat es uns nicht. Uns hat die Heftigkeit der Proteste irritiert und auch die Art, wie wir und der Film an den Pranger gestellt wurden. Es wurde behauptet, der Film sei Propaganda für die Hamas. Wir wurden sogar als Antisemiten hingestellt. Dass der Film kontrovers diskutiert wird, wollten wir. Aber die Einseitigkeit der Diskussion fanden wir, ehrlich gesagt, unschön. Es ist richtig, dass Israel in diesem Film stark kritisiert wird. Aber ich finde, dass die Palästinenser noch viel mehr kritisiert werden, wenn gezeigt wird, mit was für einer Maschinerie diese Menschen zu Attentaten getrieben werden.

Wie fielen die Reaktionen in anderen Ländern aus?
Ganz anders. In den USA wurde der Film auch diskutiert, aber nicht in dieser Form. Auch in Israel selbst kam der Film ganz gut an und wurde letztlich positiv besprochen. Die beste Bestätigung für den Film waren natürlich der Gewinn des Golden Globe und die Oscar-Nominierung.

Wie lief "Waltz with Bashir" in Israel?
Der Regisseur Ari Folman war selbst überrascht, wie gut der Film quer über alle Parteien und Schichten hinweg aufgenommen wurde. Es gab eigentlich ganz wenig Kontroversen. Was nicht heißt, dass man sich mit dem Film nicht auseinandergesetzt hat. Der Unterschied liegt natürlich darin, dass der Film aus Sicht eines Israelis erzählt wird. Sehr viele Israelis haben im Wehrdienst ähnliche Erfahrungen gemacht und konnten das deshalb gut nachvollziehen. Durch den Gaza-Konflikt wird das Thema jetzt leider wieder sehr aktuell.

Wie vermarktet man solche Filme?
Was uns auffiel war, dass "Paradise Now" in Deutschland zwar oft als "wichtiger Film" beschrieben wurde, als ein Film, der ein großes Thema berührt. Weniger deutlich wurde aber gemacht, dass es ein Film ist, der spannend ist und einen emotional mitreißt. Das war in den USA zum Beispiel ganz anders. Dort wurde der Film als "political thriller" beschrieben. Die US-Journalisten haben geschrieben, dass sie gebannt in den Kinosessel versunken sind und nicht abwarten konnten, wie es weitergeht. Dort wurde das Kino-Erlebnis an sich herausgestellt. Bei "Waltz with Bashir" haben wir versucht, diesen Aspekt zu betonen: dass es ein spannender Film ist, dass er eine besondere Machart hat, dass die Animationen eine eigene Ästhetik haben.

Ein rein diskursives "Kopf-Kino" hätte keine Chance? Braucht es das Kino-Erlebnis, um die Inhalte zu transportieren?
Ich glaube, dass es nur so funktioniert. Das macht das Kino aus. Ansonsten erreicht man nicht so viele Leute, wie man erreichen möchte. Für ein rein intellektuelles Kino wären wir wohl auch nicht die Richtigen. Uns ist wichtig, dass die Geschichte und die Machart eines Films ein Publikum mitreißen können.

Und auch seine Produzenten…
Ja, wir arbeiten sehr eng mit dem Regisseur zusammen. Wir wollen richtig dabei sein und mitreden, Tipps geben. Ansonsten ist es langweilig, dann wird man zum Erfüllungsgehilfen und hat nur noch abstrakt mit dem Film zu tun. Das macht keinen Spaß, und dementsprechend würde man sich nicht so engagieren, wie man es eigentlich sollte. Dann ist man am Ende auch bereit, den Kopf für das Produkt hinzuhalten.

Oft wird versucht, das Thema Menschenrechte über Stars zu verkaufen. Ihre Filme kommen ohne große Namen aus und sind doch erfolgreich. Traut man dem Publikum zu wenig zu?
Man sollte dem Publikum auf alle Fälle mehr zutrauen und zumuten. Allerdings ist die Situation in anderen Ländern oft besser als bei uns. In Frankreich hat "Waltz with Bashir" über 500.000 Zuschauer bekommen. Warum kann das bei uns nicht auch funktionieren? Ich würde mir manchmal durchaus mehr Offenheit und mehr Risikobereitschaft beim Publikum wünschen, sich auch solchen Filmen zu stellen. Und man braucht natürlich die richtigen Partner für den Verleih, die bereit sind, etwas zu riskieren. Bei beiden Filmen ist uns das gelungen, in Zeiten der Finanzkrise wird das allerdings schwieriger werden.

Wie sieht es mit kommenden Projekten aus?
Wir planen wieder einen Film mit Hany Abu-Assad, dem Regisseur von "Paradise Now". Da sind wir noch in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung. Das wird vermutlich kein politisch kontroverser Film, aber ein Spiegel unserer Gesellschaft und unserer Zeit. Das muss es auch werden, ansonsten trifft ein Film auf kein Interesse.

Gerhard Meixner
Der studierte Medienwirtschaftler ­arbeitete bei der Senator Film­produktion, bevor er sich mit dem Filmeinkäufer Roman Paul 2002 selbstständig machte. Die beiden sind Geschäfts­führer der ­"Razor Film", einer kleinen Produktionsfirma in Berlin.

Amnesty International Filmpreis
Seit 2005 wird der Amnesty International Filmpreis auf der Berlinale vergeben, die in diesem Jahr vom 5. bis 15. Februar stattfindet. In der Amnesty-Jury waren unter anderem bisher Nina Hoss und Heike Makatsch vertreten. In diesem Jahr wird sich Pepe Danquart beteiligen. Den ersten Filmpreis erhielt "Paradise Now".

Interview: Dietmar Kammerer, Filmkritiker und Autor aus Berlin.

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