Amnesty Journal Saudi-Arabien 29. Januar 2009

Die Wüste rockt

Saudi-Arabien 2005: Strikte Geschlechtertrennung in McDonald's-Restaurants.

Saudi-Arabien 2005: Strikte Geschlechtertrennung in McDonald's-Restaurants.

In Saudi-Arabien leben Frauen unter diskriminierenden Gesetzen: Sie dürfen weder ­allein verreisen, noch Auto fahren, und vor Gericht zählt ihre Aussage nur halb so viel wie die eines Mannes. Doch eine neue Generation lässt sich nicht mehr alles gefallen und erkämpft sich nach und nach kleine Freiheiten.

Lamia, Dina und Dareen sind "The Accolade", eine äußerst erfolgreiche Frauenband. Ihre erste Single "Pinocchio" erzählt freimütig von einer gescheiterten Beziehung und ist bereits ein Hit – sie kann allerdings nur im Internet heruntergeladen werden. Wenn "The Accolade" rockt, dann höchstens vor ein paar handverlesenen Gästen und an streng geheim gehaltenen Orten. Es gibt keine Fotos der Künstlerinnen, und ständig müssen sie auf der Hut sein vor der berüchtigten "Religionspolizei", weil sie angeblich gegen die strengen islamischen Gesetze ihres Heimatlandes verstoßen.

Lamia und ihre Freundinnen leben im ultrakonservativen Königreich Saudi-Arabien, wo Frauen niemals volljährig werden. Sie brauchen ihr ganzes Leben lang einen männlichen Vormund, der für sie alle Entscheidungen trifft, dürfen nicht Auto fahren oder allein verreisen und sind immer noch Bürgerinnen zweiter Klasse. Sie leben in einem Land, in dem sich Frauen in der Öffentlichkeit in die Abaya, ein schwarzes, alles verhüllendes Gewand, kleiden und ihr Gesicht hinter mehreren Lagen Stoff verstecken müssen. Wenn sie es wagen, sich künstlerisch auszudrücken und gesellschaftliche Anerkennung zu suchen, werden ihnen besonders viele Steine in den Weg gelegt.

Ähnlich wie "The Accolade" können Saudi-Arabiens bildende Künstlerinnen ihre Werke bisher nur im Schutze ausländischer Botschaften zeigen, dort, wo die Religionspolizei keinen Zutritt hat. Manal al-Harbi, die sich 2001 als einzige weibliche Studentin für ein Masterstudium in Bildhauerei an einer Kunsthochschule eingeschrieben hatte, musste mit vielen Vorurteilen und Hindernissen kämpfen. Ihre Kollegin, die Malerin Eman Jibreen, konzentriert sich in ihren Werken auf die Zerrissenheit der saudischen Frauen, auf den Widerspruch zwischen dem öffentlichen Anspruch und ihrem eigenen Selbstverständnis.

Obwohl Saudi-Arabien am 7. September 2000 die UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – wenn auch mit schwerwiegenden Vorbehalten – unterzeichnet hat, sind die saudischen Frauen weiterhin diskriminierenden Gesetzen unterworfen, die ihre Menschenrechte empfindlich einengen. Die strenge Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit verwehrt der weiblichen Hälfte der Gesellschaft den Zugang zu vielen Berufen, da Männer und Frauen nicht gemeinsam in einem Raum arbeiten dürfen. Obwohl die Zahl der erfolgreichen Universitätsabsolventinnen ständig steigt, stoßen diese gut ausgebildeten Akademikerinnen schnell an rechtliche Grenzen.

Ein Promotionsstudium im Ausland, das für ihre Brüder kein Problem darstellt, ist für sie nur in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds möglich, das Einverständnis ihres Vormundes vorausgesetzt. Nur wenige Frauen schaffen es, ihren Weg zu gehen, wie zum Beispiel die erste, in Jordanien ausgebildete Verkehrspilotin des Königreichs, Hanadi Zakaria Al-Hindi. Aber auch für sie gilt: Immer, wenn sie ein Flugzeug ins Ausland steuert, braucht sie die Unterschrift ihres Ehemannes. Für Al-Hindi ist das nur eine Formsache, weil ihr Mann sie unterstützt und stolz auf sie ist. Nicht jede Frau hat jedoch einen Vormund, der ihre Wünsche so vorbildlich respektiert.

Die Konsequenzen können hart sein. Frauen dürfen nicht allein entscheiden, was sie studieren möchten, wo sie leben wollen, wen sie heiraten oder ob sie sich scheiden lassen. Während ein Mann eine rechtskräftige Scheidung mit einem dreimaligen "Ich verstoße dich" erreichen kann, ist es für Frauen ungleich schwerer, ein Ende ihrer Ehe zu erwirken. Das Wort einer Frau zählt vor Gericht nur halb so viel wie die Aussage eines Mannes, Frauen erben nur die Hälfte verglichen mit den Anteilen ihrer männlichen Verwandten. Frauen, die vergewaltigt worden sind und den Mut haben, die Tat anzuzeigen, werden nicht selten vom Opfer zur Täterin abgestempelt und riskieren sogar harte Strafen.

So wurde im vergangenen Jahr eine junge Frau, die von sieben Männern vergewaltigt worden war, zu sechs Monaten Haft und 600 Peitschenhieben verurteilt, weil sie zur Tatzeit mit einem männlichen Bekannten unterwegs war, der nicht zur näheren Familie gehörte. Nur durch beispiellosen internationalen Protest wurde das "Mädchen von Qatif" schließlich von König Abdullah persönlich begnadigt.

Eine tiefgreifende Neuordnung des Gerichtssystems mit gleichen Rechten für die Frauen ist dringend notwendig und überfällig. Im Jahr 2005 kündigte die saudi-arabische Regierung Reformen zugunsten der Gleichberechtigung der Frauen im Königreich an, von denen bisher jedoch nur wenige umgesetzt worden sind. Im Juni 2006 wurden immerhin sechs Frauen in den Konsultativrat (majlis al-shura) berufen und sind dort nun für Frauenfragen zuständig. Frauen sind auch zu den Konferenzen des "Nationalen Dialogs" zugelassen, in dessen Rahmen wichtige nationale Themen wie z.B. Bildung diskutiert werden.

Die Vorstandswahlen für die Industrie- und Handelskammer in Jeddah im Jahr 2005 endeten mit einer Riesenüberraschung: Zwei Frauen, Lama al-Suleiman und Nashwa Taher, wurden in das Gremium gewählt, und zwar überwiegend von Männern; denn nur 100 der insgesamt 3.880 Wähler waren Frauen. "Wir sollten den Frauen eine Chance geben, weil sie so wenig Einfluss in unserer Gesellschaft haben", bemerkte einer der männlichen Wähler.

"Die jetzt heranwachsende Generation der jungen Menschen in Saudi-Arabien ist anders", sagt Dina von "The Accolade". "Alles verändert sich. Vielleicht wird es in zehn Jahren ganz normal sein, dass eine Mädchen-Band öffentlich auftritt."
Vor allem die Möglichkeiten der neuen Technologien werden das Leben der jungen Menschen auch in Zukunft ganz erheblich beeinflussen. Auch den konservativsten Ländern wie Saudi-Arabien wird es auf Dauer nicht gelingen, sich den modernen Informations- und Kommunikationstechniken, den TV-Satellitenprogrammen und dem Internet mit seiner Fülle von Informationen, Netzwerken und Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten, zu verschließen.

Die heutige junge Generation wächst mit diesen Technologien auf, vernetzt sich, tritt miteinander in Dialog und will an den Errungenschaften einer globalisierten Welt nicht nur virtuell teilhaben. Diese Entwicklung wird womöglich gerade für die Frauen im Königreich Saudi-Arabien auf ihrem Weg in eine Zukunft mit mehr Freiheiten und Rechten große Bedeutung haben.

Die drei jungen Musikerinnen von "The Accolade" oder die Vorstandsfrauen der Industrie- und Handelskammer in Jeddah sind Vorbilder für die heutige junge Generation von Frauen. Sie machen Mut zu der Prognose, dass sich die Lage der Frauen verbessern wird, vielleicht nicht morgen, aber vielleicht übermorgen. Die Frauen von Saudi-Arabien sind auf einem guten Weg und bestimmen selbst das Tempo. Denn wie sagt die Malerin Eman Jibreen: "Wir sehen vielleicht für euch alle gleich aus. Mit unseren Schleiern ähneln wir formlosen schwarzen Klecksen. Aber das Tuch bedeckt nur unsere Häupter, vielleicht unsere Gesichter – aber niemals unseren Verstand."

Von Regina Spöttl

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