Amnesty Report Tadschikistan 21. Mai 2017

Tadschikistan 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Die Handlungsspielräume für friedliche Kritiker wurden immer enger. Die Behörden verwiesen auf die nationale Sicherheit und den Antiterrorkampf, um zunehmend härtere Beschränkungen der Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit zu rechtfertigen. Mitglieder der verbotenen Oppositionspartei Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) wurden nach Anklagen wegen Terrorismus in extrem unfairen Geheimverfahren zu langen bzw. lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Vorwürfe, sie seien gefoltert worden, um "Geständnisse" zu erzwingen, wurden nicht wirksam und unparteiisch untersucht. Rechtsanwälte, die IRPT-Mitglieder vertraten, mussten mit Schikanen, willkürlicher Inhaftierung, strafrechtlicher Verfolgung und langen Haftstrafen aufgrund politisch motivierter Vorwürfe rechnen.

HINTERGRUND

Bei einem Referendum im Mai 2016 wurden umfassende Änderungen der Verfassung angenommen. Dabei wurde u. a. die Begrenzung der Amtszeit des Staatspräsidenten abgeschafft, wodurch es Präsident Emomalii Rachmon nun möglich ist, über die nächsten Wahlen hinaus im Amt zu bleiben. Zudem wurden auf Religion und Atheismus basierende politische Parteien verboten. Im November 2016 wurde "Beleidigung des Staatsführers" zum Straftatbestand erklärt.

Mindestens 170 Personen, die beschuldigt wurden, an bewaffneten Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Gruppen in der Hauptstadt Duschanbe im September 2015 beteiligt gewesen zu sein, wurden strafrechtlich verfolgt, schuldig gesprochen und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Nach Ansicht der Behörden hatte es sich dabei um einen Umsturzversuch des ehemaligen stellvertretenden Verteidigungsministers Abdukhalim Nazarzoda gehandelt. Aufgrund der nahezu lückenlosen staatlichen Kontrolle der Medienberichterstattung hatte die Öffentlichkeit so gut wie keine Möglichkeit, die offizielle Darstellung unabhängig zu überprüfen. Dies nährte wiederum Vorbehalte hinsichtlich der Strafverfolgungsmaßnahmen.

Im Exil lebende Mitglieder der verbotenen Oppositionspartei IRPT sowie Vertreter der oppositionellen Gruppe 24 besuchten im September 2016 das alljährliche OSZE-Implementierungstreffen der menschlichen Dimension in der polnischen Hauptstadt Warschau und hielten dort eine Mahnwache ab. Es gab Berichte darüber, dass Polizei und Sicherheitskräfte als Vergeltung für diesen friedlichen Protest in Warschau Familienangehörige der Protestierenden in Tadschikistan bedrohten, willkürlich inhaftierten, verhörten und in einigen Fällen körperlich attackierten. Die Regierungsdelegation verließ die Konferenz vorzeitig, um dagegen zu protestieren, dass neben anderen Vertretern der Zivilgesellschaft auch eine "in Tadschikistan verbotene Terrororganisation" zugelassen worden war.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Die Behörden bestritten vehement, dass 14 führende IRPT-Mitglieder wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den bewaffneten Zusammenstößen im September 2015 Opfer politisch motivierter Strafverfolgung, unfairer Gerichtsverfahren sowie von Folter und anderen Misshandlungen wurden. Das Verfahren gegen die IRPT-Mitglieder vor dem Obersten Gericht begann im Februar 2016 und fand in der Untersuchungshafteinrichtung des Staatsausschusses für Nationale Sicherheit im Geheimen statt. Im Juni 2016 wurden alle Angeklagten schuldig gesprochen. Die beiden stellvertretenden IRPT-Vorsitzenden Umarali Khisainov (auch bekannt unter dem Namen Saidumur Khusaini) und Makhmadali Khaitov (Mukhammadalii Hait) erhielten lebenslange Haftstrafen. Zarafo Khujaeva (Rakhmoni), die zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, kam am 5. September 2016 nach einer Begnadigung durch den Präsidenten frei. Die übrigen Angeklagten erhielten Haftstrafen zwischen 14 und 28 Jahren.

Die zunächst spärlichen offiziellen Informationen über die Strafverfolgung der IRPT-Mitglieder, wie z. B. die Anklagepunkte, waren bereits 2015 aus offiziellen Quellen, wie den Webseiten der Generalstaatsanwaltschaft und der staatlichen Nachrichtenagentur Khovar, entfernt worden. Jegliche weiteren Informationen wurden unterdrückt. Die Rechtsbeistände der Angeklagten mussten eine Geheimhaltungsvereinbarung in Bezug auf sämtliche Einzelheiten des Falls und des Verfahrens unterzeichnen. Das Urteil und die offiziellen Unterlagen des Gerichtsverfahrens wurden nicht veröffentlicht. Im August 2016 tauchte im Internet eine Kopie des Urteils aus anonymer Quelle auf. Die Generalstaatsanwaltschaft lehnte es ab, sich zur Echtheit des Dokuments zu äußern, die mutmaßliche Quelle wurde dennoch strafrechtlich verfolgt (siehe unten).

Im März 2016 äußerte sich der UN-Sonderberichterstatter über Meinungsfreiheit besorgt darüber, dass "die gegen die IRPT ergriffenen drastischen Maßnahmen einen ernsten Rückschritt für ein offenes politisches Klima bedeuten". Er bemängelte, dass die Regierung die IRPT und deren Mitglieder schwerer Verbrechen beschuldige, es jedoch ablehne, der Öffentlichkeit den Zugang zum Verfahren und zur Beweislage zu gewähren.

VERFOLGUNG VON STRAFVERTEIDIGERN

Anwälte, die an der Verteidigung der 14 IRPT-Mitglieder beteiligt waren, wurden schikaniert, eingeschüchtert und in einigen Fällen willkürlich festgenommen und strafrechtlich verfolgt. Im Oktober 2016 verurteilte das Stadtgericht Duschanbe die beiden Anwälte Buzurgmekhr Yorov und Nuriddin Makhkamov, die mehrere angeklagte IRPT-Mitglieder vertraten, in einem unfairen Gerichtsverfahren zu 23 bzw. 21 Jahren Haft. Abgesehen von der ersten gerichtlichen Anhörung im Mai 2016 waren die Medien und die Öffentlichkeit von sämtlichen Sitzungen ausgeschlossen. Beide Anwälte wurden schuldig gesprochen, weil sie "zu nationaler, rassischer, lokaler oder religiöser Feindseligkeit angestachelt", Betrug verübt und "öffentlich zum gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung der Republik Tadschikistan" sowie "zu extremistischen Taten" aufgerufen hätten. Buzurgmekhr Yorov wurde überdies der Fälschung für schuldig befunden. Buzurgmekhr Yorov und Nuriddin Makhkamov bestritten jegliche Straftat und legten Rechtsmittel ein, über die Ende 2016 noch nicht entschieden worden war. Sollten die Schuldsprüche nicht vollständig aufgehoben werden, könnten die beiden nach ihrer Freilassung nie wieder als Anwälte arbeiten.

Am 22. August 2016 wurde Buzurgmekhr Yorovs Bruder Jamshed Yorov, der ebenfalls als Strafverteidiger im IRPT-Verfahren tätig war, wegen "Verbreitung von Staatsgeheimnissen" festgenommen. Man warf ihm vor, das Urteil des Obersten Gerichts im IRPT-Verfahren unerlaubt veröffentlicht zu haben. Am 30. September kam er wieder frei.

Am 12. Dezember 2016 begann in der Untersuchungshafteinrichtung Nr. 1 in Duschanbe ein zweiter Prozess gegen Buzurgmekhr Yorov, in dem man ihn beschuldigte, in seinem Schlussplädoyer vor dem Stadtgericht Duschanbe das Gericht missachtet sowie Regierungsvertreter beleidigt zu haben.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Im Mai 2016 wurden die gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Inhaftierten gegen Folter und andere Misshandlungen verbessert. Die maximal zulässige Zeit, die eine Person ohne Anklage in Haft gehalten werden kann, wurde auf drei Tage verkürzt, als Haftbeginn gilt künftig der Moment, in dem der Freiheitsentzug tatsächlich beginnt. Der Inhaftierte hat vom Augenblick des Freiheitsentzugs an das Recht auf vertraulichen Zugang zu einem Anwalt, und Verdächtige müssen vor einer zeitweisen Inhaftierung medizinisch untersucht werden.

Nach wie vor gab es keine unabhängigen Organe, um Folter und andere Misshandlungen zu untersuchen. Die NGO Koalition gegen Folter registrierte 60 Beschwerden wegen Folter, ging jedoch davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Fälle wesentlich höher lag.

Im September 2016 nahm der UN-Menschenrechtsrat das Ergebnis der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung Tadschikistans an. Die Regierung lehnte die Empfehlung ab, das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe zu ratifizieren und einen nationalen Mechanismus zur Verhütung von Folter einzurichten. Sie akzeptierte allerdings die Empfehlung, das zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu ratifizieren und die Todesstrafe ganz abzuschaffen.

RECHT AUF VEREINIGUNGSFREIHEIT

Das Justizministerium legte 2016 vorläufige Bestimmungen für die Umsetzung des geänderten Gesetzes über öffentliche Vereinigungen vor, das NGOs dazu verpflichtet, jegliche finanzielle Zuwendung aus dem Ausland zu melden. In den Umsetzungsbestimmungen wurde jedoch weder ein Zeitraum festgelegt, in dem die Behörde darüber entschieden haben muss, noch wurde festgelegt, ob das Geld vor der offiziellen Genehmigung verwendet werden darf. Die Bestimmungen sahen außerdem vor, dass Inspektionen von NGOs nur einmal innerhalb von zwei Jahren erfolgen sollen, allerdings gab es in Bezug auf diese Regel und die Gründe für Inspektionen einen großen Ermessensspielraum.

Das vom Steuerausschuss angestrengte Liquidationsverfahren gegen die etablierte Organisation Nota Bene, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, wurde im Januar 2016 von einem Bezirksgericht zurückgewiesen.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG

Die Behörden verhängten 2016 weitere Einschränkungen gegen die Medien und begrenzten den Zugang zu unabhängiger Information noch stärker. Ein fünf Jahre gültiges Dekret der Regierung vom August 2016 gab dem Staatlichen Rundfunkausschuss das Recht, die Inhalte sämtlicher Fernseh- und Radiosendungen "zu regulieren und zu kontrollieren".

Unabhängige Medienunternehmen und einzelne Journalisten wurden durch Polizei und Sicherheitsdienste eingeschüchtert und schikaniert, wenn sie über das IRPT-Verfahren und andere politisch heikle Themen berichteten. Einige sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. Im November 2016 kündigten die unabhängige Tageszeitung Nigoh sowie die unabhängige Internetseite Tojnews ihre Schließung an, da "die Bedingungen für unabhängige Medien und freien Journalismus nicht mehr gegeben sind". Nigoh hatte über das Verfahren gegen den Anwalt Buzurgmekhr Yorov berichtet.

Die Behörden wiesen Internetprovider nach wie vor an, den Zugang zu bestimmten Nachrichtenportalen und sozialen Medien zu blockieren, bestritten dies jedoch öffentlich. Personen und Gruppen, die von den Maßnahmen betroffen waren, konnten diese nicht wirksam vor Gericht anfechten. Eine Verordnung der Regierung verpflichtete Internetprovider und Telekommunikationsunternehmen dazu, ihre Dienste ausschließlich über ein neues zentrales Kommunikationszentrum der staatseigenen Firma Tajiktelecom zur Verfügung zu stellen. Im März 2016 stellte der UN-Sonderberichterstatter über Meinungsfreiheit mit Besorgnis fest, dass die umfassende Blockade von Internetseiten und Netzwerken, darunter auch Mobilfunkdienste, unverhältnismäßig und mit internationalen Standards nicht vereinbar sei.

RECHTE AUF WASSER UND SANITÄRVERSORGUNG

Im Juli 2016 veröffentlichte der UN-Sonderberichterstatter über das Menschenrecht auf einwandfreies Trinkwasser und Sanitärversorgung seinen Bericht über Tadschikistan. Darin hieß es, dass nahezu 40 % der Bevölkerung und fast die Hälfte der ländlichen Bevölkerung auf Wasserquellen zurückgriff, die oft unzureichend waren oder nicht den Qualitätsmaßstäben für Trinkwasser entsprachen. Er stellte fest, dass dies eine erhebliche Belastung für Frauen und Kinder bedeutete, die zum Teil vier bis sechs Stunden täglich mit Wasserholen beschäftigt waren. Der Sonderberichterstatter wies außerdem darauf hin, dass sich der Mangel an Wasser und sanitären Anlagen insbesondere in öffentlichen Institutionen unmittelbar negativ auf andere Rechte auswirke, wie etwa die Rechte auf Gesundheit, Bildung, Arbeit und Leben. Er drängte die Regierung, für einen gleichberechtigten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen zu sorgen und sich der Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Gruppen anzunehmen, darunter Frauen und Mädchen in ländlichen Regionen, umgesiedelte Personen, Flüchtlinge, Asylsuchende und Staatenlose.

Die Regierung akzeptierte die im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung erteilte Empfehlung, den Zugang zu sicherem Trinkwasser zu verbessern, lehnte jedoch die Empfehlung ab, das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu ratifizieren.

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