Amnesty Report Jamaika 01. Juni 2016

Jamaika 2016

 

Es kam weiterhin zu exzessiver Polizeigewalt und außergerichtlichen Hinrichtungen. Ein Untersuchungsausschuss befasste sich mit den während des Ausnahmezustands im Jahr 2010 mutmaßlich verübten Menschenrechtsverletzungen. Im August 2015 fand in Jamaika zum ersten Mal eine Gay-Pride-Veranstaltung statt. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche und Intersexuelle (LGBTI) waren nach wie vor von Gewalt und Diskriminierung betroffen.

Hintergrund

Jamaika wies gemessen an der Einwohnerzahl weiterhin eine der höchsten Tötungsraten der Welt auf. Gewaltkriminalität stellte für die Bevölkerung nach wie vor ein zentrales Problem dar. Zwischen Januar und Juni 2015 verzeichnete die Polizei 1486 Anzeigen wegen schwerer Gewaltverbrechen, bei denen es sich um Morde, Schießereien, Vergewaltigungen und schwere Körperverletzungen handelte. Laut Medienberichten wurden 2015 mehr als 1100 Tötungsdelikte begangen, was einem Anstieg von etwa 20 % gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Änderungen des Gesetzes über gefährliche Drogen (Dangerous Drugs (Amendment) Act 2015), die im April 2015 in Kraft traten, hoben Festnahme- und Inhaftierungsbefugnisse im Zusammenhang mit dem Besitz oder dem Konsum geringer Mengen von Cannabis auf und erlaubten Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Rastafari, die Droge im Rahmen religiöser Handlungen einzusetzen.

Im Mai 2015 wurde die Menschenrechtslage in Jamaika im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat begutachtet. Jamaika akzeptierte 23 der 177 Empfehlungen.

Die Regierung unternahm erste Schritte zur Einrichtung einer Nationalen Menschenrechtsinstitution.

Polizei und Sicherheitskräfte

Menschenrechtsorganisationen äußerten weiterhin Besorgnis hinsichtlich willkürlicher Festnahmen und Misshandlungen in Polizeigewahrsam.

Nachdem in den vergangenen Jahren die Anzahl der durch Polizisten getöteten Menschen stetig gestiegen war (zwischen 2011 und 2013 waren es über 200 Personen jährlich), kam es 2014 und 2015 zu einem Rückgang derartiger Tötungen. Laut einem Bericht der unabhängigen Polizei-Aufsichtsbehörde INDECOM (_Independent Commission of Investigations into Abuses by the Security Force_s) wurden in der ersten Jahreshälfte 2015 insgesamt 50 Tötungen dokumentiert, an denen die Polizei beteiligt war. Dies waren weniger als in dem Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Im Dezember 2014 nahm ein Untersuchungsausschuss die seit langem überfällige Arbeit zur Aufklärung der während des Ausnahmezustands im Jahr 2010 mutmaßlich verübten Menschenrechtsverletzungen auf. Es war vorgesehen, dass er seine Arbeit bis Anfang 2016 beenden würde. Während des Ausnahmezustands hatten Sicherheitskräfte 76 Zivilpersonen getötet. 44 von ihnen sollen außergerichtlich hingerichtet worden sein.

Justizsystem

Größere Rückstände bei der Bearbeitung von Fällen durch die Gerichte führten weiterhin zu Verzögerungen in der Rechtsprechung und behinderten den Zugang zur Justiz. Insbesondere bei den Ermittlungen zu Tötungen durch die Polizei wurden kaum Fortschritte erzielt. Angesichts einer großen Anzahl neuer Fälle und geringer Ressourcen reichte auch die Kapazität des Coroner’s Court (Gericht zur Untersuchung von Todesursa-chen) nicht aus, um den Rückstand noch unbearbeiteter Fälle zu reduzieren.

Kinderrechte

Nach Angaben der jamaikanischen Polizeibehörde Jamaica Constabulary Force wurden zwischen Januar und Juni 2015 insgesamt 29 Kinder ermordet. Dies lässt den Schluss zu, dass die Behörden nicht imstande sind, Kinder vor extremer Gewalt und vor Missbrauch zu schützen. Die Haftbedingungen und die Behandlung jugendlicher Straftäter waren mangelhaft. Die NGO Jamaicans for Justice (JFJ) dokumentierte eine hohe Anzahl von Suizidversuchen bei Kindern und Jugendlichen in Hafteinrichtungen für jugendliche Straftäter und äußerte große Besorgnis hinsichtlich der psychosozialen Gesundheit und des Wohlergehens von Jugendlichen in den staatlich geführten Einrichtungen. Die JFJ berichtete ebenfalls, dass jugendliche Straftäter nicht umgehend einem Richter vorgeführt würden. Dies führe zu einer Überschreitung des von der Verfassung vorgeschriebenen Zeitraums zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Inhaftierung und verstoße gleichzeitig gegen die Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt gaben weiterhin Anlass zur Besorgnis. Eine große Anzahl von Frauen wurde von ihren Ehemänner oder Partnern getötet. Lesbische, bisexuelle und Transfrauen waren aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und ihres vermeintlich geschlechtsuntypischen Äußeren dem Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt.

Die Regierung stand kurz vor der Beendigung der Arbeit an einem Nationalen Strategischen Aktionsplan zur Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt in Jamaika. Ein gemeinsamer Sonderausschuss des Parlaments hatte eine Überprüfung des Gesetzes über Sexualdelikte aus dem Jahr 2009 noch nicht abgeschlossen. Zivilgesellschaftliche Organisationen übermittelten Empfehlungen an den Ausschuss, die u. a. die Ausweitung der Definition von Vergewaltigung, die Entkriminalisierung von Sexarbeit und den Gebrauch einer geschlechtsneutralen Sprache in dem betreffenden Gesetz umfassten.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen

Es gab weiterhin keinen gesetzlichen Schutz gegen Diskriminierung aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern waren nach wie vor strafbar. Zwischen Januar und Juli 2015 gingen bei der LGBTI-Organisation Jamaica Forum of Lesbians, All-Sexuals and Gays (J-FLAG) 47 Berichte über Menschenrechtsverletzungen an LGBTI ein. Obdachlosigkeit und Vertreibung von LGBTI-Jugendlichen gaben weiterhin Anlass zur Besorgnis. Junge Leute, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gezwungen worden waren, ihr Zuhause zu verlassen, lebten weiterhin in der Kanalisation und in leerstehenden Gebäuden. Lokale NGOs unterstützten wohnungslose LGBTI-Jugendliche, während ihnen der Staat kaum Hilfe gewährte. Bis zur Jahresmitte 2015 hatte J-FLAG insgesamt 329 LGBTI bei sozialen Schwierigkeiten und in Krisensituationen unterstützt. Die Organisation erhielt auch weiterhin Beratungsanfragen von jamaikanischen LGBTI, die beabsichtigten, in anderen Ländern Asyl zu suchen.

Im August 2015 fand zum ersten Mal eine Gay-Pride-Veranstaltung in Jamaika statt. Der Justizminister rief während der Veranstaltung zu Toleranz auf und sicherte zu, LGBTI bei der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen.

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