Amnesty Report Bangladesch 31. Mai 2016

Bangladesch 2016

 

Zahlreiche Personen wurden bei Brandbombenanschlägen getötet, die im Zusammenhang mit Protestaktionen gegen die Regierung auf Linienbusse und andere Fahrzeuge verübt wurden. Hunderte Anhänger der Opposition wurden – teils aus politischen Gründen – unterschiedlich lang in Gewahrsam gehalten. Die unabhängigen Medien gerieten unter starken Druck, und das Recht auf freie Meinungsäußerung war eingeschränkt. Mindestens neun säkular orientierte Blogger und Verleger wurden tätlich angegriffen; fünf von ihnen erlagen ihren Verletzungen. Mehr als 40 Personen wurden Opfer des Verschwindenlassens.

Hintergrund

Eine zwischen Januar und März 2015 von der Oppositionspartei Bangladesh Nationalist Party (BNP) angeführte Antiregierungskampagne schlug in Gewalt um, als Linienbusse und andere Fahrzeuge mutmaßlich von Hunderten Demonstrierenden mit Brandbomben angriffen wurden. Zahlreiche Fahrgäste wurden getötet und viele weitere verletzt. Keiner der direkt an den Angriffen Beteiligten musste sich vor Gericht verantworten.

Höhere Funktionäre der BNP wurden von der Polizei festgenommen und wegen Brandstiftung angeklagt. Unter ihnen befand sich der amtierende Generalsekretär Mirza Fakhrul Islam Alamgir, der im Verlauf des Jahres mehrfach für Zeiträume von einigen Wochen bis mehreren Monaten inhaftiert und dann wieder freigelassen wurde. Auch Hunderte Mitglieder der Opposition wurden tage- oder monatelang inhaftiert und danach wieder auf freien Fuß gesetzt. Einige wurden wegen Brandstiftung angeklagt. Unbekannte attackierten etliche ausländische Staatsangehörige. Zwischen dem 28. September und dem 18. November 2015 wurden ein italienischer Entwicklungshelfer und ein japanischer Staatsangehöriger erschossen. Ein italienischer Arzt überlebte einen Schusswaffenangriff.

Im Juli 2015 wurde der 13-jährige Samiul Islam Rajon auf offener Straße erschlagen, weil man ihn des Diebstahls beschuldigte. Der Vorfall löste in der Öffentlichkeit scharfe Kritik an der Vernachlässigung der auf der Straße lebenden Kinder aus. Kurz darauf ordnete die Regierung eine Untersuchung der Tötung des Jungen an.

Gegen mindestens 16 Personen, die beschuldigt wurden, während des Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1971 schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben, wurden Strafverfahren eingeleitet, die zum Jahresende 2015 noch andauerten. Ausreichend belegte Tötungen, die von Unabhängigkeitskämpfern verübt worden waren, wurden von den Behörden nicht strafrechtlich verfolgt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Unabhängige Medien, die die Regierungsbehörden kritisierten, gerieten unter starken Druck. Im Oktober 2015 warnte die Regierung Wirtschaftsunternehmen unter Androhung von Sanktionen davor, bei den führenden Zeitungen Prothom-Alo und Daily Star, die für ihre kritische Haltung bekannt sind, Werbeanzeigen aufzugeben.

Im November 2015 empfahl ein Ständiger Parlamentsausschuss, der NGO Transparency International, die sich für die Bekämpfung von Korruption einsetzt, die Erlaubnis zur Betätigung in Bangladesch zu entziehen, weil sie das Parlament kritisiert hatte. Ein Gericht in Dhaka klagte 49 zivilgesellschaftliche Aktivisten wegen Missachtung des Gerichts an, weil sie die dortigen Verfahren als unfair kritisiert hatten.

Im November 2015 blockierten die Behörden den Nachrichtenversand über soziale Medien und andere Kommunikationsanwendungen und schränkten damit die Meinungsfreiheit ein. Berichten zufolge griffen islamistische Gruppen Blogger an, die säkulare Ansichten geäußert hatten. Im Februar 2015 wurde Avijit Roy von Unbekannten mit Macheten getötet. Seine Frau Rafida Ahmed Bonya überlebte den Anschlag. Bis Ende August wurden drei weitere Blogger – Washiqur Rahman, Niloy Neel und Ananta Bijoy Das – auf dieselbe Weise umgebracht. Im Oktober 2015 kam ein Verleger weltlich orientierter Literatur bei einer Buschmesser-Attacke ums Leben. Ein weiterer Verleger und zwei Schriftsteller, die säkulare Ansichten vertraten, überlebten einen ähnlichen Anschlag. Regierungsvertreter, u. a. die Premierministerin, beschuldigten die Blogger und Verleger, mit ihren Schriften religiöse Gefühle verletzt zu haben.

Verschwindenlassen

Angehörige der Sicherheitskräfte in Zivilkleidung nahmen zahlreiche Personen fest und leugneten danach, Kenntnis über deren Verbleib zu haben. Eine von der Menschenrechtsorganisation Ain O Salish Kendra bei Zeitungen des Landes durchgeführte Umfrage ergab, dass zwischen Januar und September 2015 mindestens 43 Personen, darunter zwei Frauen, dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren. Sechs der 43 Personen wurden später tot aufgefunden, vier waren nach ihrer Verschleppung wieder freigelassen worden und fünf konnten im Polizeigewahrsam aufgefunden werden. Schicksal und Verbleib der übrigen 28 Personen blieben ungeklärt.

Die Strafverfahren gegen drei Angehörige des Schnellen Einsatzbataillons (Rapid Action Battalion), die unter Verdacht standen, im April 2014 sieben Personen entführt und getötet zu haben, wurden fortgesetzt. Weitere Angehörige der Sicherheitskräfte oder andere an Fällen des Verschwindenlassens beteiligte Beamte wurden nicht vor Gericht gestellt.

Folter und andere Misshandlungen

Obwohl Folter und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam weit verbreitet waren, wurde Anzeigen wegen Folter nur selten nachgegangen. Im März 2015 beschwerten sich hochrangige Polizeibeamte öffentlich über die rechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Folter und riefen die Regierung auf, in Kriegszeiten, bei Kriegsgefahr, bei interner politischer Instabilität oder während eines öffentlichen Notstands Folter straffrei zu stellen. Straffreiheit solle auch gelten, wenn ein Vorgesetzter oder eine Behörde Folter anordne.

Chittagong Hill Tracts

Ein im Januar 2015 von der Regierung veröffentlichtes Memorandum unterwarf Personen, die die Chittagong Hill Tracts besuchen oder dort Veranstaltungen durchführen wollen, starken Einschränkungen. Dies ist ein Verstoß gegen die Verpflichtung der Regierung zur Achtung der Rechte indigener Gemeinschaften und eine Verletzung des Diskriminierungsverbots sowie der Rechte auf Freizügigkeit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Laut Angaben der nationalen Vereinigung der Rechtsanwältinnen (Bangladesh National Women Lawyers Association) berichteten die Medien zwischen Januar und Mai 2015 über mehr als 240 Anzeigen wegen Vergewaltigung. Menschenrechtsgruppen berichteten, dass die Anzahl der Vergewaltigungsanzeigen in den vergangenen Jahren gestiegen, die Verurteilungsrate aber extrem niedrig sei. Dies liege hauptsächlich daran, dass Ermittlungen nicht unverzüglich und wirksam durchgeführt würden. Viele Frauen und Mädchen schreckten auch davor zurück, eine Vergewaltigung bei den zuständigen Behörden anzuzeigen, da die Opfer beweisen müssten, dass Gewalt gegen sie ausgeübt wurde, und zudem eine körperliche Untersuchung durchgeführt werde.

Todesstrafe

Mindestens 198 Personen wurden 2015 zum Tode verurteilt, darunter vier Männer, die wegen der Tötung von Samiul Islam Rajon für schuldig befunden worden waren. Zu den Todeskandidaten gehörte auch Oishee Rahman, die wegen der Tötung ihrer Eltern im Jahr 2013 zum Tode verurteilt worden war. Während ihre Rechtsbeistände vorbrachten, dass sie zum Zeitpunkt der Tat noch nicht volljährig gewesen sei und deshalb kein Todesurteil gefällt werden dürfe, berief sich das Gericht auf eine medizinische Untersuchung, der zufolge sie damals bereits 19 Jahre alt war.

Das Internationale Strafgericht für Bangladesch (International Crimes Tribunal – ICT), ein nationales Gericht, das die Ereignisse während des Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1971 untersuchen soll, verurteilte vier weitere Personen zum Tode. Die Verfahren des ICT wiesen erhebliche Unregelmäßigkeiten auf und verstießen häufig gegen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Die Befugnisse des Gerichts konnten weiterhin verfassungsrechtlich nicht angefochten werden. Aussagen von Zeugen der Anklage, die die Verteidigung als unwahr identifiziert hatte, wurden vor Gericht dennoch weiterhin als Beweise zugelassen. Eidesstattliche Erklärungen von Zeugen der Verteidigung, denen zufolge sich ein Angeklagter zu weit vom Tatort entfernt befunden habe, um an den Delikten beteiligt gewesen zu sein, wurden nicht zugelassen. Auch hinderte die Regierung Zeugen der Verteidigung aus dem Ausland daran, an den Verfahren teilzunehmen, indem sie ihnen die nötigen Visa verweigerte. Berufungsverfahren wiesen ähnliche Mängel auf.

Trotz wiederholter Appelle von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen, Hinrichtungen von Personen auszusetzen, die in unfairen Gerichtsverfahren und in mit Mängeln behafteten Berufungsverfahren zum Tode verurteilt wurden, erfolgte im Jahr 2015 die Hinrichtung von drei Gefangenen. Damit erhöhte sich die Zahl der nach ICT-Verfahren vollstreckten Todesurteile auf insgesamt vier.

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