Amnesty Report Jamaika 06. Mai 2015

Jamaika 2015

 

Polizeigewalt gab weiterhin Anlass zur Sorge. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) wurden nach wie vor angegriffen und schikaniert. Es wurden Schritte unternommen, um das Problem der Straflosigkeit anzugehen. Jamaika hielt an der Todesstrafe fest.

Hintergrund

Die Anzahl der Tötungsdelikte war weiterhin hoch, vor allem in marginalisierten Innenstadtvierteln. Allerdings war gegenüber den Zahlen von 2013 ein Rückgang zu verzeichnen. Bis zum 14. September 2014 wurden laut Angaben der Polizei 699 Menschen getötet. Dies entspricht einem Rückgang um 15% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2013.

Polizei und Sicherheitskräfte

Nachdem in den vergangenen Jahren die Anzahl der durch Polizisten getöteten Menschen stetig gestiegen war (2011: 210 Personen, 2012: 219 Personen, 2013: 258 Personen), verzeichnete die Unabhängige Kommission zur Untersuchung mutmaßlicher Übergriffe durch Sicherheitskräfte (Independent Commission of Investigations into Abuses by the Security Forces – INDECOM) im Jahr 2014 einen Rückgang.

Bis Ende Oktober waren 103 Zivilpersonen von der Polizei getötet worden, während die entsprechende Zahl im Vergleichszeitraum 2013 noch 220 betragen hatte. Mehrere Personen wurden unter Umständen getötet, die vermuten lassen, dass es sich dabei um außergerichtliche Hinrichtungen handelte.

Nachdem Mario Deane im August 2014 unter verdächtigen Umständen im Polizeigewahrsam gestorben war, kündigten der Justizminister und der Minister für Nationale Sicherheit im September eine Überprüfung des Strafvollzugssystems an, um "eine strategische Lösung des Problems der Behandlung von Personen in Gefängnissen und Vollzugsanstalten zu entwickeln".

Ein Gesetz, das die "Bekämpfung und Zerschlagung krimineller Organisationen" (Criminal Justice [Suppression of Criminal Organizations] Act) zum Ziel hat, trat im April 2014 in Kraft. Es bestanden Befürchtungen, dass dieses Gesetz auch dazu benutzt werden könnte, ganze Gemeinschaften unter Generalverdacht zu stellen.

Im Februar 2014 wurde ein Ausschuss zur Untersuchung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen während des im Mai 2010 verhängten Ausnahmezustands geschaffen. Bei einem Einsatz der Sicherheitskräfte waren damals 76 Zivilpersonen getötet worden. Der aus drei Personen bestehende Ausschuss nahm am 1. Dezember seine Arbeit auf. Im April 2014 übergab die Ombudsstelle (Office of the Public Defender) alle Akten zu ihrer Untersuchung über den Ausnahmezustand an die INDECOM. Die Akten enthalten die Fälle von 44 Personen, die mutmaßlich rechtswidrig von den Sicherheitskräften getötet worden waren.

Elf Polizeibeamte aus Clarendon, die unter dem Verdacht standen, einer Todesschwadron anzugehören, wurden im April von der INDECOM festgenommen und angeklagt. Sie sollen in die Ermordung von neun Zivilpersonen seit dem Jahr 2009 verwickelt sein. Die Ermittlungen waren Ende 2014 noch nicht abgeschlossen.

Justizsystem

Die Überlastung der Gerichte verzögerte die Rechtsprechung weiterhin. Im Februar 2014 gab der Minister für Nationale Sicherheit bekannt, dass es einen Rückstand von ungefähr 40000 noch unbearbeiteten Fällen gebe. Im Juni erklärte der Oberste Richter, dass das Justizsystem ernsthaft behindert werde, da nicht nur kriminaltechnisches Beweismaterial fehle, sondern auch Aussagen und ballistische Gutachten ausstünden. Zudem sei die Infrastruktur der Gerichte mangelhaft, und es fehle an personellen und finanziellen Mitteln.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen gab weiterhin Anlass zur Besorgnis. In den Polizeistatistiken des im April 2014 vom Planungsinstitut von Jamaika veröffentlichten Wirtschafts- und Sozialberichts für das Jahr 2013 waren 814 angezeigte Vergewaltigungen und 128 Morde an Frauen erfasst.

Eine im September 2013 angekündigte Überprüfung des Entwurfs eines Nationalen Strategischen Aktionsplans zur Eliminierung geschlechtsspezifischer Gewalt war Ende 2014 noch nicht abgeschlossen.

Nachdem im Oktober 2013 ein Antrag im Senat eingebracht worden war, der einen stärkeren gesetzlichen Schutz für Frauen und Mädchen forderte, wurde im Juli 2014 schließlich ein Gemeinsamer Parlamentsausschuss eingesetzt. Seine Aufgabe bestand in der Überprüfung folgender Gesetze: Gesetz über Sexualdelikte (Sexual Offences Act), Gesetz über Straftaten gegen die Person (Offences against the Person Act), Gesetz gegen häusliche Gewalt (Domestic Violence Act) und Gesetz über die Betreuung und den Schutz von Kindern (Child Care and Protection Act). Das Ziel der Überprüfung ist es, Frauen, Kinder, Personen mit Behinderungen und ältere Menschen besser vor Gewalt und Missbrauch zu schützen.

Kinderrechte

Entgegen den Bestimmungen des Child Care and Protection Act sowie internationalen Rechtsvorschriften wurden Kinder nach wie vor zusammen mit Erwachsenen in Polizeizellen festgehalten, in einigen Fällen mehrere Tage lang.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen

Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern waren nach wie vor strafbar. LGBTI-Organisationen berichteten weiterhin, dass Einzelpersonen wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angegriffen, belästigt und bedroht wurden. Diese Vorfälle seien nicht vollständig und umgehend untersucht worden.

Am 14. Juni 2014 attackierte eine aufgebrachte Menschenmenge einen jungen Mann in einem Einkaufszentrum in der Stadt May Pen, weil er angeblich dabei beobachtet worden war, wie er Lippenstift auftrug. Die Polizei untersuchte diesen Fall nicht.

Im August zog Javed Jaghai, Mitglied der Vereinigung Jamaica Forum of Lesbians, All-Sexuals and Gays seine im Februar 2013 eingebrachte Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze, die sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellten, wieder zurück, nachdem er und seine Familie Drohungen erhalten hatten.

Eine "Abstimmung ohne Fraktionszwang" über Gesetze zur Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen sollte laut Ankündigung der Regierung noch vor April stattfinden, kam jedoch 2014 nicht zustande.

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