Amnesty Report 09. Mai 2012

Zentralafrikanische Republik 2012

 

Amtliche Bezeichnung: Zentralafrikanische Republik Staatsoberhaupt: François Bozizé Regierungschef: Faustin Archange Touadéra Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft Bevölkerung: 4,5 Mio. Lebenserwartung: 48,4 Jahre Kindersterblichkeit: 170,8 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 55,2%

Weil in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) nach wie vor Konflikte wüteten, an denen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen beteiligt waren, war die Lage der Menschenrechte im Land weiterhin sehr besorgniserregend. Die Zivilbevölkerung war zahllosen Menschenrechtsverstößen, unter anderem rechtswidrigen Tötungen, Entführungen, Folter sowie sexueller Gewalt einschließlich Vergewaltigungen, ausgesetzt.

Hintergrund

Staatpräsident François Bozizé wurde im Januar 2011 wiedergewählt und setzte sich mit über 60% der abgegebenen Stimmen klar gegen seinen stärksten Konkurrenten, Ex-Präsident Ange-Félix Patassé, durch. Das Verfassungsgericht erklärte das von der unabhängigen Wahlkommission veröffentlichte vorläufige Wahlergebnis im Februar für gültig.

Die Regierung der ZAR hatte weite Teile des Landes nicht unter Kontrolle. Es gab mindestens 200000 Binnenvertriebene, die vor den Angriffen bewaffneter Gruppen aus ihren Wohnorten geflüchtet waren. Rund 200000 Zentralafrikaner lebten als Flüchtlinge in Nachbarstaaten.

Der Nordwesten der ZAR befand sich de facto unter der Kontrolle der Volksarmee für die Wiederherstellung der Demokratie (Armée Populaire pour la Restauration de la Démocratie – APRD). Diese bewaffnete Gruppe hatte ein Friedensabkommen mit der Regierung unterzeichnet. Im Südosten und im Osten nahmen die Übergriffe der ugandischen Rebellengruppe Widerstandsarmee des Herrn (Lord’s Resistance Army – LRA) weiter zu.

Mitte Juli griffen Angehörige der bewaffneten Gruppe Union Demokratischer Sammlungskräfte (Union des Forces Démocratiques pour le Rassemblement – UFDR) im Nordwesten der ZAR die Stadt Sam Ouandja an und nahmen sie ein. Die UFDR, die ihre Basis in der Provinz Haute-Kotto hat, ließ verlauten, dass es sich um einen Vergeltungsschlag für Angriffe der Sammlungsbewegung der Patrioten für Gerechtigkeit und Frieden (Convention des Patriotes pour la Justice et la Paix – CPJP) auf ihre Stellungen handele. Durch Kämpfe zwischen den beiden bewaffneten Gruppen wurden im September Hunderte Menschen vertrieben.

Im Zeitraum von Juni bis August 2011 unterzeichneten drei CPJP-Flügel Friedensabkommen mit der Regierung; ihre Kämpfer blieben jedoch bewaffnet.

Friedenssicherung

US-Präsident Barack Obama gab im Oktober 2011 bekannt, dass er ungefähr 100 US-Soldaten in zentralafrikanische Staaten, u.a. in die ZAR, entsandt habe. Die Soldaten sollen die Regierungstruppen in der Region bei der Bekämpfung der LRA beratend unterstützen.

Außerdem waren nach wie vor 200 französische Soldaten in der ZAR stationiert. Sie unterstützten die Streitkräfte der Regierung in Fragen der Umstrukturierung und Ausbildung.

Die von der Wirtschaftsgemeinschaft Zentralafrikanischer Staaten (CEEAC) unterstützte Mission für die Friedenskonsolidierung in Zentralafrika (MICOPAX) entsandte im Februar ein Truppenkontingent nach Ndélé im Nordosten des Landes. Der Einheit gehörten Soldaten aus dem Tschad, Gabun, Kamerun, der Republik Kongo und der Demokratischen Republik (DR) Kongo an.

  • Die ugandischen Streitkräfte waren weiterhin mit mehreren tausend Soldaten im Osten der ZAR aktiv. Ein ugandisches Kriegsgericht verurteilte im August einen ugandischen Soldaten wegen der Ermordung eines Zivilisten in Obo zum Tode.

Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung in die Zivilgesellschaft

Staatspräsident François Bozizé ernannte im Januar 2011 sechs Anführer verschiedener bewaffneter Gruppierungen zu Beratern für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung in die Zivilgesellschaft. Es war allerdings nicht klar, ob sie die Beraterfunktion tatsächlich annahmen. Ende Juli erklärte der für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung zuständige Minister, dass in der Provinz Ouham-Pendé APRD-Angehörige demobilisiert würden. Nach vorliegenden Informationen soll er gesagt haben, dass es auch im Nordwesten der ZAR bald eine Demobilisierung geben werde. Im Jahresverlauf unterzeichnete die Regierung mit verschiedenen Flügeln der CPJP Friedensabkommen.

Internationale Strafgerichtsbarkeit

Vor dem Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC) in Den Haag wurde der Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der DR Kongo, Jean-Pierre Bemba, fortgesetzt. Jean-Pierre Bemba muss sich vor dem ICC in zwei Fällen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und in drei Fällen wegen Kriegsverbrechen verantworten. Er ist angeklagt, in den Jahren 2002/03 in der ZAR Milizen befehligt zu haben, die Zivilpersonen vergewaltigten und ermordeten.

Der ICC stellte keine Haftbefehle gegen führende Politiker anderer Regierungen oder Anführer bewaffneter Gruppen aus, die möglicherweise Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der ZAR begangen haben. Die Justiz der ZAR ließ diesen Personenkreis ebenfalls unbehelligt.

Menschenrechtsverstöße

bewaffneter Gruppierungen Bewaffnete Gruppen begingen in vielen der von Kampfhandlungen betroffenen Landesteile Übergriffe gegen Zivilpersonen, ohne dass die dafür Verantwortlichen bestraft wurden. Zivilpersonen wurden verletzt und getötet, Frauen und Mädchen vergewaltigt, Häuser, Scheunen und Geschäfte geplündert und zerstört. Aufgrund der prekären Sicherheitslage war es für Menschenrechtsgruppen und humanitäre Hilfsorganisationen äußerst schwierig, die genaue Zahl der Opfer und die Identität der Täter zu bestimmen.

Die APRD hatte den Nordwesten der ZAR de facto unter ihrer Kontrolle. Im Januar 2011 äußerte sich der Beauftragte des UN-Generalsekretärs für die Menschenrechte Binnenvertriebener besorgt darüber, dass die APRD für summarische Gerichtsverfahren verantwortlich sei und in den Prozessen willkürlich vorgegangen werde. Er berichtete, dass die APRD im Mai 2010 fünf Frauen und Männer hingerichtet habe, die von "Volksgerichten" wegen Hexerei verurteilt worden waren. Die "Volksgerichte" sind informelle Gerichte, die von der APRD eingesetzt werden.

  • Am 30. Januar 2011 entführten mutmaßliche APRD-Angehörige acht Mitarbeiter der spanischen Sektion der Organisation Ärzte ohne Grenzen, die in einem Fahrzeug im Grenzgebiet der ZAR zum Tschad unterwegs waren. Sechs von ihnen wurden nach zwei Tagen gefunden und befreit, zwei Spanier befanden sich bis zum 10. Februar in der Hand der Entführer.

Die LRA verübte in der ZAR Hunderte von Übergriffen. Sie entführte Menschen, darunter auch Mädchen, plünderte, raubte und ermordete Hunderte Zivilpersonen.

  • Dem Vernehmen nach tötete die LRA im März in der Umgebung der Ortschaft Nzako (Provinz Mbomu) mindestens zwei Zivilisten sowie vier Soldaten der Regierungstruppen und entführte 50 Menschen. Nach vorliegenden Informationen plünderten LRA-Kämpfer auch privates Eigentum und brannten viele Häuser nieder. Wie es in Berichten hieß, hatten LRA-Kämpfer einen Monat zuvor Nzako überfallen und mehrere Stunden lang besetzt. Danach zogen sie aus der Gegend wieder ab, nahmen ihre Beute mit und verschleppten mindestens zehn Zivilpersonen.

  • Im Juni wurde gemeldet, dass LRA-Kämpfer bei einem Überfall auf ein Fahrzeug aus dem Hinterhalt einen Arzt und seinen Fahrer ermordet hatten. Der Wagen war mit Impfstoffen gegen Kinderlähmung beladen. Der Überfall geschah auf der Straße von Zémio nach Rafa (Provinz Haut-Mbomou). Wie der Radiosender Radio Ndeke Luka berichtete, verbrannten die Angreifer das Fahrzeug und alles, was darin war. Die CPJP wurde im Nordosten der ZAR für Vergewaltigungen, Tötungen, Plünderungen und Erpressungen verantwortlich gemacht.

  • Im September töteten CPJP-Kämpfer bei Bria sieben Menschen, darunter einen Beamten der Regierung.

Kindersoldaten

In seinem Bericht zu Kindern in bewaffneten Konflikten vom April 2011 prangerte der UN-Generalsekretär die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern als Kämpfer für bewaffnete Gruppen in der Zeit von Juni 2008 bis Dezember 2010 an.

In dem Bericht wurden mehrere bewaffnete Gruppen genannt, die nach wie vor Kinder bei Kämpfen einsetzen. Dazu gehören die UFDR, die CPJP, die Demokratische Front für das zentralafrikanische Volk (Front Démocratique pour le Peuple Centrafricain – FDPC) und die Bewegung der zentralafrikanischen Befreier für Gerechtigkeit (Mouvement des Libérateurs Centrafricains pour la Justice – MLCJ). Der UN-Generalsekretär erwähnte in seinem Bericht zudem ausdrücklich, dass die LRA sowohl in der ZAR als auch in deren Nachbarländern Kinder entführt, zwangsrekrutiert und sie in der ZAR einsetzt. Die LRA ist dafür bekannt, dass sie Kinder als Kämpfer, Spione, Diener, Sexslavinnen und Träger missbraucht.

Der UN-Generalsekretär begrüßte die Entlassung von 1300 Kindern aus den Reihen der APRD in den Jahren 2008 bis 2010. Die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte besuchte die ZAR im November.

Gewaltlose politische Gefangene

Personen, die als Kritiker der Regierung galten, Verbindungen zu Regierungskritikern hatten oder mit ihnen verwandt waren, wurden unter falschen Anklagen inhaftiert.

  • Elf Menschen blieben in Haft, obwohl ein Gericht im Juli 2011 ihre Entlassung aus dem Gefängnis angeordnet hatte. Sie waren im Juni 2010 festgenommen worden, weil sie Verbindungen zu einem Rechtsanwalt und einem Geschäftsmann hatten, die von den Behörden gesucht wurden. Symphorien Balemby, Präsident der Anwaltsvereinigung in der ZAR, und der Geschäftsmann Jean-Daniel Ndengou waren ins Ausland geflohen, nachdem sie öffentlich beschuldigt worden waren, in der Hauptstadt Bangui am 9. Juni 2010 einen privat betriebenen Supermarkt in Brand gesetzt zu haben. Unter den elf Festgenommenen waren u.a. Albertine Kalayen Balemby, die Ehefrau und Sekretärin von Symphorien Balemby, sowie Gabin Ndengou, der Bruder von Jean-Daniel Ndengou und Fahrer für die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Berichten zufolge wurde gegen die inhaftierten Frauen und Männer Anklage wegen Brandstiftung, Aufwiegelung zum Hass und Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben. Amnesty International betrachtete sie als gewaltlose politische Gefangene.

Recht auf freie Meinungsäußerung – Journalisten

In den Medien herrschte 2011 ein Klima der Selbstzensur.

  • Im Juli wurden Faustin Bambou, Herausgeber der Wochenzeitung Les Collines de l’Oubangui, und Cyrus Emmanuel Sandy, Herausgeber der Tageszeitung Médias, nach der Verurteilung zu Geldstrafen aus der Haft entlassen. Sie waren wochenlang im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über öffentliche Proteste von pensionierten Armeeoffizieren inhaftiert gewesen, die als Grund für ihre Aktionen angaben, dass die Regierung ihnen EU-Gelder vorenthalten habe. Die Staatsanwaltschaft hatte den beiden inhaftierten Männern "Aufwiegelung zum Hass" sowie "Gefährdung der Staatssicherheit" vorgeworfen und für sie jeweils drei Jahre Haft sowie höhere Geldstrafen gefordert.

Mehrere Oppositionsangehörige und mindestens ein Journalist wurden ohne Angabe von Gründen daran gehindert, das Land zu verlassen.

Folter und andere Misshandlungen

Gegen Angehörige der Sicherheitskräfte wurde der Vorwurf der Folter erhoben. Die Regierung unternahm nichts, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, gegen die in den vergangenen Jahren Foltervorwürfe erhoben worden waren.

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