Amnesty Report 19. Mai 2010

Mauretanien 2010

 

Amtliche Bezeichnung: Islamische Republik Mauretanien Staatsoberhaupt: General Mohamed Ould Abdel Aziz Regierungschef: Moulaye Ould Mohamed Laghdaf Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft Einwohner: 3,3 Mio. Lebenserwartung: 56,6 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 128/112 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 55,8%

Sicherheitskräfte gingen mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen friedliche Demonstranten, Menschenrechtsverteidiger und Abgeordnete vor. Es gab zahlreiche Berichte über Folter und andere Misshandlungen. In den Gefängnissen herrschten nach wie vor harte Haftbedingungen. Mehrere Personen, die verdächtigt wurden, bewaffneten Gruppen anzugehören, wurden ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Hunderte von Migranten wurden festgenommen und abgeschoben, ohne gegen ihre Festnahme bzw. massenhafte Abschiebung gerichtlich vorgehen zu können. Es gab keine Berichte über Hinrichtungen, aber mindestens eine Person war von der Hinrichtung bedroht.

Hintergrund

General Mohamed Ould Abdel Aziz, der im August 2008 nach einem Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Sidi Ould Cheikh Abdallahi an die Macht gekommen war, trat im April aus der Armee aus, um bei den Präsidentschaftswahlen im Juli kandidieren zu können. Sein Wahlsieg wurde vom mauretanischen Verfassungsgericht bestätigt. Der Vorsitzende der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission CENI zweifelte das Wahlergebnis allerdings an und trat von seinem Amt zurück.

Vor den Präsidentschaftswahlen nahm die Afrikanische Union (AU) Mauretanien im Juni erneut als Mitglied auf. Das Land war nach dem Putsch 2008 aus der AU ausgeschlossen worden.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen waren weit verbreitet. Im September erklärte ein Häftling in einem Telefongespräch mit einem Journalisten, dass die Mehrzahl der Häftlinge systematisch gefoltert würde.

Im September wurden 68 Gefangene aus dem Gefängnis von Dar Nam entlassen. Dennoch waren die Haftanstalten nach wie vor überfüllt. Bei Amnesty International gingen auch 2009 Berichte über harte und willkürlich verhängte Strafmaßnahmen ein. In den Gefängnissen von Dar Nam und Nouadhibou waren die Inhaftierten bei drückender Hitze zusammengepfercht. Nur alte und kranke Gefangene durften ihre Zellen gelegentlich verlassen. Aus Protest gegen das knappe Essen traten Häftlinge in den Hungerstreik. Familienangehörige protestierten mit einem Sitzstreik gegen die Folterung von Gefangenen, die des Terrorismus verdächtigt wurden.

  • Im April 2009 starb Cheikhani Ould Sidina im Gefängnis der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott. Er war 2008 festgenommen und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, weil er seinem Bruder bei der Flucht aus einem Gericht geholfen hatte. Das Justizministerium kündigte eine Untersuchung der Haftbedingungen im Gefängnis von Nouakchott an.

Exzessiver Gewalteinsatz

Im ersten Halbjahr 2009 wandten die Sicherheitskräfte regelmäßig übermäßige Gewalt an, um Proteste gegen den Wahltermin zu verhindern.

  • Im April wurden zwei Demonstrationen gewaltsam aufgelöst. An den Protesten hatten politische Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen teilgenommen, darunter auch das Bündnis Coordination des Forces Démocratiques, das von der Nationalen Front für die Verteidigung der Demokratie (FNDD) gebildet worden war und dem Gewerkschaften, Menschenrechtsverteidiger und Vertreter der Zivilgesellschaft angehörten.

  • Bei einer friedlichen Demonstration gegen den Putsch von 2008 wurden der Menschenrechtsverteidiger Boubacar Messaoud und einige Parlamentsabgeordnete, unter ihnen Kobade Ould Cheick und Mohamed Moustapha Ould Bedredine, am 2. April von Polizisten geschlagen und mit Tränengas angegriffen. Boubacar Messaoud ist Vorsitzender der NGO SOS Esclaves, die sich gegen Sklaverei engagiert.

  • Am 19. April misshandelten Sicherheitskräfte zahlreiche Frauen, unter ihnen ehemalige Ministerinnen, Abgeordnete und Menschenrechtsverteidigerinnen, mit Tritten und Schlägen. Dabei setzten sie Stöcke und Gürtel ein. Die Frauen hatten sich vor der Vertretung der Vereinten Nationen in Nouakchott zu einem Sitzstreik versammelt. Die ehemalige Bildungsministerin Nebghouha Mint Mohamed Vall und ihre Tochter wurden von der Polizei geschlagen. Eine weitere Frau, die ebenfalls geschlagen wurde, verlor das Bewusstsein und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Gewaltlose politische Gefangene

Der ehemalige Gesundheitsminister Isselmou Ould Abdelkhader, der wegen seiner Kritik am Staatsstreich gegen Präsident Sidi seit September 2008 im Gefängnis gesessen hatte, wurde im Februar vorläufig freigelassen. Im Juni wurden vier weitere Gefangene, darunter der ehemalige Regierungschef sowie der Minister für öffentliche Verwaltung, gegen Kaution aus der Haft entlassen.

Antiterrormaßnahmen

Mindestens zwölf Personen, darunter auch malische Staatsangehörige, die verdächtigt wurden, Al-Qaida im islamischen Maghreb anzugehören, wurden an verschiedenen Orten festgenommen, u. a. in Nouakchott und an der Grenze zu Mali. Einer von ihnen soll an einem Bombenanschlag vor der französischen Botschaft in Nouakchott im August beteiligt gewesen sein. Ende 2009 befanden sich in den Gefängnissen mehr als 60 Häftlinge, die wegen terroristischer Aktivitäten verdächtigt oder verurteilt worden waren. Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen Im November entführte Al-Qaida im islamischen Maghreb drei Mitarbeiter einer spanischen Hilfsorganisation und im Dezember zwei italienische Touristen. Die Entführten sollen nach Mali gebracht worden sein.

Flüchtlinge

Das Büro des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) gab im November bekannt, dass seit Anfang 2009 mehr als 14000 mauretanische Flüchtlinge, d. h. mehr als 3500 Familien, aus dem Senegal zurückgekehrt seien. Seit Beginn der Rückführung von Flüchtlingen im Januar 2008 kamen rund 20000 Menschen aus den Nachbarstaaten Mauretaniens in das Land zurück. Von den 12000 noch in Mali lebenden Flüchtlingen erklärten rund 8000, sie würden gern nach Mauretanien zurückkehren. Aufgrund von Repressalien gegen die schwarze Bevölkerung Mauretaniens waren zwischen 1989 und 1991 Tausende Mauretanier in die Nachbarländer geflüchtet.

Migranten

Mehr als 1750 Menschen wurden willkürlich festgenommen, weil man sie verdächtigte, von Mauretanien aus nach Europa gelangen zu wollen. Sie wurden tagelang in einem Haftzentrum in Nouadhibou festgehalten, bevor man sie abschob. Mit der Strategie der Festnahmen und Massenabschiebungen reagierten die mauretanischen Behörden auf den starken Druck seitens der EU, vor allem Spaniens. Die EU versucht auf diese Weise, die Migration nach Europa zu verhindern.

Diskriminierung und Sklaverei

Im März wurde der Bericht des UN-Sonderberichterstatters über zeitgenössische Formen des Rassismus veröffentlicht. Er stellte fest, dass die Regierung positive Schritte zur Bekämpfung der Diskriminierung ergriffen habe. Der Sonderberichterstatter äußerte sich jedoch besorgt über die anhaltende Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung Mauretaniens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zwar seien entsprechende Gesetze verabschiedet worden, insbesondere gegen Sklaverei, doch bestünden noch immer Defizite bei deren Anwendung, und es würden vor den mauretanischen Gerichten keine Klagen eingereicht. Der Sonderberichterstatter empfahl, die Verfassung so abzuändern, dass sich darin die kulturelle Vielfalt des Landes widerspiegelt, und eine Kommission einzurichten, die sich mit den tiefer liegenden Ursachen der Diskriminierung befasst.

Die UN-Sonderberichterstatterin über moderne Formen der Sklaverei einschließlich ihrer Ursachen und Folgen besuchte Mauretanien im Oktober und November. Sie lobte die Bemühungen der Regierung und der Zivilgesellschaft, die Sklaverei abzuschaffen. Gleichzeitig unterstrich sie aber, dass ein Ansatz zur Bekämpfung sämtlicher Formen der Diskriminierung und der Armut gefunden werden müsse, der auf mehr Ganzheitlichkeit, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit beruhe. Dieser Ansatz müsse zudem die gesamte Gesellschaft umfassen.

  • Im April 2009 wurde die Anklage gegen ein Ehepaar wegen der Versklavung eines zehnjährigen Mädchens fallen gelassen, nachdem der Staatsanwalt zu dem Schluss gekommen war, dass es sich dabei um eine "Familienangelegenheit" handele. Die Organisation SOS Esclaves, die die Klage eingereicht hatte, kritisierte, dass das Gesetz aus dem Jahr 2007, wonach Sklaverei ein Straftatbestand ist, keine Anwendung fand.

Todesstrafe

Nach wie vor sprachen Gerichte Todesurteile aus. Berichte über Hinrichtungen gingen jedoch nicht ein. Ende 2009 befand sich mindestens eine Person in der Todeszelle.

Amnesty International: Bericht

Mauritanie: Nouvelle répression par la force de manifestations pacifiques (AFR 38/001/2009)

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