Amnesty Report 18. Mai 2010

Guinea-Bissau 2010

Amtliche Bezeichnung: Republik Guinea-Bissau Staatsoberhaupt: Malam Bacai Sanhá (löste im September Raimundo Pereira im Amt ab, der im März João Bernardo "Nino" Vieira im Amt abgelöst hatte) Regierungschef: Carlos Gomes Júnior Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 1,6 Mio. Lebenserwartung: 47,5 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 207/186 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 64,6%

Die Ermordung hochrangiger Politiker und Militärs, darunter im März Präsident João Bernardo "Nino" Vieira, verschärfte die instabile politische Situation noch weiter. Die Wahlen im Juni 2009 trugen zu einer gewissen Stabilisierung bei. Das Militär mischte sich sowohl in die Regierung als auch in das Justizsystem des Landes ein. Angehörige der Streitkräfte begingen schwere Menschenrechtsverletzungen, u. a. rechtswidrige Tötungen, Folter und andere Misshandlungen sowie willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Menschenrechtsverteidiger und andere Personen erhielten Morddrohungen.

Hintergrund

Nach den Parlamentswahlen 2008 war es zu Verzögerungen bei der Regierungsbildung gekommen. Dies hatte zu wachsenden politischen Spannungen geführt. Als ein Grund für die politische Instabilität und die politischen Morde wurden der Drogenhandel genannt sowie Spannungen zwischen zivilen Behörden und Militär. Schließlich wurde im Januar 2009 eine neue Regierung ernannt.

Berichten zufolge versuchten Angehörige der Präsidentengarde, die unter dem Namen "Aguentas" bekannt wurde, im Januar den Generalstabschef der Streitkräfte, General Tagme Na Waie, zu töten, weil dieser offenbar die Auflösung der Garde befohlen hatte. Die Präsidentengarde war von Präsident João Bernardo "Nino" Vieira während des Bürgerkriegs (1998/99) gegründet worden. Im März wurde General Tagme Na Waie bei einem Bombenanschlag getötet. Soldaten beschuldigten Präsident Vieira, die Ermordung angeordnet zu haben, und töteten ihn wenige Stunden später. Daraufhin übernahm der Parlamentspräsident übergangsweise die Staatsgeschäfte. Keiner der Morde wurde gründlich untersucht.

Vor den Präsidentschaftswahlen im Juni töteten Soldaten Politiker, die dem ermordeten Präsidenten Vieira nahegestanden hatten, darunter einen Präsidentschaftskandidaten. Sie nahmen auch einige Parlamentsabgeordnete und ehemalige Minister willkürlich fest und schlugen sie. Andere Politiker flohen aus dem Land oder tauchten unter. Die Präsidentschaftswahlen fanden am 28. Juni in einer Atmosphäre von Furcht und Zensur statt. Aus der Stichwahl im Juli ging Malam Bacai Sanhá, der Kandidat der regierenden Afrikanischen Partei für die Unabhängigkeit Guineas und der Kapverden (Partido Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde – PAIGC), als Sieger hervor. Er trat das Präsidentenamt im September an.

Guinea-Bissau unterzeichnete im August das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und im September das Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

Ungesetzliche Tötungen

Im März und Juni töteten Soldaten rechtswidrig hochrangige Politiker und Militärs, ohne dafür strafrechtlich belangt zu werden. Trotz anderslautender Versprechen des neuen Präsidenten wurden diese Tötungen nicht untersucht.

  • Am 4. Juni 2009 wurde der ehemalige Verteidigungsminister Hélder Proença zusammen mit seinem Fahrer und Leibwächter bei einem Überfall etwa 40 km von der Hauptstadt Bissau entfernt von Soldaten getötet. Die Streitkräfte beschuldigten ihn, Drahtzieher eines Putschs zum Sturz der Regierung und zur Ermordung des Ministerpräsidenten sowie des amtierenden Generalstabschefs zu sein. Zwei Stunden später wurde Baciro Dabó, ehemaliger Minister für Territoriale Verwaltung und Kandidat für die Präsidentschaftswahl am 28. Juni, von einer Gruppe von etwa 13 Soldaten in seinem Haus erschossen.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Soldaten nahmen willkürlich Zivilisten und andere Soldaten fest, denen sie vorwarfen, die Regierung stürzen zu wollen. Die Festnahmen erfolgten ohne Haftbefehl. Die Inhaftierten wurden ohne Anklage oder Gerichtsverfahren wochen- oder monatelang in militärischen Einrichtungen in Gewahrsam gehalten, obwohl das Gesetz eine Höchstgrenze von 48 Stunden vorsieht. Fünf Soldaten, die beschuldigt wurden, im März den Generalstabschef ermordet zu haben, wurden kurz nach dem Mord festgenommen, aber monatelang keinem Haftrichter vorgeführt. Ende 2009 waren sie noch nicht vor Gericht gestellt worden.

Die im Juni festgenommenen Politiker kamen etwa zwei Monate später ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren wieder frei. Zu ihnen zählte auch der ehemalige Ministerpräsident Faustino Fadut Imbali. Soldaten hatten ihn am 5. Juni 2009 ohne Vorlage eines Haftbefehls in seinem Haus festgenommen. Er wurde während seiner Festnahme geschlagen und dann zum Hauptquartier der Streitkräfte gebracht, wo man ihn erneut schlug.

Folter und andere Misshandlungen

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Liga Guineense dos Direitos Humanos (LGDH) wurden die meisten der im März und Juni festgenommenen Personen im militärischen Gewahrsam gefoltert. Dies galt auch für die fünf Soldaten, die im Zusammenhang mit der Ermordung von General Tagme Na Waie festgenommen worden waren. Auch Personen, die die Streitkräfte kritisiert hatten, wurden im Gewahrsam gefoltert oder anderweitig misshandelt. Untersuchungen dieser Vorfälle fanden nicht statt, und die Verantwortlichen wurden nicht vor Gericht gestellt.

  • Der Rechtsanwalt Pedro Infanda wurde am 23. März 2009 nur wenige Stunden nach einer Pressekonferenz von Soldaten willkürlich festgenommen. Er hatte bei der Pressekonferenz gesagt, einer seiner Klienten glaube, dass der Oberbefehlshaber der Streitkräfte für seinen Posten nicht geeignet sei. Pedro Infanda wurde zu der Kaserne Amura in Bissau gebracht und während der ersten vier Tage seiner Haft gefoltert. Man schlug ihn mit einem Holzstock und anderen Gegenständen, wobei er so schwere Rückenverletzungen erlitt, dass er sich in einem Krankenhaus einer Intensivbehandlung unterziehen musste.

  • Am 1. April 2009 suchten vier Soldaten um 1 Uhr morgens das Haus des Präsidenten des Rechnungshofs, Francisco José Fadul, auf und schlugen ihn mit ihren Gewehrkolben. Er erlitt Schnittwunden am Kopf und an einem Arm und musste zu einer Intensivbehandlung in ein Krankenhaus. Seine Frau wurde ebenfalls geschlagen, erlitt jedoch keine ernsthaften Verletzungen. Zwei Tage vor dem Überfall hatte Francisco José Fadul das Verhalten der Streitkräfte öffentlich kritisiert und die Regierung aufgefordert, das Militär wegen Korruption und der Ermordung von Präsident Vieira und General Tagme Na Waie zur Verantwortung zu ziehen.

Morddrohungen

Mitglieder der LGDH wurden bedroht, weil sie das Militär kritisierten. Niemand wurde wegen dieser Drohungen strafrechtlich verfolgt.

  • Im August 2009 teilte der damalige Generalstaatsanwalt mit, dass er Morddrohungen erhalte und deshalb gezwungen sei, außerhalb seines Hauses zu übernachten.

Amnesty International: Berichte

Guinea-Bissau: Human rights violations in the run up to presidential elections (AFR 30/003/2009)

Guinea-Bissau: Briefing for international election observers (AFR 30/005/2009)

Guinea-Bissau: Submission to the UN Universal Periodic Review (AFR 30/007/2009)

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